In Cottbus hat sich einiges aufgestaut: Attacken von Deutschen auf Flüchtlinge und umgekehrt - immer und immer wieder. Seit Monaten schon, aber im Januar in konzentrierter Form.
Etwa 1500 Menschen haben nun am Vormittag in Cottbus für ein friedliches Zusammenleben von Einheimischen und Flüchtlingen demonstriert. Dazu aufgerufen hatten unter anderem syrische Flüchtlinge und das Bündnis "Cottbus Nazifrei". Unter dem Motto "Ein Leben ohne Hass - Gemeinsam gegen die Angst" warben die Teilnehmer mit Plakaten für Toleranz und Weltoffenheit.
Am Nachmittag treffen sich diejenigen, die auf der anderen Seite stehen. Der Organisator, der Verein "Zukunft Heimat", erklärt, dass man sich in Cottbus "nicht mehr so selbstverständlich und sicher bewegen" könne. So steht es in der Ankündigung. Keiner könne verstehen, warum Flüchtlinge "bewaffnet durch die Straßen ziehen".
Seit Januar spitzte sich die Lage kontinuierlich zu. An Silvester drangen mehrere Unbekannte in eine Cottbuser Flüchtlingsunterkunft ein und griffen die Bewohner mit Fäusten und Flaschen an. Nach den Tätern fahndet die Polizei öffentlich mit Bildern von Überwachungskameras. Dann attackierten drei Jugendliche aus Syrien vor einem Einkaufszentrum ein Ehepaar mit einem Messer. Kurz darauf sollen zwei junge Syrer einen Jugendlichen gegen eine stehende Straßenbahn gedrückt und ihn im Gesicht verletzt haben. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke erklärte daraufhin: "Wir werden es nicht durchgehen lassen, dass einzelne - egal ob Flüchtlinge oder die rechtsextreme Szene - die Menschen in der Stadt durch ihre Gewalt gefährden oder verunsichern." Am Freitag warnte er in einem Gastbeitrag für den Tagesspiegel vor einer "Spirale aus Angst, Hass und Gewalt".
In Cottbus ist die rechte Szene traditionell stark. 2016 wurde in Brandenburg fast jede fünfte rechtsmotivierte Gewalttat in Cottbus verübt. Auf den Tribünen beim Fußballverein Energie treiben sich Rechtsextreme herum. Die AfD schnitt überdurchschnittlich gut ab: Bei der Bundestagswahl 2017 erreichte sie gut 24 Prozent der Stimmen und wurde stärkste Partei. Andererseits hat die Stadt auch zahlreiche Flüchtlinge aufgenommen. Cottbus habe seine Aufnahmequote mehr als erfüllt, sagte Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD). Unter den 100 000 Einwohnern leben knapp 4300 Flüchtlinge. "Mehr geht nicht, mehr schaffen wir jetzt nicht", findet Oberbürgermeister Holger Kelch (CDU). Er klagt unter anderem über Probleme in Kitas und Schulen.
Am 19. Januar verkündete das brandenburgische Innenministerium einen Aufnahmestopp. Vorerst sollen keine Flüchtlinge mehr in Cottbus untergebracht werden. Außerdem wurden mehr Polizisten, mehr Sozialarbeiter und verstärkte Videoüberwachung angekündigt. Ein Ministeriumssprecher sagte: "Wir hoffen, dass wir die Lage entspannen können." Doch die Lage entspannte sich nicht.
Nur einen Tag später gingen mehr als 1000 Menschen auf die Straßen. "Zukunft Heimat" hatte aufgerufen, "den öffentlichen Raum im Brennpunkt Cottbus" zu verteidigen. Unter den Demonstranten: Identitäre, Neonazis aus der Hooligan-Szene, AfD-Politiker. Wieder kam es zu Übergriffen. Zwei Demonstranten rempelten Journalisten an. Die Polizei ermittelt, der Journalistenverband Berlin-Brandenburg reagierte empört. In der folgenden Nacht gerieten erneut Syrer und Deutsche aneinander. Erst auf einer Geburtstagsparty, später in der Innenstadt. Es wurde geschubst, gepöbelt, Reizgas versprüht. Am Donnerstag nahm die Polizei sechs Männer fest, die in der Innenstadt Reizgas und NPD-Flyer an Passanten verteilten.
In diesem Spannungsfeld finden nun die beiden Demonstrationen statt. Die derzeitige Wahrnehmung sei "verheerend für das Image der Stadt", befindet Brandenburgs Kultusministerin Martina Münch. Sie sagt aber auch: "Cottbus ist keine fremdenfeindliche Stadt." Davon würden viele Institutionen zeugen, die sich um Integration kümmerten. Und die Vereine, die sich aktiv gegen die Rechten positionieren. Am Samstag unterstützt das Bündnis "Cottbus Nazifrei" die Flüchtlinge bei ihrer Kundgebung. "Aus der Zivilgesellschaft müssen positive Signale gesetzt werden - gegen Hass, Gewalt und Fremdenfeindlichkeit", sagt Luise Meyer von "Cottbus Nazifrei". "Rassismus fängt eben schon da an, wenn behauptet wird, alle Syrer hätten Messer oder seien kriminell."
Mit Material der dpa