Prof. Wolfgang Frindte von der Friedrich-Schiller-Universität Jena ist einer der Autoren der Studie '"Lebenswelten junger Muslime in Deutschland". Für das Bundesministerium des Inneren hat er mit seinen Kollegen den Radikalisierungsprozess junger Menschen in Deutschland untersucht.
Während der Fußball-Europameisterschaft 2008 flattern deutsche und türkische Fahnen nebeneinander: Laut einer aktuellen Studie will sich heute über ein Fünftel der deutschen Muslime und fast die Hälfte aller nichtdeutschen Muslime in Deutschland nicht integrieren.
(Foto: Getty Images)Süddeutsche.de: Herr Frindte, die Studie, die Sie und Ihre Kollegen für das Innenministerium angefertigt haben, erregt großes Aufsehen. Demnach sind in Deutschland 24 Prozent der nichtdeutschen Muslime im Alter zwischen 14 und 32 Jahren streng religiös, haben starke Abneigungen gegenüber dem Westen, zeigen eine tendenzielle Gewaltakzeptanz und kein Interesse daran, sich zu integrieren. Die Bild-Zeitung spricht von einer Schock-Studie.
Wolfgang Frindte: Manche Journalisten suchen sich bei komplexen Dingen das heraus, was spannend ist und in die Philosophie des Mediums passt. In unserem Team hat es nach der Veröffentlichung in einer Boulevardzeitung große Entrüstung gegeben, sogar Verzweiflung. Da wurde ein Detail der Studie auf eine Weise in die Öffentlichkeit getragen, dass sich die von uns befragten Muslime missbraucht fühlen könnten - das ist traurig. Und wir haben uns in den vergangenen drei Tagen ziemlich alleingelassen gefühlt. Aber es ist gut, dass die Studie jetzt zur Kenntnis genommen wird. Und inzwischen wird auch auf kompetente Weise darüber berichtet.
Süddeutsche.de: Auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) spricht vom Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten durch Muslime.
Frindte: Er hat aber auch dezidiert hervorgehoben, dass sich die Mehrheit der Muslime vom islamistischen Terrorismus distanziert und sich integrieren will. Das Glas ist nicht ein Viertel leer, sondern mehr als drei Viertel voll.
Süddeutsche.de: Wieso wurde Bild exklusiv über die Studie informiert?
Frindte: Das weiß ich nicht.
Süddeutsche.de: Es wurde kritisiert, dass Ihre Studie nicht repräsentativ sei.
Frindte: Es gibt relativ wenige soziodemographische Daten zu den Muslimen in Deutschland. Schon über ihre Zahl gibt es nur Schätzungen, demnach sind es zwischen 3,8 bis 4,2 Millionen. Wir wissen also leider nicht, wie repräsentativ unsere Daten sind. Aber ich denke, man muss unsere Studie trotzdem ernst nehmen.
Süddeutsche.de: Wenn ein Fünftel der deutschen Muslime und fast die Hälfte aller nichtdeutschen Muslime in Deutschland sich nicht integrieren wollen, klingt das schon nach einer großen Zahl.
Frindte: Zum einen sind das viele Menschen aus Nordafrika, Pakistan, Afghanistan, Iran, Irak und dem Nahen Osten, die aus politischen Gründen hier sind und noch nicht sehr lange. Die haben noch starke Bindungen ins Herkunftsland, in das viele auch zurückkehren möchten.
Süddeutsche.de: Das sind vor allem die nichtdeutschen Muslime. Was ist mit den Muslimen mit deutschem Pass?
Frindte: Es geht hier vor allem um türkischstämmige Muslime der dritten Einwanderer-Generation. Dass sich von diesen ein Fünftel nicht integrieren will, hängt vermutlich mit den Bedingungen in der Gesellschaft zusammen. Wir haben in unserem Bericht deshalb auch eine Reihe von Empfehlungen an die Politik formuliert.