Brasilien:Der Regenwald als Beute

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Mehr als doppelt so viel abgeholzte Regenwald-Flächen wie 2019: Sägewerk bei Humaitá im Nordwesten Brasiliens. (Foto: Ueslei Marcelino/Reuters)

Holzfäller und Viehzüchter dringen immer weiter in den Regenwald vor und verwüsten mehr Flächen denn je. Präsident Bolsonaro will den Landraub sogar legalisieren - auch auf Kosten der indigenen Bewohner.

Von Christoph Gurk

Viel weiß man nicht über die Ituna-Itatá. Die indigene Gemeinschaft lebt in freiwilliger Selbstisolation tief im brasilianischen Amazonasregenwald. Wie viele Menschen der Ethnie angehören, ist weitgehend unbekannt, man weiß nicht einmal, wie sich die Ituna-Itatá selbst nennen. Bei all diesen Unklarheiten ist allerdings eines sicher: Der Lebensraum der Ituna-Itatá ist stark bedroht.

142 000 Hektar groß ist das Gebiet, in dem sie leben. Unberührter Wald, so weit das Auge reicht, so zumindest die Theorie, schließlich steht die Terra Indígena Ituna-Itatá unter Schutz; Außenstehende dürfen die Gegend nur mit einer speziellen Genehmigung betreten. Die Realität jedoch sieht anders aus. Bilder der Umweltschutzorganisation Greenpeace zeigen brennende Wälder und Rauchschwaden über den Baumwipfeln. Greenpeace hat die Zerstörung mit Überflügen und Karten dokumentiert. 12 000 Hektar Wald wurden allein letztes Jahr vernichtet. Das macht Ituna-Itatá zum traurigen Rekordhalter als das am meisten zerstörte indigene Gebiet Brasiliens im Jahr 2019, gleichzeitig aber auch zu einem besonders drastischen Beispiel einer menschgemachten Naturkatastrophe.

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Die Situation des Amazonasregenwaldes war bereits in den vergangenen Jahren schwierig, doch hat sich die Lage im Zuge der weltweiten Corona-Krise noch einmal verschärft. Während die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf dem Kampf gegen das sich immer weiter ausbreitende Virus liegt, dringen die Holzfäller, Goldschürfer und Viehzüchter immer tiefer vor in den Amazonasregenwald. Im Januar, Februar, März und April dieses Jahres belegen Satellitenfotos des brasilianischen Weltraumforschungsinstituts Inpe die Rodung von rund 1200 Quadratkilometern Urwald. So viel wie noch nie seit Beginn der Datenerfassung 2015 und eine Steigerung von mehr als 50 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019; dabei war dies ebenso schon ein schlechtes Jahr für den Regenwald.

Seit seinem Amtsantritt Anfang vergangenen Jahres tut Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro wenig, um die Zerstörung zu stoppen. Er sieht im Amazonas einen Schatz, der endlich gehoben werden müsse. Der rechtsextreme Politiker will die Region wirtschaftlich nutzen, vor allem für die mächtige Agrarindustrie. Bolsonaro hat seinen Aufstieg auch den Rinder- und Sojabaronen zu verdanken, nun soll er sich revanchieren, mit immer neuen Flächen für Vieh und Felder. Zudem wollen Minenbetreiber an die Schätze, die unter den Wurzeln der Urwaldriesen schlummern.

Umweltschutzgesetze wurden von Bolsonaro und seinem Kabinett kontinuierlich aufgeweicht und Schutzbehörden geschwächt. Schon bald zeigten sich die Folgen dieser Politik: Tausende Hektar Wald gingen Mitte vergangenen Jahres in Flammen auf, dichte Rauchschwaden verdunkelten sogar weit entfernte Metropolen wie São Paulo. Die Welt war aufgeschreckt. Denn der Amazonasregenwald ist zwar riesig, aber auch extrem fragil. Wenn weiterhin Wald abgeholzt wird, könnte das ganze Ökosystem kippen, aus dem Regenwald würde eine Savanne - mit unabsehbaren Folgen für die gesamte Menschheit.

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Umweltschützer, Forscher und Politiker schlugen deshalb Alarm. Es gab Proteste gegen die Brände und sogar Boykottaufrufe gegen brasilianische Produkte. Unwillig musste Präsident Bolsonaro schließlich handeln. Er erließ ein 60-tägiges Verbot für das Abbrennen von Waldflächen im Regenwald und schickte Truppen, mit Erfolg, die Rodungen nahmen ab, die Flammen erloschen. Doch kaum waren die Soldaten zurück in ihren Kasernen, da legten die Holzfäller und Viehzüchter wieder von vorne los, unvermindert.

Dieses Jahr hat Brasiliens Regierung früher reagiert. Anfang dieser Woche hat sie Truppen zum Waldschutz in die Amazonasregion beordert. Gleichzeitig aber soll eine ganze Reihe von Gesetzen und Initiativen verabschiedet werden, die den Wald und auch die dort lebenden Menschen massiv bedrohen. Ein Vorhaben soll es Unternehmen erlauben, auch in Indianergebieten nach Mineralien zu schürfen und Öl zu fördern, ohne dass die dort lebenden Völker ein größeres Mitspracherecht hätten. Gleichzeitig hat die staatliche Behörde zum Schutz der Indigenen neue Regelungen erlassen, die es Landbesetzern in Gebieten von Indigenen erleichtern, an legale Titel zu kommen. Und schließlich ist da noch die "MP 910", ein Dekret, erlassen von Bolsonaro im Dezember, das eine Art Amnestie für Landräuber im ganzen Amazonasgebiet vorsieht. Obwohl eine Fortführung diese Woche nach viel Protest von der Tagesordnung des brasilianischen Kongresses genommen wurde, wird Bolsonaro weiter versuchen, das Dekret in ein Gesetz umzuwandeln. Denn der Moment ist günstig. Wer interessiert sich in Zeiten einer Pandemie schon für die Legalisierung von illegal besetzten Weiden und Äckern?

Brasilien war das erste Land Lateinamerikas, in dem bei Patienten Covid-19 diagnostiziert wurde. Um die Wirtschaft nicht zu schwächen, hat die Regierung bis heute keine landesweite Quarantäne verhängt, Jair Bolsonaro bezeichnete das Virus lange nur als Grippchen, und die Gouverneure, die von sich aus Ausgangssperren verhängt haben, nannte er Arbeitsplatzvernichter. Mittlerweile ist die Situation dramatisch, fast 180 000 offiziell registrierte Fälle gibt es derzeit, mehr als 12 000 Menschen starben schon. Immer schneller breitet sich der Erreger aus, längst ist er auch im Amazonasgebiet angekommen. Dort hat er vor allem die Metropole Manaus getroffen, Tote werden in Massengräbern bestattet, das Gesundheitssystem ist kollabiert, und die Sorge wächst, dass die Pandemie auch zu einem Massensterben in den indigenen Gemeinschaften im ganzen Land führen könnte.

Wenn Holzfäller und Goldschürfer immer tiefer in Gebiete wie das der Ituna-Itatá vordringen, dann bringen sie nicht nur Kettensägen und Benzin als Brandbeschleuniger mit, sondern auch Krankheitserreger wie das neuartige Coronavirus. In den traditionell eng zusammenlebenden Gemeinschaften könnte es sich rasend schnell verbreiten, und ganze Gruppen und Gemeinschaften könnten ausgelöscht werden, wenn Außenstehende Covid-19 in ihre Gebiete bringen, sagt Carolina Marçal von Greenpeace. Die brasilianische Regierung aber würde nicht nur wegsehen, sondern den Landräubern, Holzfällern und Goldschürfern sogar noch die Arbeit erleichtern. "Bolsonaro handelt kriminell und muss gestoppt werden", sagt Marçal, zum Wohle der Menschen, aber auch zum Wohle des Waldes.

Denn tatsächlich waren es zuletzt vor allem die Angehörigen der traditionellen Gemeinschaften, die den Wald schützten, mit Waffengewalt, aber auch, indem sie Druck auf Behörden ausübten, ihre besonderen Rechte zu verteidigen. Nun aber ziehen sich immer mehr Völker aus Angst vor Ansteckungen immer tiefer in die Wälder zurück. Holzfäller und Goldschürfer haben darum nun in vielen Gebieten weitestgehend freie Bahn. Das Coronavirus scheinen sie nicht zu fürchten, und längst ist ihnen auch klar, dass sie vor der Regierung, die eigentlich die Gebiete der Indigenen und den Wald schützen sollte, keine Angst zu haben brauchen.

© SZ vom 14.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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