Boris Johnson ist dafür, dass er einen sehr lauten Wahlkampf gemacht hat, als er um den Posten des Tory-Chefs und damit zugleich auch um das Amt des Premiers kämpfte, zur Zeit ziemlich leise. Sein Team füllt Twitter- und Facebook-Timelines zwar mit vielen hübschen Filmchen mit Johnson-Auftritten und Johnson-Hausbesuchen, aber die speichert die Öffentlichkeit vermutlich als das ab, was sie sind: erste Wahlkampfspots.
Und ja, der neue Premierminister verkündet ständig neue Programme, mit denen er dem Land Gutes tun will. Aber der Wow-Effekt der Milliardenversprechen nutzt sich ab; die Briten verlieren den Überblick. Ohnehin dürfte vieles, was sein Kabinett sich vornimmt, erst nach einem möglichen Wahlsieg und mit einer sicheren Mehrheit umsetzbar sein.
Was Boris Johnson aber nicht mehr tut: Er redet nicht mehr ständig darüber, wie großartig die Zukunft Großbritanniens auch nach einem harten Brexit am 31. Oktober aussehen könnte und wie glorios das Königreich jede Schwierigkeit nach einem No Deal abfedern wird. Er kündigt nicht mehr an, dass die EU demnächst einknicken und einen Deal ohne die Notfalllösung für Nordirland, den berühmten Backstop, anbieten werde.
Stattdessen teilt er, empfindlich geworden, gegen Brexit-Rebellen in den eigenen Reihen aus: Die Daily Mail zitiert aus einem Brief, in dem der Premier sich bitter beschwert, konservative Abgeordnete würden seine Pläne torpedieren und gegen das nationale Interesse handeln, indem sie versuchten, No Deal zu verhindern.
Johnson ist in der Defensive. Das war seine Vorgängerin, Theresa May, auch, aber sie hatte immerhin einen Deal, den sie vorzeigen konnte. Und sie war klug genug, gar nicht erst mit No Deal zu drohen. Johnson war angetreten, um es allen zu zeigen und alles anders zu machen. Nun muss er gegen eine wachsende, berechtigte Sorge im Land ankämpfen, dass vielmehr er selbst es ist, der gegen das nationale Interesse handelt. Dass er sich mit allzu radikalen Beratern umgeben hat. Und dass er zum Schluss das Land ruiniert.
Die aktuellsten Szenarien von Nahrungsmittel- und Medikamentenengpässen, die am Wochenende durchsickerten, weisen einmal mehr darauf hin, was da droht. Noch ist völlig unklar, wie die wachsende Opposition gegen seinen "EU-Austritt ohne Wenn und Aber" ihr Ziel erreichen will.
Alles ist denkbar, über vieles wird verhandelt
Labour, die Liberaldemokraten, die Grünen, die walisische Partei Plaid Cumru, die schottische Nationalpartei und ein knappes Dutzend Tory-Abgeordnete - sie alle suchen derzeit, teils miteinander, teils gegeneinander, einen Ausweg. Für eine Übergangsregierung der nationalen Einheit stehen die Chancen schlecht; zu viele Eitelkeiten, zu viel parteipolitische Taktik sprechen dagegen. Aber ein Gesetz im Parlament, die Befassung der Gerichte, Neuwahlen plus Referendum, alles ist denkbar, über vieles wird verhandelt.
Der Zeitdruck wächst, und auch die Entschlossenheit, diesem Premierminister in den Arm zu fallen. Johnsons "Ohne Wenn und Aber" wollen sich verständlicherweise nämlich auch jene Abgeordneten nicht bieten lassen, die einen Brexit befürworten - wenn es bedeutet, dass er das Parlament, und sei es kurzzeitig, ausschalten würde.
Lange vor dem 31. Oktober wird es ein Showdown geben. Mitten in London. Regierung gegen politisches Establishment - das ist derzeit die Gefechtslage. Es könnte um Boris Johnson schon bald sehr einsam werden.