Brandenburg: Stasi-Enthüllungen:Da waren es schon sieben

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Spektakulärer Fehlstart für Ministerpräsident Platzeck: Ein weiterer Stasi-Fall bei den Linken erschüttert Brandenburgs Regierung. Der SPD-Politiker will nun Klartext reden.

Constanze von Bullion und Julia Amalia Heyer

Land unter bei der rot-roten Landesregierung in Brandenburg: Am Mittwoch ist ein weiterer Stasi-Fall in der Linkspartei im Potsdamer Landtag der Öffentlichkeit bekanntgeworden. Die Birthler-Behörde fand 39 Seiten über den Abgeordneten Michael-Egidius Luthardt.

Der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) will am Freitag bei einer Sondersitzung des Landtags eine Regierungserklärung zur Serie der Stasi-Enthüllungen abgeben. (Foto: Foto: dpa)

Der 51-Jährige ist promovierter Forstwirt und wurde 2009 zum ersten Mal in den Brandenburger Landtag gewählt. Aus den Akten, die der SZ vorliegen, geht hervor, dass Luthardt von 1977 bis 1980 im Wachregiment "Feliks Dzierzynski" diente. Die Eliteeinheit, die aus Geheimdienstmitarbeitern bestand, war der bewaffnete Arm des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit.

Luthardt selbst beharrt darauf, sich nicht als Inoffizieller Mitarbeiter verpflichtet, sondern lediglich seinen Wehrdienst im Ministerium abgeleistet zu haben. Zwar sei ihm später während des Studiums Geld angeboten worden, es sei aber nicht für ihn in Frage gekommen, "Berichte über Kommilitonen zu verfassen". Christian Görke, parlamentarischer Geschäftsführer der Landtagsfraktion, sagte am Mittwochabend, man überlege sich nun, "politisch und juristisch" gegen die Birthler-Behörde vorzugehen: "Wir lassen uns das so nicht mehr gefallen", sagte Görke. Es sei bekannt gewesen, dass Luthardt bei dem Stasi-Wachregiment gedient habe.

Von den ursprünglich 26 Mitgliedern der Linksfraktion in Brandenburg sind nun sieben stasibelastet. Man müsse die Dokumente erst mal sehen, um sie bewerten zu können, hieß es aus der Landtagsfraktion. Als heimlicher Spitzel brauchte ein Mitarbeiter des Wachregiments auch nicht zu arbeiten. Das Regiment war offiziell der Stasi unterstellt. Luthardt gelobte in einer handgeschriebenen Verpflichtungserklärung am 10. Mai 1978 als Soldat auf Zeit "die ehrenvollen Pflichten und Aufgaben eines Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit zu erfüllen". In seiner Abschlussbeurteilung vom August 1980 heißt es, Unteroffizier Luthardt sei ein "disziplinierter Genosse, der seine Dienstpflichten im politisch-operativen Sicherungsdienst vorbildlich erfüllte".

Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) wollte sich zunächst nicht zu den neuen Vorwürfen äußern: Er kenne die Akten noch nicht, hieß es in der Staatskanzlei. Am Freitag will er bei einer Sondersitzung des Landtags eine Regierungserklärung zur Serie der Stasi-Enthüllungen abgeben, die seiner Regierung einen spektakulären Fehlstart beschert haben. Platzeck, der Rot-Rot als Versöhnungsprojekt angekündigt hatte, sei wütend und mitgenommen, hieß es in seinem Umfeld. Dass zu den schon zuvor bekannten drei Stasi-Fällen in der Linksfraktion noch weitere vier gekommen seien, die laut Akten beim DDR-Geheimdienst waren, dies aber verheimlicht oder zumindest im Unklaren gelassen haben, verstehe Platzeck als Vertrauensbruch.

Aus der SPD ist seit Tagen das gleiche Statement zu hören: Die Koalition ziehe keine Schlussstriche, sondern Konsequenzen aus den neuen Erkenntnissen. Die Spitze der Linkspartei halte sich an den Koalitionsvertrag und werfe Abgeordnete aus der Fraktion, die über ihre Vergangenheit nicht informiert hätten.

Letzteres ist nur die halbe Wahrheit. Die Linken-Abgeordnete Renate Adolph ist wegen ihrer Stasi-Tätigkeit zwar zurückgetreten, als der Druck zu stark wurde. Ihr Kollege Gerd-Rüdiger Hoffmann aber klammert sich an seinen Posten. Er will trotz aufgetauchter Akten und entgegen der Aufforderung seiner Fraktion sein Mandat nicht niederlegen. Rauswerfen will Fraktionschefin Kerstin Kaiser ihn vorerst nicht. Wie Parteichef Thomas Nord war sie selbst bei der Stasi - und tut sich schwer, konsequent durchzugreifen. In der Schwebe bleibt auch der Fall von Gerlinde Stobrawa, die ihr Amt als Parlamentsvizepräsidentin nach einem Aktenfund zwar niedergelegt hat, aber weiter im Landtag sitzt. Es werde noch geprüft, heißt es, inwieweit sie die Wahrheit gesagt habe.

Michael-Egidius Luthardt, der jüngste Stasi-Fall, hat auf der Website der Linken bis zuletzt sowohl Wachregiment als auch Stasi unerwähnt gelassen. Es steht da nur, dass der Thüringer nach der Lehre als Forstfacharbeiter drei Jahre "Wehrdienst" gemacht habe. 1989 wurde Luthardt als Forstwirt promoviert, nach der Wende engagierte er sich für das Biosphärenreservat Schorfheide. Im Landtag wurde er Vorsitzender des Umweltausschusses.

Die grüne Opposition im Landtag hält sich mit Kritik zurück. Fraktionschef Axel Vogel warnte vor einer "McCarthy-Stimmung", nun sei "Augenmaß" gefragt. Die geplante Kommission zur Überprüfung von Abgeordneten müsse so bald wie möglich Akten einsehen, die Betroffenen müssten sich dazu äußern können. Die CDU forderte Platzeck auf, endlich "ganz klar" zu den Stasi-Fällen Stellung zu nehmen - und zu sagen, ob er nicht längst vom Fall Stobrawa gewusst habe. Die FDP fordert Neuwahlen. "Brandenburg als ganzes Land nimmt Schaden an dieser Regierung", sagte Fraktionschef Hans-Peter Goetz, selbst bis 1989 in der SED.

Auch in der Bundespartei der Linken zeigt man sich unzufrieden. Dagmar Enkelmann, parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, forderte Konsequenzen: Die Linke habe einen "hohen moralischen Anspruch", wer ihm nicht gerecht werde, müsse sein Mandat niederlegen.

© SZ vom 03.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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