Bahnverkehr:Frust auf dem Schienenweg

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Die Schweiz liefert auch bei der Infrastruktur pünktlich: Eröffnung des Ceneri-Basistunnels 2020 im Tessin, Teil der NEAT-Alpentransversale. (Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Verspätete Züge, langsamer Streckenausbau: Die Schweizer Bundesbahnen sind auf die Deutsche Bahn nicht gut zu sprechen. Das ist sogar nach dem Güterzug-Unfall im Gotthard-Tunnel zu spüren.

Von Isabel Pfaff, Bern

Wer sich in den vergangenen Tagen ein bisschen umgehört hat bei Transportunternehmen, die mit Güterverkehr in Europa zu tun haben, der konnte Erleichterung heraushören: darüber, dass sich der Unfall am 10. August im schweizerischen Gotthard-Tunnel und nicht etwa in einem deutschen Verkehrsnadelöhr ereignet hat. Denn obwohl die Entgleisung des Güterzugs immensen Schaden angerichtet hat, rollen seit Mittwoch die nationalen und internationalen Güterzüge schon wieder durch den Gotthard-Basistunnel.

In Deutschland, da waren sich die Unternehmer sicher, wäre das anders gewesen. "Stichwort Rastatt", hieß es konsterniert. Dort war es bei Tunnelbauarbeiten 2017 zu einer Havarie gekommen, die Rheintalstrecke war sieben Wochen lang gesperrt - und der Tunnel, dessen Eröffnung eigentlich 2022 hätte stattfinden sollen, wird nun frühestens 2026 fertig.

Nun meldet die Schweizer Sonntagszeitung auch noch, dass der verunglückte Güterzug womöglich ein deutscher war. Das ist bislang weder bestätigt, noch lässt die Nachricht Rückschlüsse darauf zu, wer für das Entgleisen letztlich verantwortlich war. Eine Untersuchung durch die Schweizer Behörden ist im Gang. Im Fokus steht dabei derzeit SBB Cargo als Frachtführer. Doch der Zeitungsbericht zeigt, wie eng die zwei Nachbarstaaten bahntechnisch zusammenhängen. Und er erinnert daran, dass es in dieser Beziehung alles andere als rund läuft.

Wegen Deutschland läuft die Nord-Süd-Güterachse nicht richtig an

Ein wichtiges Kapitel im Bahnzwist zwischen der Schweiz und Deutschland: ihre jeweilige Schlüsselrolle auf der Achse Rotterdam-Genua. Der Güterverkehr auf dieser wirtschaftlich bedeutenden Strecke soll, so sehen es mehrere europäische und nationale Beschlüsse vor, in erster Linie auf der Schiene statt auf der Straße rollen. Dafür braucht es aber einige neue Tunnels und neu- oder ausgebaute Anschlussstrecken.

Dass das Bahnland Schweiz seine Hausaufgaben in dieser Sache weitgehend erledigt hat, zum Teil überpünktlich, überrascht wenig. 2020 eröffnete das Land mit dem Ceneri seinen dritten Basistunnel nach dem Lötschberg- und dem Gotthard-Tunnel und konnte damit das gewaltige, in den Neunzigern begonnene Projekt namens "Neue Eisenbahn-Alpentransversale" (NEAT) abschließen.

Und Deutschland? Verhindert faktisch, dass die Güterachse zwischen Nord- und Südeuropa richtig anläuft. Bereits 1996 hatte Deutschland mit der Schweiz im Vertrag von Lugano vereinbart, die deutschen Zulaufstrecken zu den NEAT-Tunnels entsprechend der steigenden Nachfrage auszubauen. Dabei geht es insbesondere um die Rheintalstrecke zwischen Karlsruhe und Basel, die künftig vier statt nur zwei Spuren haben soll. Fertig ist der Ausbau längst nicht, geplante Inbetriebnahme: 2041.

Womöglich enden deutsche Züge bald grundsätzlich in Basel

In der Schweiz schafft das Ärger. "Ohne diese Zufahrt für den Güterverkehr kann die NEAT ihre Wirkung nicht voll entfalten", sagt Peter Füglistaler, Direktor des Schweizer Bundesamts für Verkehr. Heißt: So wird das nicht klappen mit Europas Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. "Jahrelang" sei es nicht vorangegangen auf der Rheintalstrecke, kritisiert Füglistaler. Seit ein paar Jahren gibt es nun eine neue Vereinbarung zwischen Bern und Berlin, um die Engpässe auf der deutschen Zulaufstrecke behelfsmäßig zu beheben. Besonders peinlich für Deutschland: Italien hat seine Vereinbarung mit der Schweiz in Sachen Zubringer-Strecken schon weitgehend erfüllt.

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Probleme in der Schweiz machen auch die vielen Verspätungen deutscher Personenzüge. Nach wie vor gibt es grenzüberschreitende Züge aus Deutschland, die in der Schweiz in den Taktfahrplan eingebunden sind. Doch weil diese so oft zu spät kommen und damit den gut funktionierenden Schweizer Fahrplan durcheinanderbringen, wird inzwischen ein großer Teil dieser täglich rund 40 Direktverbindungen in Basel gestoppt, die Fahrgäste müssen umsteigen.

Das Schweizer Bundesamt für Verkehr schlägt jetzt sogar vor, dass ICE-Züge aus Deutschland dauerhaft nur noch bis Basel fahren sollen. Der dichte Schweizer Fahrplan könne die Verspätungen einfach nicht auffangen, sagt Peter Füglistaler. Dabei sind umstiegsfreie Langstrecken eigentlich ein attraktives Angebot der Bahnunternehmen. Es sieht so aus, als opferten die Schweizer dieses Angebot lieber, als sich länger mit den deutschen Verspätungen herumzuschlagen.

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