Dies hier, sagt der alte Mann, "ist eine Insel. Eine Insel in einem Meer aus Hass." Er meint nicht seinen Laden, eine fröhliche Mischung aus Kram, Spielsachen, Schulheften und bemerkenswertem religiösen Kitsch wie beleuchtbaren Marienstatuen. Er meint seinen Stadtteil, Ainkawa, am Rand der kurdischen Großstadt Erbil nahe dem Flughafen gelegen. Ainkawa ist das christliche Viertel, eine blau bemalte Muttergottes bewacht die Hauptstraße. Aber nur 40 Kilometer von hier, sagt der Alte, "da lauern sie, uns allen die Hälse abzuschneiden."
Manchmal sind sie noch viel näher. Vor wenigen Tagen sprengte sich ein Selbstmordattentäter mitten in Ainkawa in die Luft, nahe dem US-Konsulat, es gab mehrere Tote. Die Botschaft der IS-Terroristen, die sich zu dem Anschlag bekannten, war eindeutig: Ihr seid nirgends sicher, wir finden euch überall - euch Andersgläubige, euch Andersdenkende. Das gilt allen in Ainkawa, auch den Tausenden Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak, die hier in Behelfslagern, Schulen und Privathäusern Zuflucht fanden.
Die Insel ist bedroht, das Meer des Hasses nah gekommen wie eine Sturmflut. Als der IS 2014 auch im Irak das Kalifat ausrief und weite Gebiete überrannte, hielten die Peschmerga-Kämpfer der Kurden dem Ansturm gerade noch stand, mithilfe einer internationalen Koalition, die Waffen, Ausbilder und notfalls Kampfflugzeuge schickt. Seitdem halten sie eine feste Frontlinie, auch mithilfe deutscher Gewehre und Milan-Panzerabwehrraketen. Die Peschmerga beschützen nicht nur ihr halbwegs demokratisch regiertes Land, sondern auch Heerscharen von Flüchtlingen.
Noch größer als die militärische Leistung angesichts eines überlegenen Gegners - der IS hat von der irakischen Armee moderne Geländefahrzeuge, Panzer und Geschütze erbeutet - ist nämlich die humanitäre. Mehr als 1,5 Millionen Flüchtlinge haben die Kurden binnen eines knappen Jahres aufgenommen: Landsleute aus Syrien und dem Irak, Jesiden, Christen, Schiiten und sunnitische Araber. Das sind, im Verhältnis zur Bevölkerung von fünf Millionen, mehr Flüchtlinge als im Westen Deutschlands 1945.
Es gab kein Zurück
Das Flüchtlingslager Qushtapa. Eine grüne Ebene, in der Ferne schimmern die Berge Kurdistans. Es ist keines der großen Camps, 1300 Familien leben offiziell hier. Mohammed A. ist Kurde aus Syrien, er verteilt mit einem motorisierten Dreirad Hilfspakete; ein Job, immerhin. Wenn er zurückdenkt, glaubt der junge Handwerker, es habe schon vor dem Unheil Zeichen gegeben, "als ob Gott den Menschen zeigen wollte, dass er sie strafen wird": schlechte Ernten, kein Regen. Dann kamen die Männer mit den schwarzen Masken. Sie sprangen von Jeeps und durchkämmten A.s Dorf, Straße für Straße.
"Man sah nur ihre Augen hinter den Motorradmasken", sagt er, und in diesen Augen stand nichts Gutes. Die kurdischen Bewohner wussten erst nicht, was die schwerbewaffneten Fremden suchten: "die jungen Männer - eigentlich alle zwischen 16 und 40 Jahren." Die Armee des syrischen Diktators Baschar al-Assad hatte Soldaten geschickt, um kurdische Männer zwangszurekrutieren. Die meisten von ihnen flohen, auch A. setzte sich über die Grenze in die kurdische Autonomieregion des Irak ab. "Entweder hätte ich für Assad töten müssen oder wäre von seinen Leuten getötet worden." Es gab kein Zurück.
Es ist schwer möglich, die Erzählungen der Flüchtlinge zu überprüfen. Aber sie entsprechen den erschütternden Berichten der UN über deren Leid in den zerfallenden Staaten Syrien und Irak: verfolgt, ausgeplündert, zwischen die Fronten geraten, vertrieben und massakriert, weil sie der falschen Religion, der falschen Ethnie angehören. Der IS tötet Christen und Jesiden, verkauft Mädchen als Sklavinnen und hat ein Regime des Schreckens errichtet.
Das Lager Qushtapa ist gut organisiert: Inzwischen gibt es auch eine Schule.
(Foto: Matt Cardy/Getty Images)