Großbritannien:Strafzettel für Johnson

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"Es kam mir nicht in den Sinn, dass das regelwidrig sein könnte", sagte Boris Johnson. (Foto: Dan Kitwood/dpa)

Als erster britischer Premierminister der Geschichte wird Boris Johnson für einen Gesetzesverstoß belangt: Er erhält einen Bußgeldbescheid für das Besuchen einer Party während des Lockdowns. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen.

Von Michael Neudecker, London

Boris Johnson sei der "König der krassen Comedy", schrieb der Guardian neulich. Der britische Premierminister hatte da gerade bei einem Dinner mit Parteikollegen in einer Rede Witze über die Zeit gemacht, als der Partygate-Skandal an seinem Höhepunkt war - und praktisch täglich die Frage im Raum stand, ob schon genug Abgeordnete einen Misstrauensbrief an den für das Sammeln dieser Briefe zuständigen Tory Sir Graham Brady geschickt haben. Die Briefeschreiber, hatte der bestens gelaunte Johnson gesagt, sollten doch froh sein, dass sie nicht in Russland lebten, wo Putin dafür sorge, "dass niemand Briefe an Sir Grahamski Bradyski schreibt". Ein wirklich lustiger Abend soll es gewesen sein, vor zwei Wochen. Gute Witze leben vom richtigen Timing.

Am Dienstagnachmittag gab die Metropolitan Police bekannt, im Zuge der seit vielen Wochen andauernden Ermittlungen wegen regelwidriger Feste in Downing Street 30 weitere Strafen auszusprechen, womit die Zahl der Partygate-Strafen auf über 50 stieg. Es dauerte nicht lange, bis die Regierungssprecher mitteilen mussten: Auch Johnson, seine Frau Carrie sowie der Finanzminister Rishi Sunak sind unter den Empfängern. Johnson ist damit der erste britische Premierminister der Geschichte, der im Amt für eine Gesetzesübertretung bestraft wird.

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Praktisch alle Parteien jenseits der englischen Tories forderten umgehend den Rücktritt von Johnson und Sunak, allen voran Labour-Chef Keir Starmer, der LibDems-Chef Ed Davey, die schottische Erste Ministerin Nicola Sturgeon sowie Mark Drakeford, der Erste Minister von Wales. Weil das Parlament derzeit in Osterpause ist, verlangte die Opposition im Unterhaus zudem eine sofortige Rückkehr der Abgeordneten. Auch die Vertreter des Zusammenschlusses Hinterbliebener von Covid-19-Opfern kritisierten Johnson erneut deutlich und forderten seinen sofortigen Rücktritt.

Die Sprecherin von Carrie Johnson teilte am Abend mit, Carrie Johnson habe für ihre Anwesenheit bei einer Party am 19. Juni 2020 eine Strafe bezahlt, sie entschuldige sich dafür. Auch Finanzminister Sunak entschuldigte sich. Johnson verlas kurz darauf in Downing Street ein Statement, in dem er bestätigte, er habe die Strafe bereits bezahlt. "Ich entschuldige mich vollumfänglich", sagte Johnson, er sei "weniger als zehn Minuten" bei einer "Zusammenkunft" anlässlich seines Geburtstages gewesen. "Es kam mir nicht in den Sinn, dass das regelwidrig sein könnte", aber selbstverständlich respektiere er, dass die Polizei zu einem anderen Schluss kam. Er werde nun weitermachen, "mit dem Mandat, das ich habe".

Bei wie vielen Festen war der Premier?

Die Strafen sind "Fixed Penalty Notes", vergleichbar mit Strafzetteln, sie haben keinen Eintrag im Polizeiregister zur Folge. Allerdings zeigen sie an, dass der Bestrafte ein Gesetz gebrochen hat. Für das Verstoßen gegen Covid-Regeln waren anfangs zwischen 30 und 60 Pfund fällig, später wurde der Betrag erhöht; für wiederholte Vergehen sind mehrere tausend Pfund fällig. Ob es bei Johnson und Sunak bei einer einzigen Strafe bleibt, ist unklar: Die am Dienstag ausgesprochenen Strafen betreffen lediglich Johnsons Geburtstagsfeier vom 19. Juni 2020, bei der rund 30 Leute zusammengekommen sein sollen. Johnson soll allerdings bei mindestens zwei weiteren Festen anwesend gewesen sein, und die Ermittlungen der Polizei sind noch nicht abgeschlossen.

Gut möglich, dass das Briefezählen nun erneut beginnt. 54 solcher Briefe sind nötig, um ein Misstrauensvotum auszulösen. Zudem könnte die Opposition einen Misstrauensantrag stellen, über den das Unterhaus dann abstimmen müsste, sollte es wieder zusammenkommen. Getreue Tories wie Außenministerin Liz Truss oder Kulturministerin Nadine Dories verteidigten Johnson am Abend, er habe sich doch schon entschuldigt, außerdem sei es während eines Krieges nicht sinnvoll, den Premierminister auszutauschen. Unter anderem der Labour-Außenpolitiker David Lammy hingegen betonte in der BBC, Johnson habe das Unterhaus belogen - und erinnerte daran, dass die Briten in beiden Weltkriegen ihre Premierminister austauschten. Johnson hatte im Unterhaus immer wieder betont, es seien "keine Regeln gebrochen" worden.

Im vergangenen Sommer unterschrieben mehr als 133 000 Menschen eine Petition, das Lügen im Parlament zu einer Straftat zu machen: so viele, dass die Abgeordneten sich schließlich damit befassen mussten. Die Petition wurde, kaum überraschend, zurückgewiesen.

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