Türkei:In kühler Freundschaft

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"Ein neuer Konflikt zwischen Halbmond und Kreuzrittern"? Der türkische Außenminister Hakan Fidan (rechts) am Montag mit seinem amerikanischen Kollegen Antony Blinken. (Foto: Adem Altan/AFP)

Antony Blinken war ein paar Stunden lang in Ankara, der letzten Station seiner Nahostreise. Er besuchte ein Land, das in dem Konflikt vermitteln will - und in dem gleichzeitig der Hass auf Israel hochkocht.

Von Raphael Geiger

Als der amerikanische Außenminister Antony Blinken frühmorgens am Montag in Ankara landete, kam er aus dem Irak, davor war er unter anderem im Westjordanland, jetzt befand er sich wieder auf dem Boden eines Nato-Verbündeten. In der türkischen Hauptstadt musste Blinken immerhin keine Schutzweste tragen wie anderntags in Bagdad, er wird aber schnell gespürt haben, dass seine paar Stunden hier nicht sonderlich warmherzig ausfallen würden.

Den stellvertretenden Gouverneur von Ankara schickte die türkische Regierung zu seiner Landung an den Flughafen, ein betont kühler Empfang. An der Route vom Flughafen in die Stadt hing von einer Brücke herab ein Poster, darauf Abu Obeida, so nennt sich der Kommandeur der Kassam-Brigaden, also der Kämpfer der Hamas. Als Blinken später auf seinen türkischen Kollegen Hakan Fidan traf, legte Blinken ihm zur Umarmung die Hand an die Schulter. Fidan erwiderte das nicht, er blieb beim Handschlag.

Kleinigkeiten mögen das sein. Symbolik. Und doch sind es Signale der türkischen Seite, Signale, die sich vor allem ans heimische Publikum richten. In der Türkei war man beleidigt, dass Blinken das Land auf seiner vorherigen Tour durch die Region links liegen ließ. Zudem weiß Recep Tayyip Erdoğan, dass in seinem Land in den vergangenen Wochen der Hass auf Israel hochgekocht ist. Der Präsident gab sich, war die Rede vom Konflikt im Nahen Osten, lange moderat. Vor einer Woche dann sprach er auf einer Pro-Palästina-Demo in Istanbul und griff den Westen scharf an.

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Das "Massaker in Gaza" sei "das Werk des ganzen Westens", der sich "nur nicht selbst die Hände schmutzig" mache. Ob der Westen "einen neuen Konflikt zwischen Halbmond und Kreuzrittern" wolle? Das fragte Erdoğan auf der Demonstration. Er gab sich als Vertreter der Unterdrückten, das sei die Rolle der Türkei, in Libyen, in Bergkarabach, in Gaza. In der Masse in Istanbul riefen manche, der Präsident möge die türkische Armee in den Gazastreifen schicken, zum Schutz der Palästinenser.

Nur Stunden vor Antony Blinkens Besuch zog im südtürkischen Adana eine wütende Menge zur dortigen Militärbasis. Auf dem Luftwaffenstützpunkt Incirlik sind auch US-Truppen stationiert. Offenbar ging es den Menschen darum, die Basis einzukreisen. Die Polizei vertrieb sie schließlich mit Wasserwerfern. Die Stimmung in der Türkei ist so aufgeladen, dass Israel seinen ganzen diplomatischen Stab evakuiert hat. Als Außenminister Fidan seinem US-Kollegen Blinken die Umarmung verweigerte, machte das in den sozialen Medien sofort die Runde. Fidan wurde gefeiert. Für seine Körpersprache.

Nun ist es bei Präsident Erdoğan so, dass sich Rhetorik und Politik nicht immer zueinander kongruent verhalten. Anders gesagt: Ist er laut, dann muss das noch nichts heißen. Erdoğan ist gegenüber Israel zwar schärfer geworden, er hat sich aber viel Spielraum gelassen. Während manche Länder, Chile zum Beispiel oder Bolivien, ihre diplomatischen Beziehungen zu Jerusalem abbrachen, ist Erdoğan so weit bisher nicht gegangen. In kaum einer seiner Reden vergisst er, auch die Gewalt der Hamas gegen israelische Zivilisten zu verurteilen, wenn auch eher leise, in Halbsätzen.

Am Wochenende wies er sogar daraufhin, dass Ibrahim Kalin mit den Israelis in Kontakt sei. Kalin ist Chef des türkischen Geheimdiensts MIT, vorher war er jahrelang einer der engsten Berater von Erdoğan. Noch immer sieht der türkische Präsident sich als möglichen Vermittler zwischen Israel und der Hamas. Die Türkei könne "Garantiemacht" sein, so Erdoğan. Es gehe um "Mechanismen für die Sicherheit aller, egal ob Christen, Muslime oder Juden".

Erdoğans Politik, mit jedem im Gespräch zu bleiben, hat auch schlicht mit seiner Not zu tun. Die Türkei ist wirtschaftlich sowohl auf den Westen als auch auf Russland und die arabischen Länder angewiesen, und mit Israel plante Erdoğan zuletzt ein Gasprojekt im Mittelmeer. Auffällig ist, dass er eher den Westen attackiert als Israel selbst, als gehe er davon aus, dass sie im Westen seine Rhetorik schon einzuordnen wissen.

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Eine Frau protestiert gegen den US-Außenminister und ruft "Babykiller Blinken"

Selbst in diesen Wochen leitete der Präsident den schwedischen Nato-Beitritt ans Parlament weiter, ein Signal des guten Willens. Und so weit ist die türkische Position im Nahostkonflikt, sieht man von der Rhetorik ab, von der amerikanischen gar nicht entfernt, letztlich wollen beide Seiten vermeiden, dass sich der Krieg ausweitet. Antony Blinken warb auf seiner Reise für einen "nachhaltigen Frieden", das Wort Waffenstillstand benutzte er nicht. Das tat die türkische Seite nach Blinkens Termin mit Hakan Fidan in Ankara. Zweieinhalb Stunden lang sprachen die Außenminister. Fidan habe "einen sofortigen Waffenstillstand" gefordert, hieß es.

Eine einzelne Frau stand währenddessen draußen vor dem Außenministerium, sie rief: "Babykiller Blinken!" Babykiller, so nennen in der Türkei viele Israelhasser den jüdischen Staat. Die Sicherheitskräfte bewogen die Frau dazu, sich zu entfernen, so sanft, wie türkische Polizisten selten mit Demonstranten umgehen. Es glich fast einer Umarmung.

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