Enteignung:Rot-Grün-Rot in Berlin will Volksentscheid prüfen lassen

Lesezeit: 2 Min.

Demo für die Enteignung von Wohnungskonzernen 2021 in Berlin: Nicht nur private Investoren, auch der Staat will Gewinne aus seinen Beteiligungen sehen. (Foto: Christophe Gateau/dpa)

Autofahrer haben von der nächsten Hauptstadt-Koalition wohl wenig zu befürchten. Aber Immobilienbesitzer? Die heikle Frage der Enteignungen wollen die Parteien erst klären, wenn sie regieren. Experten sollen dann Antworten finden.

Von Jan Heidtmann, Berlin

15 Stunden mussten die zukünftigen Partner am vergangenen Montag verhandeln, bis der Durchbruch kam. Dieser gelang dafür nicht nur in der Sache, sondern auch ziemlich menschlich. Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin und Verhandlungsführerin der Grünen, feierte an diesem Tag ihren 53. Geburtstag. Mit einem sehr rosafarbenen Blumenstrauß gratulierte ihr Franziska Giffey, designierte Regierende Bürgermeisterin von Berlin, und bot ihr als Beigeschenk noch das "Du" an.

Das war bedeutsam, da das Verhältnis der beiden mutmaßlich wichtigsten Politiker des zukünftigen Senats bislang bemerkenswert ungeklärt wirkte. Vor der Wahl am 26. September hatten die Rivalinnen Jarasch und Giffey gerade mal einen Kaffee miteinander getrunken, sich aber ansonsten im Wahlkampf nicht geschont. Mit dem dritten Verhandlungsführer, dem Spitzenkandidaten der Linken, Klaus Lederer, war Giffey zu diesem Zeitpunkt längst per Du. Doch von der Verspanntheit der ersten Gesprächsrunden war an diesem Montag nur noch wenig zu spüren, die sogenannte Chemie stimmte. Auch der angebliche Frust der rot-grün-roten Unterhändler in der vergangenen Woche schien verflogen.

Wahl zum Abgeordnetenhaus
:Komplexe Beziehungskiste in Berlin

Rot-Grün-Rot könnte in der Hauptstadt weiterregieren. Doch die designierte Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hadert mit der Linken und will auch mit der FDP als drittem Partner sondieren.

Von Jan Heidtmann

Nach einem guten Dutzend intensiver Verhandlungstage war man an die Sollbruchstellen dieser neuen Koalition, die mit etwas anderem Personal zugleich die alte sein wird, gekommen. Eine davon war der Bereich Verkehr. SPD-Chefin Franziska Giffey hatte sich im Wahlkampf klar gegen merkliche Beschränkungen für Autofahrer ausgesprochen. Die Grünen wiederum wollen den Gebrauch des eigenen Autos beschneiden und auch verteuern, um umweltfreundlichere Angebote finanzieren zu können.

Allein den Takt von Bahn und Bus in der Innenstadt auf fünf und zu den Randgebieten auf zehn Minuten zu erhöhen, würde Berlin rund eine Milliarde Euro zusätzlich kosten. Mehr U-Bahn, mehr Tram, mehr Bus, lautete dann das Verhandlungsergebnis knapp zusammengefasst. Die Frage der Finanzierung wurde auf diesen Donnerstag verschoben.

Scheinkompromiss oder reelle Chance?

Da sollte die Koalitionsvereinbarung eigentlich längst fertig sein, einen guten Monat hätten SPD, Grüne und Linke dann verhandelt. Doch nun wird es frühestens Freitag werden. "Es ist ein ganz normaler Ablauf, dass wir über so viele Themen für 3,7 Millionen Menschen jetzt noch ein, zwei Tage länger sprechen", kommentierte Giffey den Verzug am vergangenen Freitag. "Davon geht jetzt wirklich nicht die Welt unter." Wichtiger seien Ergebnisse, die über fünf Jahre tragen.

Das erschien beim Wohnungsbau und der Frage von Enteignungen großer Wohnungsbaugesellschaften ganz besonders schwierig. Zum einen wegen der SPD, die mit der privaten Immobilienwirtschaft traditionell eng verbandelt ist und das Wohnungsproblem vor allem durch Neubauten lösen will. Dagegen engagieren sich Grüne, aber vor allem die Linke mehr für die Menschen, die bereits Wohnungen haben. Sie plädieren dafür, dass der Senat Häuser ankauft, um die Mieten steuern zu können. Dabei setzt insbesondere die Linke auch auf Enteignungen. Ende September stimmten fast 60 Prozent der Wähler für die Vergesellschaftung. Giffey hatte sich zuvor noch klar dagegen ausgesprochen. Eigentlich ein Patt.

Aufgelöst wurde es nun nach 15 Stunden Verhandlungen durch die Idee einer Expertenkommission. Sie soll in den ersten 100 Tagen eingerichtet werden, mit dabei auch die Aktivisten der Enteignungsinitiative. Innerhalb eines Jahres soll das Gremium die Verfassungskonformität von Vergesellschaftungen prüfen und Fragen wie die nach Entschädigung klären. Der Senat müsste anschließend einen Gesetzentwurf erarbeiten.

Während manche Beobachter die Kommission als Scheinkompromiss deuten, weisen andere auf die einschlägige Erfahrung Berlins bei der Regulierung des Wohnungsmarktes hin: Zwei der wichtigsten Instrumente der Stadt, der Mietendeckel und der Vorkauf von Wohnungen, sind in diesem Jahr von Bundesgerichten für rechtswidrig erklärt worden.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Newsletter abonnieren
:Deutscher Alltag-Newsletter

Erhalten Sie einmal wöchentlich Einblick in deutsche Alltagsmomente - beobachtet und beschrieben von Kurt Kister. Kostenlos anmelden.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: