Als junge Frau hatte Sheikh Hasina, die gerade als Wahlsiegerin in Bangladesch ausgerufen worden ist, eine zutiefst traumatische Erfahrung: Man schrieb das Jahr 1975, als in einer Nacht im August eine Gruppe von Offizieren das Haus ihres Vaters stürmte. Die Angreifer löschten fast die gesamte Familie aus. Nur Hasina und ihre Schwester überlebten das Massaker, die beiden hatten Glück, weil sie zum Zeitpunkt der Tat in Deutschland weilten. Hasina war damals erst 27.
Der Putschversuch scheiterte, doch hatte Hasina in diesem beispiellosen Massaker nahezu alle ihre Geschwister verloren, die Mutter und auch den Vater, der als Unabhängigkeitskämpfer für Bangladesch Legende ist: Mujibur Rahman gilt als Gründer der Nation, aber sein gewaltsames Ende brachte der Tochter nahe, wie eng Leben und Tod, Triumph und Trauma in den politischen Kämpfen ihres Landes zusammenliegen.
Einst begann sie als beherzte Vorkämpferin für Demokratie
Politische Morde bestimmten immer wieder die Geschichte der jungen südasiatischen Nation, und sie prägten auch das politische Verständnis einer zuletzt doch zunehmend skrupellosen und unerbittlichen Frau. Sheikh Hasina, 76, startete einst als beherzte Vorkämpferin für die Demokratie, doch ihr Umgang mit der Macht hat sich verändert. Am Sonntag ließ sie das Volk ein neues Parlament bestimmen, der Sieg ihrer Partei Awami League war vorgezeichnet, angesichts der Repression, die Hasina nach Ansicht von Analysten gegen ihre Konkurrenten vorantreibt.
Hasinas Partei sicherte sich 223 von 298 Sitzen im Parlament, wie der Leiter der Wahlkommission erklärte, Kazi Habibul Awal. Hasina pochte darauf, die Abstimmung sei frei und fair verlaufen. Doch dieser Anspruch hatte schon vor der Wahl seine Glaubwürdigkeit verloren.
Die größte Oppositionspartei, die Bangladesch Nationalist Party (BNP), boykottierte die Abstimmung. Sie hatte gefordert, eine Übergangsregierung für die Wahlphase müsse gebildet werden, um eine faire Abstimmung sicherzustellen. Das lehnte Hasina ab, und Tausende Oppositionelle landeten in Haft, oft unter dem Vorwurf des von Hasina kontrollierten Staatsapparats, sie seien Aufrührer und schürten Gewalt.
Die Motivation der 120 Millionen Wahlberechtigten war gering - eben weil sie keine Wahl hatten. Laut Wahlkommission lag die Beteiligung nur knapp über 40 Prozent. Am Tag vor der Abstimmung und am Wahltag selbst kam es zu mehreren Gewaltausbrüchen, doch Tausende Armee- und Polizeikräfte waren aufmarschiert, um die Proteste kleinzuhalten.
Noch am Sonntag hatte die Premierministerin versichert, dass sich das Land ohne Demokratie nicht weiterentwickeln könne; angesichts der Lage wirkten ihre Worte zynisch. Bangladesch erlebt seit Monaten, wie die Autokratin das demokratische System aushöhlt und den Staatsapparat nutzt, um Gegner zu bekämpfen.
Die Feindschaft gegen die Konkurrenzpartei hat alte Wurzeln
Hat das frühe Trauma die Politikerin Hasina so kompromisslos gemacht, verspürt sie deshalb womöglich eine wachsende Paranoia gegenüber allen Kräften, die sie als potenziell gefährlich einstuft? Manche in ihrem Land glauben, dass dies ein bestimmender Faktor ist. Zumindest reichen die Wurzeln der Feindschaft, die Hasina gegenüber der Bangladesh Nationalist Party (BNP) verspürt, weit zurück.
Dabei spielte ein früherer Armeekommandeur eine wichtige Rolle: Ziaur Rahman. Zwar nahm er, nach allem, was man weiß, nicht an dem Putschversuch gegen Hasinas Vater teil. Aber er gründete später die BNP als Konkurrenz zur Awami League, bevor er schließlich selbst 1981 einem Attentat zum Opfer fiel. Die Witwe dieses Armeechefs ist Khaleda Zia. Als BNP-Chefin war sie lange Hasinas größte Rivalin, nun ist sie krank und steht nach fragwürdigen Korruptionsverfahren unter Hausarrest.
Zweimal war Zia Premierministerin, viele Jahre lang wechselte die Macht im Land von einer Frau zur anderen. Doch wurde das Duell zunehmend hitziger, Wahlen stärker aufgeladen mit Gewalt, die sich beide Seiten gegenseitig vorwarfen. Bis Hasina schließlich die Oberhand behielt und jetzt einen Zustand zementiert, den Analysten als Einparteienherrschaft einstufen.
Hasinas Hass auf Zia speist sich wohl aus der Bitterkeit darüber, dass die BNP lange verhindert hatte, die Mörder von Hasinas Vater zu bestrafen. Auffällig ist, wie sehr Hasina daran arbeitet, Huldigungen für ihren Vater einzufordern, sie pflegt seinen Ruf als Lichtgestalt, obgleich auch Mujibur Rahman vor seinem Tod autoritäre Tendenzen zeigte.
Hasina kommt auf insgesamt 29 Jahre an der Macht, keine andere Frau hat je so lange ein Land regiert. Nun liegen weitere fünf Jahre vor ihr. Doch mit Ruhe ist eher nicht zu rechnen, steigende Preise bedrohen, was Hasina wirtschaftlich erreicht hat. Der Aufschwung, den sie angestoßen hat, ist in Gefahr, wachsende Not gilt als möglicher Motor für weitere Proteste, mit denen zu rechnen ist.