Wirtschaftsbeziehungen:Bolsonaro, trotz allem

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Streitfall Regenwald: Auch wegen der ungebremsten Abholzung in Amazonien unter Präsident Bolsonaro ist das Mercosur-Handelsabkommen noch nicht in Kraft. (Foto: Fernando Souza/dpa)

Warum gerade auch deutsche Unternehmen auf einen Wahlsieg des amtierenden brasilianischen Präsidenten hoffen.

Von Christoph Gurk und Boris Herrmann, Buenos Aires

Knapp zehntausend Kilometer und ein Ozean trennen Berlin und die brasilianische Hauptstadt Brasília. Dennoch gibt es zwischen beiden Ländern viele Verbindungen. Im Süden Brasiliens leben viele Nachkommen deutscher Einwanderer und São Paulo ist heute einer der bedeutendsten deutschen Wirtschaftsstandorte im Ausland. Fast tausend deutsche oder deutsch-brasilianische Firmen haben hier ihren Sitz. Hört man sich bei ihnen um, so wird schnell klar, wen sie bei der Wahl favorisieren: Jair Bolsonaro.

Erstmal überrascht das nicht. Schon bei den letzten Wahlen 2018 hatten viele Konzernchefs auf einen Sieg des rechten Politikers gehofft. Einige nur, weil sie ihn als das kleinere Übel empfanden: Bolsonaro stand auch damals schon ein Kandidat der linken Arbeiterpartei gegenüber. Viele bringen sie mit Korruption, Streiks und Arbeitskämpfen in Verbindung. Gleichzeitig warb Bolsonaro ganz gezielt um die Unternehmerschaft, er holte Paulo Guedes in sein Team, einen neoliberalen Banker, der Privatisierungen und Bürokratieabbau versprach.

Viel ist seitdem passiert: Riesige Brände im Amazonas und fast 700 000 Covid-Tote; Bolsonaro hat das Land gespalten und außenpolitisch teilweise isoliert. Dennoch stehen große Teile der Unternehmerschaft weiter hinter dem rechten Amtsinhaber. "Das ist aus brasilianischer Sicht eine rationale Entscheidung", sagt Philipp Klose-Morero, der in Brasilien für die Beratungsgesellschaft Rödl & Partner deutsche Unternehmen berät. "Der Wirtschaft geht es vergleichsweise gut, viele wollen keinen Richtungswechsel." Anders als früher sage man aber eher hinter vorgehaltener Hand, dass man den rechten Amtsinhaber favorisiere. "Viele deutsche Unternehmer sind mit dem wirtschaftlichen Programm von Bolsonaro einverstanden, nicht aber mit ihm als Reizfigur, auch weil sie wissen, dass er im Ausland schlecht ankommt", sagt Klose-Morero. Mit dem Kandidaten der Linken, Luiz Inácio Lula da Silva, sei es andersherum: "Er wird in Europa geschätzt, aber viele übersehen, dass sein Ansehen in Brasilien seit den Korruptionsskandalen ähnlich gelitten hat wie bei uns vielleicht das von Gerhard Schröder seit dem Ausbruch des Ukrainekrieges."

Kommt endlich das Handelsabkommen der EU mit den Ländern Südamerikas?

Und dann ist da auch noch das geplante Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten, allen voran Brasilien: Befürworter hoffen, dass der Vertrag den internationalen Handel erleichtert, Kritiker glauben dagegen, der Deal würde die Abholzung im Amazonas befeuern. Derzeit liegt das Abkommen auf Eis. Und ob sich daran etwas ändern wird, ist fraglich. Franziska Brantner, die für die Grünen als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium sitzt, sagt: "Wir setzen uns nur für das Mercosur-Abkommen ein, wenn es an klare und verbindliche Kriterien zu Menschenrechten, Nachhaltigkeit, Transparenz und Waldschutz geknüpft ist." So stehe das auch konkret im Koalitionsvertrag.

Schwer vorstellbar, dass solche Ziele mit Bolsonaro durchsetzbar sind. Fortschritte bei dem Abkommen sind aber auch mit einem Sieg von Lula da Silva keineswegs sicher: Er hat in der Vergangenheit immer wieder den Vertrag kritisiert und Nachbesserungen gefordert.

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