Brasilien:Militärs gegen Bolsonaro

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Sorgenfalten: Nicht nur die Corona-Krise setzt dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro zu. (Foto: Eraldo Peres/dpa)

Die Spitzen der Armee treten aus Protest gegen Jair Bolsonaro zurück - der Präsident steht unter massivem Druck. Zuvor versuchte er mit einem Kabinettsumbau einen Befreiungsschlag: Gleich sechs Minister mussten gehen.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

In einem noch nie dagewesenen Schritt haben am Dienstag die Spitzen von Heer, Luftwaffe und Marine des brasilianischen Militärs ihre Ämter niedergelegt. Die Rücktritte richten sich gegen Präsident Jair Bolsonaro und dessen Pläne, das Militär für seine politische Zwecke einzusetzen. Mehrmals hatte Brasiliens Präsident in der Vergangenheit gedroht, von Gouverneuren gegen seinen Willen verhängte Lockdowns auch mit Hilfe des Militärs wieder zu beenden.

Bislang war das Militär einer der wichtigsten Stützpfeiler der Macht des Präsidenten. Viele hochrangige Regierungsposten sind mit Generälen und Armeeangehörigen besetzt. Zuletzt aber hatte Jair Bolsonaro sein Kabinett umgebildet, mit dem Ziel, die Macht vom Militär hin zu neuen Verbündeten im Parlament zu verlagern. Gleich sechs Minister wurden dabei ausgetauscht, darunter auch der Verteidigungs- sowie der Außenminister, beides Schwergewichte und bislang treue Gefolgsleute des Präsidenten.

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Es ist der umfassendste Personalwechsel seit dem Amtsantritt der Regierung 2019 und kommt in einem Moment, in dem der brasilianische Präsident seine bisher größte Krise erlebt. Sie ist der Versuch, die Macht vom Militär - der einstmals wichtigsten Stütze des Präsidenten - zu neuen Verbündeten im Parlament zu verlagern.

Wie kaum ein anderes Land Lateinamerikas wird Brasilien derzeit von einer neuen Coronavirus-Welle getroffen. Die Neuinfektionszahlen haben letzte Woche die Marke von 100 000 pro Tag überschritten, dazu gab es erstmals mehr als 3000 Tote innerhalb von 24 Stunden, nirgendwo sonst auf der Welt sterben gerade so viele Menschen an dem Erreger. Krankenhäuser sind überlastet, es fehlt an grundlegenden Dingen wie Sauerstoff zur Beatmung von Patienten. Gleichzeitig stockt die Impfkampagne. Immer mehr Brasilianer geben ihrem Präsidenten und dessen Regierung die Schuld an der katastrophalen Lage ihres Landes. Die Zustimmungswerte von Jair Bolsonaro sinken.

Viele Brasilianer machen den Außenminister für den Mangel an Impfstoff mitverantwortlich

Bereits bevor die Kabinettsumbildung offiziell bekannt gegeben wurde, hatte Außenminister Ernesto Araújo seinen Amtsverzicht angekündigt. Der 53-Jährige Berufsdiplomat war vor seiner Ernennung 2018 weitgehend unbekannt, schnell aber wurde er zu einer der umstrittensten Figuren in Bolsonaros Regierung. Unter Araújo entwickelte sich das Außenministerium in eine Bastion rechtskonservativer Politik. Wiederholt wetterte er gegen Marxisten und Linke. Der Klimawandel ist seiner Meinung nach eine Lüge, um die christlichen Länder des Westens zu schwächen. Das Coronavirus hält er dagegen für eine Erfindung von Kommunisten.

Immer wieder hatte der Politiker in der Vergangenheit China und seine Parteiführung kritisiert. Den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump bezeichnete er dagegen als "Retter des Westens", die gewaltsamen Demonstranten, die Anfang des Jahres das Kapitol in Washington gestürmt hatten, nannte er aufrechte Bürger. Araújos Politik, glauben viele Brasilianer, sei zumindest mitverantwortlich dafür, dass dem Land Impfstoffe fehlen.

Carlos Alberto Franco França soll Araújo nun nachfolgen. Der Diplomat ist seit Längerem ein Mitarbeiter der Regierung Bolsonaro. Nach der immer lauter werdenden Kritik am nun scheidenden Außenminister kam dieser Wechsel nicht überraschend. Für Aufregung sorgte dagegen der Rücktritt von Verteidigungsminister Fernando Azevedo e Silva.

Der Ex-Verteidigungsminister sagt, er habe das Militär nicht zum Werkzeug der Politik machen wollen

Beobachter vermuten, dass Bolsonaro von dem 67-jährigen General der Reserve deutlichere Bekenntnisse zu seiner Corona-Politik gefordert haben könnte. Immer wieder hatte Bolsonaro gedroht, notfalls auch die Streitkräfte einzusetzen, um beispielsweise die Aufhebung der Lockdowns zu erreichen, die Gouverneure gegen seinen Willen angeordnet hatten. Der scheidende Verteidigungsminister erklärte nach seinem Rücktritt, er habe die Streitkräfte davor bewahren wollen, zu einem Werkzeug der Politik zu werden.

Nachfolger von Azevedo wird Walter Souza Braga Netto, auch er ein General. Dennoch zeigte sich die Führung des brasilianischen Militärs überrascht über den Wechsel. Medienberichten zufolge sollen die Führungen von Heer, Marine und Luftwaffe sich kurz nach den Personalentscheidungen von Jair Bolsonaro zu einem Spitzentreffen zusammengefunden haben. Bisher ist das Militär einer der wichtigsten Machtpfeiler des brasilianischen Präsidenten. Mehrere wichtige Posten in seiner Regierung sind mit Armeemitgliedern besetzt.

Bolsonaros neuen Partnern geht es vor allem um Macht, nicht um politische Ziele

Am Montagabend gab Bolsonaro über Twitter weitere Personalien bekannt: Ausgetauscht werden sollen auch sein Stabschef, der Justizminister und der Generalstaatsanwalt.

Der brasilianische Präsident, vermuten Beobachter, könnte so Stellen frei machen für Politiker aus dem sogenannten centrão, einem Konglomerat verschiedener Parteien, die weniger politischen Zielen verschrieben sind als dem eigenen Machterhalt und dem Zugang zu Posten.

Seit Längerem nähern sich Bolsonaro und diese Zentrumsparteien einander an. Der Präsident will sich mit ihren Stimmen seine Macht sichern und gleichzeitig einem möglichen Amtsenthebungsverfahren vorbeugen. Neben der Pandemie setzt ihn auch die angeschlagene Wirtschaft unter Druck. Dazu kehrte mit Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva unlängst auch ein mächtiger Rivale zurück auf das politische Parkett Brasiliens.

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