Umstrittene Familienleistung:Warum Karlsruhe das Betreuungsgeld kippen könnte

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Für Kinder vom 15. bis zum 36. Monat zahlt der Staat 150 Euro pro Monat, wenn die Eltern keinen öffentlich geförderten Kita-Platz in Anspruch nehmen. (Foto: Kai Pfaffenbach/Reuters)
  • Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit dem umstrittenen Betreuungsgeld.
  • Die Familienleistung könnte gegen Artikel 3 des Grundgesetzes verstoßen, in dem sich der Staat verpflichtet, die "tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern" zu fördern.
  • Zudem steht in der Diskussion, ob ein finanzieller Ausgleich gezahlt werden kann, wenn Bürger eine Infrastrukturleistung nicht in Anspruch nehmen - wie eine öffentliche Kita.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Man kann das Betreuungsgeld mit ziemlich guten Gründen als sozialpolitischen Unsinn ansehen, weil es Kinder von den Chancen einer frühen Förderung in der Kita fernhält und Frauen faktisch zurück an den Herd drängt - womit sie womöglich den Anschluss im Berufsleben verpassen. An diesem Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht über eine Klage Hamburgs gegen das Betreuungsgeld. Das ist verfassungsrechtlich komplizierter, als es die politische Diskussion vermuten lässt. Schließlich wird niemandem etwas genommen, aber einigen etwas gegeben. Die Frage lautet: Kann es verfassungswidrig sein, wenn der Staat Geld ausgibt für eine doch eigentlich gute Sache - für die Familien? Um die Antwort vorweg zu nehmen: Ja, es kann. Aber es ist gar nicht so einfach zu begründen.

Ein Vorwurf der von den Professoren Margarete Schuler-Harms und Arndt Schmehl formulierten Klage lautet, die Zahlung von 150 Euro Betreuungsgeld für Kinder vom 15. bis zum 36. Lebensmonat verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Das wirkt überraschend, denn die CSU, die das Gesetz durchgedrückt hat, behauptet das genaue Gegenteil: Die Leistung sei ausgleichende Gerechtigkeit für jene, die auf die Kita verzichten - und damit auf ein mit Steuergeld finanziertes Angebot. Ein süffiges Argument, aber bei genauerem Hinsehen nicht wirklich überzeugend.

(Foto: sz grafik)

Denn mit dem Ausbau von Kitas erfüllt der Staat seine Aufgabe, die Voraussetzungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen. Er schafft eine Infrastruktureinrichtung, wie eine Stadtbibliothek; man hat noch nicht gehört, dass Nichtleser Geld für den Verzicht auf die Bücherleihe bekommen. Außerdem könnte man in der CSU-Logik auch fordern: Wenn schon Ausgleich, dann für alle Familien mit Kindern im Vorschulalter. Gibt es aber nicht - nach dem dritten Geburtstag fällt das Betreuungsgeld weg.

95 Prozent Frauen gegen gut fünf Prozent Männer

Ein weiterer Punkt: Die Chancengleichheit der Frauen. Artikel 3 des Grundgesetzes verpflichtet den Staat, die "tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern" zu fördern und auf die "Beseitigung bestehender Nachteile" hinzuwirken. Es kommt also auch auf die faktischen Wirkungen eines Gesetzes an und nicht nur auf die Buchstaben. Die Statistik zeichnet hier ein klares Bild: Im vierten Quartal 2014 bezogen bundesweit 366 000 Mütter Betreuungsgeld und nur 20 500 Väter - fast 95 gegen gut fünf Prozent. Das Betreuungsgeld dürfte damit zur Verfestigung einer überkommenen Rollenverteilung beitragen.

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Zwar hängt die Zahlung des Betreuungsgeldes nicht davon ab, dass die Eltern ihre Kinder wirklich selbst betreuen - sondern nur vom Verzicht auf eine öffentlich geförderte Kita. Theoretisch können also beide berufstätig bleiben. Doch auch hier lauert ein Fehlanreiz. Öffentliche Betreuungseinrichtungen sind an bestimmte Qualitätsstandards gebunden. Wer die 150 Euro einstreicht und trotzdem arbeiten geht, wird sich im privaten Betreuungssektor umtun - und landet im schlimmsten Fall bei Betreuern, die aus guten Gründen keine Erlaubnis zum Betrieb einer Kita erhalten haben. Mit dem Betreuungsgeld werden also indirekt private Angebote gefördert, die keiner Qualitätskontrolle unterliegen.

Es gibt, außer all diesen Widersprüchen und Inkonsistenzen, aber noch ein hartes Argument, an dem das Betreuungsgeld scheitern könnte. Aus Klägersicht war der Bund dafür gar nicht zuständig. Gestützt wurde es auf die Bundeskompetenz für die "öffentliche Fürsorge". Fürsorge? Die Bedürftigkeit von Eltern oder Kindern ist ja gerade nicht Voraussetzung für den Anspruch, sondern allein der Verzicht auf die Kita - egal, ob man arm ist oder reich.

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Zudem müsste die Regelung zur "Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse" im Bundesgebiet erforderlich sein, eine Vorgabe, die das Bundesverfassungsgericht stets sehr länderfreundlich interpretiert hat. Das Betreuungsgeld ist aber nicht darauf ausgerichtet, bundesweite Unterschiede bei der Kinderbetreuung zu glätten. Es gilt das Prinzip Gießkanne; das Gesetz differenziert nicht Regionen, in denen ein Zuschuss für die Eltern wegen fehlender Kita-Plätze besonders dringlich wäre.

Ein Urteil wird in einigen Monaten fallen. Sollte das Gesetz allein an der Zuständigkeit scheitern, könnte die CSU einen neuen Anlauf wagen. In Bayern.

© SZ vom 14.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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