Rot-Grün-Rot:Kiezhauptstadt Berlin

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Klaus Lederer (Linke), Franziska Giffey (SPD) und Bettina Jarasch (Grüne, v. l.) präsentieren den Koalitionsvertrag für die nächste Landesregierung Berlins. (Foto: Sean Gallup/Getty)

Der Koalitionsvertrag des künftigen Senats aus SPD, Grünen und Linken soll unterschiedlichste Milieus miteinander verbinden. Ob das klappt, könnte sich schon Mitte Dezember zeigen.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Auch das Bundesland Berlin hat nun einen Koalitionsvertrag - ganz selbstverständlich war das offenbar nicht. "Ich freue mich, dass wir heute hier stehen", sagte die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey bei der Präsentation an diesem Montag. Dabei war es die Sozialdemokratin selbst, die am Sonntagnachmittag auf den letzten Metern Unmut unter den zukünftigen Regierungspartnern hervorgerufen hatte. Über Instagram und Twitter hatte sie da das erfolgreiche Ende der Verhandlungen vorab verkündet. "Überrascht bis verärgert" über den "unabgesprochenen Alleingang" seien einige der Unterhändler gewesen, hieß es aus mehreren Quellen.

Umso mehr schienen die Partner bei der Vorstellung des 152-seitigen Vertragswerks im Festsaal des Berliner Abgeordnetenhauses auf die richtige Aufstellung geachtet zu haben. Neben den Spitzenkandidaten Giffey, Bettina Jarasch (Grüne) und Klaus Lederer (Linke) waren die Vorsitzenden der drei Parteien anwesend. "Fünf intensive Wochen liegen hinter uns", sagte der Co-Chef der SPD, Raed Saleh, und ging auch gleich auf den naheliegenden Makel dieser Koalition ein: Dass sie womöglich nur eine Fortschreibung des Linksbündnisses der vergangenen fünf Jahre in Berlin sein könnte - bloß mit etwas anderen Gesichtern. "Wir knüpfen an die bisherige Koalition an. Wir nehmen das, was gut gelaufen ist, und bauen das aus", erläuterte Saleh. "Wir machen es gemeinsam noch besser", hieß das beim Co-Vorsitzenden der Grünen, Werner Graf.

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"Zukunftshauptstadt Berlin. Sozial. Ökologisch. Vielfältig. Wirtschaftsstark" lautet das Leitmotiv dieser Koalition. Franziska Giffey erklärte es so: "Wir sind Großstadt, Hauptstadt und trotzdem auch immer Kiez." Dazu gehörten "bezahlbare Wohnungen, eine klimaneutrale Stadt, eine starke Wirtschaft", aber auch eine "funktionierende Verwaltung", heißt es in der Präambel des Koalitionsvertrages.

Als besonders kniffelig zwischen den möglichen Partnern hatten sich die Bereiche Verkehr, Wohnen und Mieten erwiesen. Es sind auch die Themen, die die Berliner laut Umfragen am meisten beschäftigen. Die Kompromisssuche hatte die Präsentation des Koalitionsvertrages um mehrere Tage verzögert. Beim Autoverkehr ging es vor allem den Grünen darum, die Nutzung privater Pkws zurückzudrängen. Jedoch war es vor allem Wunsch der SPD, dass es keine Beschränkung geben soll. Deshalb sollen nun Busse, Straßenbahnen und auch die kostspieligen U-Bahn-Strecken weiter ausgebaut werden. Drastisch steigende Parkgebühren und ein verpflichtendes Ticket für den öffentlichen Nahverkehr für Berlinbesucher sollen Teil einer "dritten Finanzierungssäule" für den Verkehrsumbau werden.

Giffey will außerdem die Situation in den Bürgerämtern verbessern, die für ihre notorische Überlastung berüchtigt sind. Die Bezirke sollen dafür mit mehr Personal ausgestattet werden. Insgesamt plant die öffentliche Hand die Einrichtung von 2000 neuen Stellen vor allem in den Bereichen Bildung, Inneres und Soziales.

Einer Entspannung bei den Mietpreisen sollen jährlich 20 000 neue Wohnungen dienen, das Bauprogramm läuft bis 2030. "Genauso wichtig wie der Neubau ist aber die Mietenregulierung", sagte Katina Schubert, Vorsitzende der Berliner Linken. "Wir werden alles daransetzen, dass es zu einer Umsetzung des Volksentscheids kommt." Parallel zu den Wahlen hatten am 26. September knapp 60 Prozent der Wähler dafür gestimmt, große Wohnungsbaugesellschaften zu enteignen - und dafür zu entschädigen. Während Linke und Grüne diesen Plan unterstützen, hatten sich Giffey und große Teile der SPD gegen Vergesellschaftungen ausgesprochen. Nun soll eine Expertenkommission binnen eines Jahres prüfen, ob der Volksentscheid überhaupt umsetzbar ist.

Enteignung als Spalt-Thema der Koalition

Dieser Kompromiss gilt als eine der Sollbruchstellen der künftigen Koalition. Denn während SPD und Grüne auf Parteitagen über die Vereinbarung abstimmen lassen wollen, befragt die Linke vom 3. bis zum 17. Dezember ihre Basis. "Das ist ein guter Koalitionsvertrag", meint der Spitzenkandidat der Linken Klaus Lederer. Aber letztendlich müssten das die Parteimitglieder bewerten. Zugleich will Giffey noch in diesem Jahr den neuen Senat präsentieren und sich selber zur Regierenden Bürgermeisterin wählen lassen. Die letzte Chance dafür ist der 21. Dezember.

Zwei Überraschungen gab es bei der Verteilung der Ressorts. Die Linke wird den Bereich Justiz besetzen, die Grünen die Senatsverwaltung für Finanzen. Wie groß jedoch die Ungewissheit über das Votum der linken Basis ist, zeigte sich, als es um die künftige Besetzung des Senats ging. "Ich halte das für respektvoll, dass wir dann über Personal sprechen, wenn die Parteigremien dieser Koalition zugestimmt haben", sagte Giffey. Die SPD werde die Namen erst "sehr kurzfristig vor dem Tag der Regierungsbildung" bekannt geben. Oder, anders gesagt: kurz nach der Abstimmung bei der Linken.

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