Benjamin Ferencz:Letzter Chefankläger der Nürnberger Prozesse ist tot

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Benjamin Ferencz war nach den Nürnberger Prozessen am Aufbau des Internationalen Strafgerichtshofs beteiligt. (Foto: KENA BETANCUR/AFP)

Der US-Jurist leitete 1947 das Verfahren gegen SS-Einsatzgruppen, die in der Sowjetunion Hunderttausende Menschen töteten. Nun starb er im Alter von 103 Jahren.

Benjamin Ferencz, der Chefankläger im sogenannten "Einsatzgruppen-Prozess" von Nürnberg ist tot. Er starb am Freitag in einer Betreuungseinrichtung in Florida, wie US-Medien unter Berufung auf seinen Sohn Don Ferencz berichteten. Er wurde 103 Jahre alt und war der letzte noch lebende Chefankläger der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse. "Die Welt hat einen Anführer im Kampf für die Gerechtigkeit für Opfer von Genozid und damit verbundenen Verbrechen verloren", schrieb das US-Holocaust-Museum bei Twitter.

Ferencz wurde 1920 im damals ungarischen Siebenbürgen als Sohn orthodoxer Juden geboren und wanderte als Kind mit seinen Eltern in die USA aus. Er wuchs in bescheidenen Verhältnissen in New York auf und studierte dank eines Stipendiums später an der Elite-Universität Harvard. Der Jurist war nicht einmal 30 Jahre alt, als er Nazi-Kriegsverbrechern in Nürnberg den Prozess machte.

Vom 20. November 1945 an mussten sich in Nürnberg führende Nationalsozialisten und damit erstmals in der Geschichte Vertreter eines Unrechtsregimes vor Gericht verantworten. Die alliierten Siegermächte stellten 21 ranghohe Kriegsverbrecher wie Adolf Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß und Reichsmarschall Hermann Göring vor ein internationales Gericht. Der Prozess endete nach fast einem Jahr mit zwölf Todesurteilen.

Ferencz war Chefankläger im neunten der zwölf sogenannten Nachfolgeprozesse, die von 1946 bis 1949 auf das Verfahren gegen die Hauptkriegsverbrecher folgten. 24 führende SS-Leute klagte er im sogenannten "Einsatzgruppen-Prozess" wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen an.

Ferencz gilt als Geburtshelfer des Internationalen Strafgerichtshofs

Die "Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS" wurden vor allem bei Überfall Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion eingesetzt. Die etwa 3000 Mann waren wesentlich am Holocaust und am Völkermord an den europäischen Roma beteiligt. In besetzten Städten und Dörfern waren die Einsatzgruppen für Massentötungen verantwortlich.

Der Prozess in Nürnberg richtete sich hauptsächlich gegen Otto Ohlendorf, der als SS-Brigadeführer einer der ranghöchsten Angeklagten in dem Nachfolgeprozess war. Seine emotionslose und detaillierte Schilderung des Massenmords vor Gericht sorgte für Entsetzen, machte aber den Prozess wohl erst damit möglich. Ohlendorf wurde zum Tode verurteilt und 1951 hingerichtet.

Vor den Prozessen in Nürnberg war Ferencz als US-Soldat bei der Befreiung mehrerer Konzentrationslager dabei. Die Sühnung der deutschen Kriegsverbrechen wurde zu seinem großen Lebensthema. Die historische Rolle des Juristen geht aber über die Bedeutung der damaligen Kriegsverbrecherprozesse hinaus. Denn Ferencz fügte nicht nur den Begriff "Genozid" in die Gerichtspraxis ein, er gilt auch als einer der Geburtshelfer des Internationalen Strafgerichtshofs.

Mit fast 90 Jahren eröffnete er 2009 symbolisch das erste Plädoyer der Anklage des Gerichts in Den Haag. "Bens beständiges Streben nach einer friedlicheren und gerechteren Welt umspannte fast acht Jahrzehnte und hat die Art, wie wir auf die schlimmsten Verbrechen der Menschheit reagieren, für immer bestimmt", sagte die Direktorin des US-Holocaust-Museums. "Er hat in Nürnberg Geschichte geschrieben und tat dies auch weiterhin während seines außerordentlichen Lebens."

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