Besuch in Gaziantep:Merkel kämpft mit schönen Bildern für den Pakt mit der Türkei

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Dem Abkommen mit der Türkei ein freundliches Gesicht geben: Das ist das Ziel des Kurztrips von Merkel und EU-Ratspräsident Tusk. Am Ende geht es dann aber doch wieder um Jan Böhmermann.

Von Stefan Braun, Gaziantep

Die drei kleinen Mädchen würden dem Gast aus Deutschland so gerne ein paar Blumen in die Hand drücken. Lachend und blödelnd haben sie pünktlich am mit Rosen verzierten Tor Stellung bezogen. Über ihnen prangt, umrahmt von bunten Luftballons, das noch sehr frische Eingangsschild. Auf Arabisch, Türkisch und Englisch begrüßt hier seit neuestem das UN-Kinderschutzzentrum "My happiness" die Besucher. Es soll Schutzraum und Hilfe für Flüchtlingskinder bieten.

Die Mädchen zupfen noch einmal an ihren weißen Blusen und schwarzen Röcken. Gleich wird der Tross mit Angela Merkel, Donald Tusk und Frans Timmermans um die Ecke biegen. Doch als das geschieht, verschwinden die Mädchen binnen Sekunden hinter den Dutzenden von Sicherheitsleuten. Unter dem Gejohle von gut hundert AKP-Anhängern fährt ein großer Reisebus vor. Auf dessen Dach halten zwei schwerbewaffnete Polizisten mit Maschinenpistolen nach Gefahren Ausschau.

Als dann erst der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu und danach das Trio aus Europa austeigen, skandieren die gut organisierten AKP-Leute hinter den Absperrgittern erst "Türkei, Türkei, Türkei". Es folgen Lobgesänge mit dem Slogan "Wir sind stolz auf Euch". Und als sich Angela Merkel entschließt, mit Davutoglu noch ein paar Hände zu schütteln, ertönt im Chor: "Merkel Hu-la-la, Merkel hu-la-la, Merkel hu-la-la."

Die EU-Gesandtschaft wird am Flüchtlingslager Nizip empfangen - und posiert erstmal für ein Foto. (Foto: Uygar Onder Simsek/dpa)

Die Reise liefert vor allem schöne Bilder - für die Türkei

Gutes tun, Flüchtlingen helfen, dem Abkommen mit der Türkei ein freundliches Gesicht geben - das ist das Ziel des Kurztrips, der Merkel, Tusk und Timmermans am Samstag ins südostanatolische Gaziantep geführt hat. Mit ihrem Blitzbesuch, der gerade mal fünf Stunden dauert, wollen sie gegen die verbreitete Kritik an der Vereinbarung kämpfen, mit der Brüssel, Berlin und Ankara die Flüchtlingskrise in den Griff bekommen möchten.

Hier aber, vor dem neuen UN-Kinderschutzzentrum, ist es vor allem eine Reise, die dem türkischen Ministerpräsidenten schöne, sehr schöne, spektakuläre Bilder liefert. Dass Davutoglu später von einem historischen Tag spricht, kann da nicht überraschen.

Immerhin, als alle Chöre heiser sind, können die vier doch noch das rote Band durchschneiden und damit eine von der UN geführte und der EU finanzierte Hilfseinrichtung eröffnen. Das soll belegen, dass sich mit dem heftig umstrittenen Abkommen nicht nur Baustellen und Probleme, sondern auch Sinnvolles verbindet. Knapp hundert Millionen Euro sind seit Anfang April schon in Flüchtlingsprojekte in der Türkei geflossen; bis Juli sollen bis zu einer Milliarde Euro aus der EU kommen.

Für EU-Verhältnisse ist das ein ungewöhnlich hohes Tempo. Gemessen am Bedarf der Menschen ist es gleichwohl überfällig. Und gemessen an der Notwendigkeit, dem Pakt auch zuhause in Deutschland und der EU mehr Legitimation zu verschaffen, ist es unverzichtbar.

Also loben später alle vier auf der gemeinsamen Pressekonferenz das Abkommen als zentrale Lösung aller Probleme. Man sei sehr gut vorangekommen, schwärmt Davutoglu. Von einer großen Leistung der Türken und dem sehr großen Nutzen der EU-Hilfen spricht Angela Merkel. Und Donald Tusk erinnert daran, was im Kampf gegen die Schlepper schon alles erreicht wurde.

Dabei aber mag es der ehemalige polnische Regierungschef noch nicht belassen. Tusk nutzt seinen Auftritt in Gaziantep, um dem Gastgeber ein besonderes Geschenk zu bereiten. "Die Türkei", so der EU-Ratspräsident, "ist heute das beste Beispiel auf der Welt dafür, wie man mit Flüchtlingen umgehen soll." Viel dicker kann ein Lob gar nicht mehr ausfallen. Kurz zuvor hatten Merkel, Tusk und Timmermans nicht nur das Kinderschutzzentrum besucht, sondern auch einem türkischen Flüchtlingslager mit rund 10 000 Menschen einen Besuch abgestattet. Wissend, dass auch in der Türkei die vielen Flüchtlinge und das Abkommen mit der EU kritisiert werden. Die Visite soll auch dem Trend entgegen wirken und Ankara innenpolitisch den Rücken stärken.

Allein in der Region um Gaziantep an der syrischen Grenze leben heute Hunderttausende syrischer Flüchtlinge. Die meisten haben bei Verwandten, Freunden, hilfsbereiten Menschen Unterschlupf vor dem Krieg im Nachbarland gefunden. Sie tragen den Spitznamen urban refugees (städtische Flüchtlinge), was harmloser klingt als es sein wird. Nur knapp 15 Prozent aller Flüchtlinge in der Türkei haben das Glück, in versorgten Lagern unter zu kommen. In der Region Gaziantep sind es rund 50 000 Menschen, Türkei-weit knapp 300 000.

Flüchtlingslager Nizip
:Merkel in der Türkei: Begegnung durch die Smartphone-Linse

Unter enormen Sicherheitsvorkehrungen besucht die Kanzlerin mit einer EU-Delegation ein Flüchtlingslager an der syrischen Grenze. Ihr Besuch ist perfekt vorbereitet.

Viele Probleme bleiben unerwähnt

Das EU-Trio ist nun gekommen, um sich auch so ein Lager mal genauer zu betrachten. Dort haben die Menschen nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern sind auch mit Krankenstationen, Schulen und Supermärkten versorgt. Lob dafür kommt nicht nur vom UN-Flüchtlingshilfswerk, auch Merkel betont nach der kurzen Visite, die Türkei leiste hier viel, weil sie vor allem mit dem Schulunterricht in die Zukunft der Flüchtlinge investiere.

Was beim vielen Loben an diesem Nachmittag weitgehend unter den Tisch fällt, sind die Probleme, die das Abkommen nach wie vor auch vielen bereitet. Von den Verlierern ist so gut wie gar nicht die Rede. Das gilt vor allem für jene Flüchtlinge, die seit dem Abkommen kaum noch eine Chance auf einen Weg Richtung Europa haben, Afghanen und Iraker vor allem. Über türkische Sicherheitsgarantien für diese Flüchtlinge wird zwar weiter verhandelt. Beschlossen aber ist nichts. Und in Gaziantep ist es öffentlich an keiner Stelle ein Thema gewesen.

Am Ende geht es doch wieder um Jan Böhmermann

Das Gleiche wäre beinahe auch mit der Debatte um die Lage der Menschenrechte geschehen. Erst die allerletzte Frage auf der Pressekonferenz lenkt den Blick auf das Thema. Merkel betont dabei noch einmal, niemand müsse die Sorge haben, dass das Thema plötzlich nicht mehr angesprochen werde. Im Gegenteil. Da sie Davutoglu immer häufiger sehe, nehme der Austausch auch darüber inzwischen mehr Platz ein. .

Anders klingt zunächst auch der türkische Ministerpräsident nicht. Wie die deutsche Kanzlerin versichert er zum Abschluss, dass man über alles sprechen könne. Dann allerdings fügt er hinzu, dass die Türkei es nicht zulassen werde, wenn Kritiker "von außen und von oben" über das Land urteilen würden. Über alles reden heiße aus seiner Sicht überdies, auch rassistische Äußerungen in Europa nicht auszusparen. Das gelte für Beleidigungen, Schmähungen, Verletzungen der Menschenwürde, auch die von Präsidenten. Er trägt es ganz leise vor, aber jeder weiß, was gemeint ist. Und so landen alle Beteiligten zum Schluss der knappen fünf Stunden bei Jan Böhmermann und dem Streit mit Recep Tayyip Erdogan, dem türkischen Präsidenten.

Das Schlusswort gehört indes nicht Davutoglu und auch nicht Angela Merkel. Es ist Donald Tusk, der an seine eigene Geschichte erinnert. Er sei vor gut 30 Jahren selbst als Oppositioneller in Polen im Gefängnis gelandet, erzählt er. Auch deshalb habe er sich, als er später Politiker wurde, eine dicke Haut zugelegt, um Kritik auszuhalten. ,,Das ist nicht schön'', sagt Tusk. ,,Aber es muss sein." Warum? Weil die Grenze zwischen Kritik, Beleidigung und Schmähungen manchmal "dünn und relativ" sei. Gerade deshalb sollten Politiker nicht anfangen, über diese Grenze zu urteilen. Täten sie es doch, sei das der Anfang vom Ende der Pressefreiheit - ob in Afrika, der Türkei oder Russland. Ein recht diplomatischer Wing zum Abschied.

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