Wahlkampf in Australien:"Tschuldigung, ich bin nicht sicher"

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Anthony Albanese, Oppositionsführer in Australien, am ersten Tag des Wahlkampfs in Launceston. (Foto: Lukas Coch/dpa)

Oppositionsführer Albanese kämpft um das Comeback der Linken gegen den - angeschlagenen - konservativen Premier Morrison. Der Wahlkampfauftakt zeigt, warum er trotzdem verlieren könnte.

Von Thomas Hahn, Tokio

Die erste Falle, in die der australische Oppositionsführer Anthony Albanese tappte, war gar keine Falle. Auf einem Wahlkampftermin in Launceston im Nordosten Tasmaniens wurde er gefragt, wie hoch der Basiszinssatz der australischen Zentralbank sei - eine recht einfache Frage für jemanden, der Premierminister werden will und deshalb vertraut sein müsste mit der nationalen Geldpolitik. Aber Albanese hatte keine Ahnung. Dreimal wurde er gefragt, dreimal verweigerte er die Antwort, und am Schluss stellte sich heraus, dass der Chef der sozialdemokratischen Labor-Partei (ALP) nicht einmal die nationale Arbeitslosenquote kannte. "Ich glaube, sie ist 5,4", sagte Albanese, "Tschuldigung, ich bin nicht sicher." Die Arbeitslosenquote liegt bei 4,0 Prozent, der Basiszinssatz bei 0,1.

Sechs harte Wochen liegen nun vor Anthony Albanese und seinem Team, denn seit Sonntag steht fest, dass Australiens Parlamentswahl am 21. Mai stattfindet. Da ging der konservative Premierminister Scott Morrison nämlich zum Generalgouverneur David Hurley, dem Vertreter der Commonwealth-Königin Elisabeth II. in Australiens Hauptstadt Canberra, und bat ihn, das Parlament aufzulösen, um die turnusgemäße Wahl an besagtem, spätestmöglichen Termin auf den Weg zu bringen. Die Auflösung geschah am Montag. Das Rennen ist eröffnet.

In den Umfragen sieht es gut aus für Albanese und Labor. Nach neun Jahren unter konservativer Regierung, davon fast vier mit dem nassforschen Morrison an der Spitze, stehen die Vorzeichen auf Wechsel. Aber eine gute Ausgangsposition heißt ja noch lange nicht, dass Labors Traum von der Rückkehr an die Macht auch wirklich in Erfüllung geht - zumal wenn der Herausforderer bei den einfachsten Wissensfragen ins Schwitzen kommt?

Anthony Albanese, 59, ist ein Aufsteiger aus ärmlichen Verhältnissen. In einer Sozialwohnung des Bezirks Inner West in Sydney wurde er als Sohn der alleinerziehenden Katholikin Maryanne Albanese groß, die ihn mit ihrer schmalen Invalidenrente durchbrachte und sein Bewusstsein für soziale Gerechtigkeit schärfte. Als Erster in seiner Familie ging er auf die Universität. Er studierte Wirtschaft an der University of Sydney und machte bald als Vertreter des linken Labor-Flügels Karriere: Parlamentarier für den Wahlkreis Grayndler, verschiedene Ministerposten, 2013 Vize-Premier im vorerst letzten Labour-Kabinett. Und jetzt ist er also der Parteichef, der schon deshalb der nächste Premier werden müsste, weil er nicht Scott Morrison ist.

Genussvoll analysiert Morrison Albaneses Fehler

Morrison galt von Anfang an als der leibhaftige Albtraum für politisch Bewegte, die sich nicht nur für Wirtschaft und Nationalstolz interessieren. Er spielte den Klimawandel herunter, trat wie ein Lobbyist der Kohleindustrie auf, setzte die abschreckende Asylpolitik fort, die er als Immigrationsminister begonnen hatte. Aber mittlerweile hat er sich bei seinen Landsleuten auch einen Ruf als nachlässiger Krisenmanager erworben. Als im Sommer 2019/20 ungewöhnlich raumgreifende Buschfeuer tobten, befand sich Morrison zeitweise im Hawaii-Urlaub. In der Pandemie startete das Impfprogramm zu spät. In der jüngsten Flutkatastrophe in Australiens Osten gibt es wieder Kritik. Morrison wirkt wie der Prototyp des unsensiblen Machtmannes, der in Fragen von Moral und Umwelt immer erst später weiß, was besser gewesen wäre.

Albanese wirbt für Energiewende und Gleichstellung, verspricht Steuersenkungen und insgesamt einen recht teuren Sozialplan. Wo Morrison hart wirkt, gibt Albanese den zugewandten Menschenfreund. Für den netten Anthony müsste der angeschlagene Morrison eigentlich ein leichter Gegner sein. Und anders als der Premierminister, der Albanese schon als "Wahl der chinesischen Regierung bei dieser Wahl" bezeichnete, streitet Albanese nicht mit dem politischen Gegner über außenpolitische Kernfragen wie den Umgang mit China oder Russland.

Entschieden ist dieser Wahlkampf aber noch lange nicht, gerade der Albanese-Fauxpas am Montag in Tasmanien hat das gezeigt. Denn Morrison vergisst Zahlen wie den Basiszinssatz oder die Arbeitslosenquote natürlich nicht. Wirtschaftskompetenz ist sein wichtigstes Argument gegen Labor. Genussvoll analysierte Morrison am Dienstag Albaneses Fehler: "Er weiß nicht, was in der Wirtschaft passiert." Albanese wiederum versuchte, Haltung zu bewahren. Irren ist menschlich, versuchte er der Mediengemeinde mitzuteilen. "Wenn ich einen Fehler mache, gestehe ich ihn ein", sagte er, "ich werde nicht jemand anderem die Schuld geben, ich werde die Verantwortung übernehmen. Das ist es, was Führungspersönlichkeiten tun." Ehrenwerte Worte. Aber viele solcher Fehler kann sich Anthony Albanese bis zum 21. Mai nicht leisten.

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