"Männer und Frauen sind gleichberechtigt": Als der Satz 1949 ins Grundgesetz geschrieben worden war, tat die Politik erst einmal so, als handele es sich nur um ein nettes Sprüchlein. Die Politiker warfen ihr Sakko über diesen Artikel 3: Sie ließen die alten Gesetze, die von einer natürlichen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau ausgingen, so, wie sie waren.
Aber dann kam das Bundesverfassungsgericht. Bald nach seiner Gründung stellte es in einem seiner ersten großen Urteile klar: Der Gleichberechtigungssatz ist eine Verfassungsnorm, an der sich alle Gesetze messen lassen müssen. Karlsruhe zwang den Gesetzgeber zu fundamentalen Änderungen im gesamten Bürgerlichen Recht.
Zuerst verwarfen die Richter das Letztentscheidungsrecht des Ehemanns über Frau und Kinder; dann bereiteten sie Stück für Stück der Emanzipation den Weg. Ohne Karlsruhe wäre wohl das alte Familienmodell - der Mann verdient das Geld, die Frau versorgt den Haushalt -noch immer das rechtlich gültige.
Fördert das Betreuungsgeld ein verfassungswidriges Familienmodell?
Soeben bereitet sich das Verfassungsgericht auf eine neue historische Leitentscheidung vor. Am kommenden Dienstag verhandelt es "in Sachen Betreuungsgeld". Diese 150 Euro pro Monat, als "Herdprämie" verschrien, erhalten Eltern für Kinder, wenn sie diese nicht in eine staatlich subventionierte Kita oder Pflegestelle geben.
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Kinderpfleger, Erzieher und Sozialarbeiter wollen besser bezahlt werden. Für die Forderung finden sie breite Unterstützung in der Politik und Gesellschaft - weil sich kaum jemand verpflichtet fühlt, zu zahlen.
Die schwarz-gelbe Koalition hat das Betreuungsgeld 2012 im Bundestag beschlossen; die CSU wollte damit die Hausfrauen-Ehe unterstützen. Verträgt sich das mit der Gleichberechtigung? Bundespräsident Joachim Gauck hatte Zweifel. Er unterschrieb das Gesetz nach einigem Zögern dann doch, weil, "die verfassungsrechtlichen Bedenken nicht so durchgreifend" seien. Wie durchgreifend diese wirklich sind, muss jetzt auf Klage Hamburgs das höchste Gericht klären.
Ihr Forum:Behindert das Betreuungsgeld die Gleichberechtigung von Mann und Frau?
Am kommenden Dienstag verhandelt das Bundesverfassungsgericht, ob das Betreuungsgeld mit der verfassungsmäßigen Gleichberechtigung von Frau und Mann vereinbar ist. Wie würden Sie sich als Bundesverfassungsrichter entscheiden?
Die verfassungsrechtlichen Kernfragen lauten: Fördert das Betreuungsgeld ein verfassungswidriges Familienmodell? Setzt es falsche Anreize für den Ausstieg von Frauen aus dem Beruf? Das behaupten die Kritiker. Sie befürchten den familienpolitischen Rückfall in alte Zeiten, sie beklagen eine fatale symbolische Wirkung - gegen die Doppelverdienerehe, gegen Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Staat fördere traditionelle Rollenmuster; das Betreuungsgeld begünstige nicht die Erwerbskarriere, sondern, im Fall der Scheidung, eine Hartz-IV-Karriere der Frauen. Die CSU hält das für aufgeregtes Getue. Das Betreuungsgeld sei ein gerechter Ausgleich: Es würde ja der Kita-Ausbau staatlich gefördert, also müsse auch häusliche Betreuung gefördert werden.
Urteilt das Verfassungsgericht in dem Geist, der seine Urteile seit jeher geprägt hat, dann dürfte es am Betreuungsgeld-Gesetz nicht viel Gutes finden. Wenn man mit dem Leuchtstift durch diese Urteile geht und einschlägige Stellen markiert, ergibt sich ein negatives Urteil fast von selbst. "Zur Gleichberechtigung der Frau gehört", so heißt es etwa in einem Urteil von 1957, "dass sie die Möglichkeit hat, mit gleichen rechtlichen Chancen marktwirtschaftliches Einkommen zu erzielen wie jeder männliche Staatsbürger".
Und seit dem Jahr 1994 steht im Grundgesetz ein Satz, der die einschlägigen Karlsruher Urteile zusammenfasst: "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." Aber: Es gibt in der jüngsten Karlsruher Rechtsprechung zum Familienrecht auch etliche konservative Blinklichter.
Die früheren Gegner verteidigen das Betreuungsgeld vor Gericht
Bis zum Herbst 2013 standen die SPD und die jetzige SPD-Familienministerin Manuela Schwesig an der Spitze der Kritiker des Betreuungsgeldes; im Wahlkampf hatten sie dessen Abschaffung verlangt, zugunsten des Kita-Ausbaus. Im Koalitionsvertrag konnten sie das nicht durchsetzen. Schwesig und die SPD setzen seitdem auf die Verfassungsklage des Landes Hamburg.
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Delikat ist die Sache deswegen, weil nun das von SPD-Ministerin Schwesig geführte Bundesministerium nach der Geschäftsverteilung der Bundesregierung berufen ist, das Betreuungsgeld gegen die Klage aus dem SPD-geführten Hamburg zu verteidigen. Schwesig hat die heikle Aufgabe mit einem Trick bewältigt: Ihr Schriftsatz ist zwar 74 Seiten lang, geht aber auf die entscheidenden Grundrechtsfragen nicht ein. Die Klageerwiderung beschreibt nur, warum der Bund entgegen der Hamburger Ansicht durchaus Gesetzgebungskompetenz habe. Weiter geht die Argumentation nicht. Die Union hätte sich eine inbrünstigere Verteidigung des Betreuungsgeldes gewünscht, aber das SPD-Ministerium saß am längeren Hebel. Es wäre sonst, wie Schwesig erläutert, gar keine Stellungnahme geschrieben worden; diese muss nämlich von der Bundesregierung einstimmig verabschiedet werden.
Doppelt delikat wird die Angelegenheit bei der mündlichen Verhandlung: Zur Verteidigung des Gesetzes tritt für die Bundesregierung Schwesigs Staatssekretär Ralf Kleindiek auf. Er war Staatsrat in der Hamburger Justizbehörde, als diese seinerzeit die Klage vorbereitete. Schwesig sieht darin kein Problem: "Er hat erst dem Land gedient, jetzt dient er dem Bund; das ist Föderalismus." Auf vorgetragene Argumente ist das Gericht eh nicht angewiesen: Es prüft souverän, ob das Betreuungsgeld Grundrechte achtet oder verbiegt.