Asylbewerber:Berliner Flüchtlingsamt stößt an Grenzen

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Eine geflüchtete Familie aus Afghanistan wartet im Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten auf den Beginn der Bearbeitung des Asylverfahrens. (Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Zigtausende Geflüchtete harrten 2015 in Berlin vor ihrer Erstaufnahme Tag und Nacht im Freien aus. Mit einer neuen Behörde sollte das besser werden. Wie weit ist das gelungen?

Von Sara Maria Behbehani, Berlin

Es ist ruhig an diesem Morgen vor dem ehemaligen Bankgebäude in Berlin-Charlottenburg. Vor den Toren stehen mehr Security-Mitarbeiter als Asylsuchende. Drinnen, in dem großen Wartesaal, sind die meisten der eintausend Stühle unbesetzt. Keine Warteschlange, keine Hektik - im Berliner Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) scheint alles glattzulaufen.

Rund 550 Mitarbeiter arbeiten hinter der glatten, grauen Fassade des Eckgebäudes. Sie kümmern sich um die Aufnahme und Registrierung Geflüchteter, sorgen für deren materielle Unterstützung und Unterbringung, auch dafür, dass die Menschen medizinisch und sozial versorgt werden. 18 000 Schützlinge in 82 Unterkünften stehen derzeit unter ihrer Obhut.

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Das LAF ist ein junges Amt, erst vor fünf Jahren, im August 2016, nahm es seine Arbeit auf. Geboren wurde es aus einem totalen Behördenversagen heraus: Zigtausende Flüchtlinge hatten in den Monaten zuvor Tag und Nacht bei Hitze und Minusgraden im Freien warten müssen, um ihre Aufnahme zu beantragen und erste Hilfen vom Land Berlin zu erhalten. Das Kürzel für dieses Versagen: Lageso.

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Moabit war in der Flüchtlingskrise so dramatisch überfordert, dass Beobachter sich ratlos fragten, warum Berlin nicht hinbekommt, was anderen Städten gelingt. Während sich im Lageso die unbearbeiteten Fälle in Postkisten stapelten, gingen 40 Rechtsanwälte gegen den damaligen CDU-Sozialsenator Mario Czaja und dessen Amtsleiter Franz Allert vor: Sie reichten Anzeigen wegen Körperverletzung und Nötigung im Amt ein.

Der Stresstest: 200 Zuwanderer am Tag

Die bundesweiten Negativschlagzeilen sollten sich nicht wiederholen - deshalb entstand das LAF. Dort bemüht man sich nun zu zeigen, wie viel besser sowohl die Geflüchteten als auch die Mitarbeitenden es nun haben. Ein Imagefilm erzählt vom Teamgeist, vom Anpacken, Präsident Alexander Straßmeir sieht seine Behörde auf einem guten Weg: "Das LAF hat sich in Berlin zum Akteur mit dem größten Know-how für qualitätsgesicherte Unterbringung von Wohnungslosen entwickelt." Als Straßmeir vor drei Jahren die Leitung übernahm, wurden die Menschen noch in einem Hangar des Flughafens Tempelhof untergebracht. Diese Phase sei vorbei, das Amt habe eigene Unterkünfte organisiert, darunter anstelle von Wohnheimen viele kleinere Einheiten.

Alles gut also? Das Bündnis "Moabit hilft" koordinierte vor dem Lageso die medizinische Ersthilfe für Geflüchtete, verteilte Kleidung und Essen. Die Szenen, die sich dort abspielten, sind Sprecherin Diana Henniges noch präsent. Dass Menschen heute nicht mehr auf der Straße warten müssen, ist für sie kein Grund zum Jubeln. "Bei dem Imagefilm habe ich fast geheult vor Wut", sagt sie. "Propagiert wird, dass die ganze Behörde von Grund auf reformiert wurde. Eine Reformation geht aber auch damit einher, dass Mitarbeiter geschult werden, und das wiederum geht nur mit Mitarbeitern, die auch existieren."

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Das LAF kämpfe seit Jahren mit einem extrem hohen Krankheitsstand und zu wenig Mitarbeitern, sagt Henniges. Erst vor zwei Wochen sei das Ankunftszentrum kollabiert. Die Wartezeiten im Leistungszentrum betrügen fünf bis sieben Stunden, manchmal werde man auch wieder weggeschickt. Die Security vor Ort beschreibt sie als mindestens unhöflich. "Vielleicht führt Herr Straßmeir ein anderes Amt als das, mit dem wir zusammenarbeiten", sagt sie.

Das LAF dürfte auch künftig Probleme haben. Temporär geschaffene Stellen sollen wieder abgebaut werden, lässt die Führungsebene wissen. An der Digitalisierung hapere es noch, Sachbearbeiter bräuchten wegen der Zettelwirtschaft dreimal so lange wie etwa in Hamburg. Und dass derzeit ein verstärkter Zustrom, besonders von Menschen aus Moldawien, zu beobachten ist, bezeichnet Straßmeir als "Stresstest". Bis zu 200 Geflüchtete kommen derzeit am Tag an, sagt er. Aber nur 50 bis maximal 100 Neuankömmlinge könne man täglich betreuen, heißt es zugleich aus seinem Haus. Auch die Unterbringung der Menschen könne schnell an Grenzen stoßen.

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