Mord im Kleinen Tiergarten in Berlin:Prozess gegen Tatverdächtigen beginnt

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August 2019: Beamte der Spurensicherung sichern in einem Faltpavillon Spuren an einem Tatort im Kleinen Tiergarten. (Foto: Christoph Soeder/dpa)

Hat ein 55-Jähriger am helllichten Tag mitten in Berlin einen Tschetschenen mit georgischer Staatsangehörigkeit erschossen? Und steckt ein Auftrag der russischen Regierung dahinter? Das wollen die Richter mehr als ein Jahr nach der Tat herausfinden.

Mehr als ein Jahr nach einem aufsehenerregenden Tötungsdelikt in Berlin beginnt diesen Mittwochmorgen der außenpolitisch brisante Prozess gegen den Tatverdächtigen. Am 23. August 2019 war ein Tschetschene mit georgischer Staatsangehörigkeit im Kleinen Tiergarten in der Nähe des Regierungsviertels aus nächster Nähe erschossen worden. Der Tatverdächtige, ein 55-jähriger Russe, wurde noch am selben Tag gefasst und sitzt seitdem in Untersuchungshaft. In ihrer Anklage gegen ihn geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass Russland den Mord bei ihm in Auftrag gegeben hatte.

Hintergrund sei demnach "die Gegnerschaft des späteren Opfers zum russischen Zentralstaat, zu den Regierungen seiner Autonomen Teilrepubliken Tschetschenien und Inguschetien sowie zu der pro-russischen Regierung Georgiens" gewesen. Der Mann war von russischen Behörden als Terrorist eingestuft worden. Wegen des vermuteten politischen Hintergrunds hatte die höchste deutsche Anklagebehörde die Ermittlungen übernommen. Der Fall führte zu einer Krise in den deutsch-russischen Beziehungen.

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Der Generalbundesanwalt erhebt Anklage - und zeigt sich überzeugt: Der russische Staat hat den Mord an einem Tschetschenen aus Georgien in Auftrag gegeben. Außenminister Maas droht Russland mit "weiteren Maßnahmen".

Von Florian Flade, Georg Mascolo und Ronen Steinke

Der mutmaßliche Mörder soll getarnt als Tourist mit Alias-Namen aus Moskau über Paris und Warschau in die deutsche Hauptstadt eingereist sein. Wenige Tage später soll er sich auf einem Fahrrad dem Mann, der seit Ende 2016 als Asylsuchender in Deutschland lebte, im Kleinen Tiergarten genähert und diesen erschossen haben. Zeugen sollen beobachtet haben, wie er später eine Perücke sowie ein Fahrrad und eine Waffe in der Spree versenkte.

Was beim sogenannten Tiergartenmord noch unklar zu sein scheint, ist das Motiv des mutmaßlichen Täters. "Entweder erhoffte er sich eine finanzielle Entlohnung oder er teilte das Motiv seiner Auftraggeber, einen politischen Gegner zu töten und hierdurch Vergeltung für die Beteiligung an früheren Konflikten mit Russland zu üben", heißt es bei der Bundesanwaltschaft. Zu dem Angeklagten existierte eine russische Fahndungsmitteilung vom April 2014, die im Juni 2014 ergänzt und im Juli 2015 gelöscht wurde.

Die Bundesregierung wirft der russischen Regierung seit Monaten fehlende Kooperation in dem Fall vor und hatte deswegen bereits wenige Wochen nach dem Mord zwei russische Diplomaten ausgewiesen. Russlands Präsident Wladimir Putin reagierte auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Ukraine-Gipfel mit einem Wutausbruch und nannte den Ermordeten einen "Banditen" und "Mörder". Wenig später wurden auch zwei deutsche Diplomaten in Moskau ausgewiesen.

Mit dieser Vorgeschichte hängt wohl auch zusammen, dass Merkel im Fall des vergifteten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny ungewöhnlich offensiv vorgeht. Auch hier verlangt die Bundesregierung Aufklärung. Hinzu kommt ein weiterer Fall, der die Bundesanwaltschaft beschäftigt: der bisher größte Cyber-Angriff auf den Bundestag im Jahr 2015, von dem auch Merkels Büro betroffen war. Die Karlsruher Ermittler haben einen Haftbefehl gegen einen russischen Hacker erwirkt.

Für den Prozess um den sogenannten Tiergartenmord sind 25 Verhandlungstermine bis zum 27. Januar 2021 festgesetzt. Er findet unter strengen Sicherheitsvorkehrungen am Berliner Kammergericht statt. Die Hauptverhandlung, die von einem Staatsschutzsenat des Gerichts geführt wird, dürfte einer der spektakulärsten Mordprozesse seit Jahren in Berlin werden. Das Urteil könnte erhebliche politische Auswirkungen haben. Sollte es das Gericht als erwiesen ansehen, dass der Angeklagte einen Auftrag zum Töten aus Moskau bekam, wäre dies ein weiterer herber Rückschlag für das ohnehin schon schwer angeschlagene Verhältnis beider Länder. Die Bundeskanzlerin hat für diesen Fall bereits Konsequenzen angekündigt.

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