Beate Zschäpe:Die Phalanx des Schweigens im NSU-Prozess steht

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Die Angeklagte Beate Zschäpe (M.) mit ihren Anwälten. (Foto: Tobias Hase/dpa)
  • An diesem Dienstag geht der NSU-Prozess am Oberlandesgericht München weiter.
  • Die Angeklagte Beate Zschäpe soll weitere Fragen beantworten.
  • Doch die Nebenkläger sind bereits desillusioniert: "Aus jeder Antwort von ihr erwachsen nur neue Fragen."
  • Der CDU-Politiker Binninger glaubt, dass es noch weitere Mittäter gibt. Belege dafür gibt es nicht.

Von Stefan Braun, Berlin, und Annette Ramelsberger, Berlin/München

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Clemens Binninger hat sich über die Jahre einen Ruf als seriöser Innenpolitiker erarbeitet. Diese Aufgabe passte zu ihm von Anfang an. Der 54-Jährige startete seine Karriere als Polizeibeamter. Deshalb überraschte es auch niemanden, dass der Schwabe nach Aufdeckung der Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) Mitglied im Bundestags-Untersuchungsausschuss wurde. Binninger ist kein Schaumschläger, kein Punktesammler im Erregungsbetrieb der Hauptstadt. Man durfte damit rechnen, dass er ruhig und präzise arbeiten würde.

Knapp fünf Jahre danach sitzt Binninger in seinem Büro - und man fragt sich, was passiert ist. Ausgerechnet der grundsolide Abgeordnete stellt bei seiner Bewertung eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Nachkriegsgeschichte infrage, was bisher als gesichert galt: dass zum harten Kern des NSU genau drei Menschen gehörten: Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe. So hatte es die Bundesanwaltschaft schon Tage nach Aufdeckung des NSU erklärt; und so wird auch Zschäpe, die einzige Überlebende des Trios, im Prozess in München eingeordnet.

Laufen NSU-Terroristen noch immer frei herum?

Binninger weiß natürlich, dass es in München Mitangeklagte gibt, die dem Trio Handys, Wohnungen und Waffen beschafft haben sollen. Er aber denkt an Mittäter im strengen Sinne, also Menschen, die die Morde aktiv unterstützt haben. "Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es nicht nur die drei gewesen sein können", sagt Binninger und betont, dass er die Einschätzung der Bundesanwaltschaft nicht mehr teile. Die Morde, die Sprengstoffanschläge, die Banküberfälle - für ihn ist es nicht mehr plausibel, dass nur die beiden Männer, unterstützt von Zschäpe, diese 27 brutalen Taten begangen haben. Sollte Binninger recht haben, dann liefen NSU-Terroristen noch immer frei herum - und die Gefahr des rechten Terrors in Deutschland wäre noch größer als bisher angenommen.

Die Bundesanwaltschaft bleibt dagegen bei ihrer ursprünglichen Einschätzung. Sie verweist darauf, dass es für einen größeren Täterkreis keine Belege gibt. Sie argumentiert, dass die drei sich aus Angst vor Verrätern abgeschottet hätten. Ihre Konzentration gilt Zschäpe und den vier Mitangeklagten. Und immerhin eines scheint sicher zu sein: dass sie den Saal nicht mehr als freie Frau verlässt. Selbst wenn sie nicht als Mittäterin verurteilt würde, erwartet sie wegen Brandstiftung eine hohe Strafe: Sie hat die Wohnung des NSU nach dem Tod ihrer Gefährten angezündet.

Was aber ist mit den eigentlichen Fragen? Warum mussten die neun Geschäftsleute und die deutsche Polizistin sterben? Wer hat sie ausgewählt? Warum wurden sie Opfer? Was genau wollten die Täter damit erreichen? Und wer hat ihnen bei all dem geholfen? Oder weggeschaut, damit sie so lange unbehelligt morden konnten? Auf alle diese Fragen haben sich die Prozessbeteiligten Antworten erhofft, zuvorderst von Zschäpe selbst. Doch die hat bis heute nur Nichtssagendes von sich gegeben: dass sie nicht wisse, wie die Opfer ausgesucht wurden oder - wie im Fall der ermordeten Polizistin - dass die Männer es nur auf eine Polizeipistole abgesehen hätten. Der Grund für die Mordserie soll der Frust von Mundlos und Böhnhardt über ihr "verkacktes Leben" gewesen sein. Eine Erklärung, die im Gerichtssaal niemand für glaubhaft hält und die auch die Hintergründe der Taten völlig ausblendet.

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Das Gericht hatte es in den dreieinhalb Jahren Prozess mit mauernden Verfassungsschützern und schweigenden Szenezeugen zu tun, und Richter Manfred Götzl hat die Zeugen mit einer an Zermürbungstaktik grenzenden Geduld befragt - aber er hat selbst bei offensichtlichen Lügen von jeglicher Strafe abgesehen. Das hat immer wieder Verwunderung ausgelöst. Was gleichwohl offenbar wurde: Die Phalanx des Schweigens steht noch immer, zehn Tote sind in der rechten Szene kein Grund, mit der Wahrheit herauszurücken. Hinzu kommen weitere Erkenntnisse, die sich in dem Prozess herausgeschält haben:

Eine ganze Reihe von Rechtsradikalen haben die Untergetauchten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe unterstützt. Die Szene wusste anfangs noch sehr genau, wo sich die drei aufhielten und hat ihnen vielfach geholfen. Die drei bewegten sich wie Fische im Wasser. Ob ein größerer Kreis auch wusste, auf wessen Konto die Morde an den neun Migranten und der Polizistin gingen, ist nicht belegt.

Nebenkläger hätten sich mehr Aufklärung gewünscht

Polizei und Verfassungsschutz machten haarsträubende Fehler bei der Suche nach den dreien, sie entdeckten Böhnhardt sogar bei einer Observation, als er mit einem V-Mann telefonierte. Aber die Ergebnisse wurden nicht weitergegeben. Hier streift Behördenunfähigkeit haarscharf die Grenze zur Strafvereitelung. Doch eindeutige Beweise für den Vorsatz, die drei zu schützen, gibt es letztlich nicht.

Dass im Prozess noch Aufsehenerregendes geschieht, ist nicht zu erwarten. Vor der Sommerpause hat das Gericht deutlich gemacht, dass es vor allem den Verwicklungen des Verfassungsschutzes in die Szene rund um den NSU nicht mehr weiter nachgehen will. Es hat abgelehnt, einen V-Mann zu hören, der Mundlos und Zschäpe womöglich bei sich arbeiten ließ, als sie schon im Untergrund waren. Und das Gericht hat geradezu eine Ehrenerklärung für den hessischen Ex-Verfassungsschützer Andreas Temme abgegeben, der am Tatort in Kassel war, als der junge Halit Yozgat vom NSU erschossen wurde. Es hat den Beamten, der sagt, er sei nur zufällig am Tatort gewesen, sechsmal vorgeladen und dann als glaubwürdig bezeichnet.

Viele Nebenkläger sind angesichts dessen desillusioniert. "Das Gericht beschränkt sich darauf, den Angeklagten die individuelle Schuld nachzuweisen. Aber dass das Gericht im Rahmen der Strafprozessordnung auch aufklärt, wie die rechte Szene damals durch Polizei und Verfassungsschutz ermutigt wurde, welche Kenntnisse der Verfassungsschutz über das Trio nach dem Untertauchen hatte, diese Hoffnung war vergebens", sagt die Berliner Anwältin Antonia von der Behrens. "Das Gericht hat sich weitgehend in dem engen Korsett der Anklage bewegt."

Auch die zahlreichen Untersuchungsausschüsse, ob in Hessen oder Thüringen, Sachsen oder Baden-Württemberg standen vor einer Mauer des Schweigens - bei den Rechtsradikalen ebenso wie bei den Behörden. Je länger alles im Nebel bleibt, desto frustrierter sind manche - und desto entschlossener sind andere, die wie Binninger jetzt erst recht nicht aufgeben möchten. Deshalb haben sie in Dresden, Erfurt und Stuttgart das Gleiche getan wie Binninger vor wenigen Wochen im Bund: Sie haben eine zweite Runde an U-Ausschüssen gestartet. Nicht, weil sie plötzlich neue Kenntnisse hätten. An ihnen nagen wegen der Pannen und Versäumnisse der Ermittler die Zweifel. "Ich habe keine Gewissheit", sagt Binninger. "Ich weiß es nicht besser. Ich muss den Fragen nachgehen, die unbeantwortet sind. Ich will alles versucht haben."

An diesem Dienstag geht der NSU-Prozess weiter. Beate Zschäpe soll wieder Fragen beantworten. Der Nebenklageanwalt Mehmet Daimagüler erwartet sich davon keine Erkenntnis mehr: "Aus jeder Antwort von ihr erwachsen nur neue Fragen."

© SZ vom 13.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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