Menschenrechte:Ein großes, verletzendes Nein

Lesezeit: 4 min

Anthony Albanese, Premier von Australien, und Linda Burney, Bundesministerin für indigene Bevölkerungen, geben eine Erklärung zum Ergebnis des Stimmenreferendums ab. (Foto: Lukas Coch/dpa)

Australien stimmt mit überwältigender Mehrheit gegen ein Mitspracherecht der Ureinwohner in der nationalen Politik. Die Konservativen triumphieren mit ihrem Wunsch, die blutige Kolonialgeschichte ruhen zu lassen.

Von Thomas Hahn, Auckland

Dieses große Nein, das sich Australiens Regierung eingefangen hatte, musste sich für die First-Nations-Ministerin Linda Burney anfühlen wie ein Schlag ins Genick. Die Stimmzettel waren noch nicht ganz ausgezählt am Samstagabend nach dem Referendum für ein Mitspracherecht der Ureinwohner bei parlamentarischen Entscheidungen. Trotzdem war schon klar, dass die Nation dagegen gestimmt hatte, ein solches Recht in der Verfassung festzuschreiben. Man konnte Linda Burney die Enttäuschung ansehen, als sie mit Labor-Premierminister Anthony Albanese vor die Medien trat.

Die 66-Jährige weiß, wie das ist, Geschichte zu schreiben. Als erste Aboriginal-Person wurde sie einst ins Parlament von New South Wales gewählt, 2016 war sie die erste Aboriginal-Frau im Nationalparlament in Canberra. Mit großer Überzeugung hatte sie für dieses historische Ja zur sogenannten Voice to Parliament gekämpft, das nun zerschlagen vor ihr lag.

Linda Burney kämpfte mit den Tränen, als sie sprach. Sie musste sich zusammenreißen. "Ich weiß, die vergangenen Monate waren hart", sagte sie schließlich mit brüchiger Stimme, "aber seid stolz darauf, wer Ihr seid, seid Stolz auf Eure Identität, seid stolz auf die 65 000 Jahre alte Geschichte und Kultur, deren Teil ihr seid."

Die Versöhnung ist kompliziert

60,6 Prozent Nein- zu 39,4 Prozent Ja-Stimmen lautete das Ergebnis des Referendums am Sonntag. Kein einziger der sechs australischen Bundesstaaten hatte für die Verfassungsänderung gestimmt. Die Niederlage für T he Voice war niederschmetternd, die Botschaft der Abstimmung deutlich: Auch im 21. Jahrhundert ist die Nation noch nicht bereit, ihre blutige Kolonialgeschichte so aufzuarbeiten, dass die etwa 980 000 First-Nations-Menschen unter den 26 Millionen Australierinnen und Australiern ein eigenes Gremium im parlamentarischen Alltag bekommen.

Die Versöhnung zwischen Ureinwohnern und Nicht-Ureinwohnern ist kompliziert. Das Trauma der Vergangenheit sitzt tief. Zu rücksichtslos und brutal breiteten sich die europäischen Siedler ab Ende des 18. Jahrhunderts in dem Land aus, das ihnen nicht gehörte. Dazu kommt: Die Welt der australischen Ureinwohner ist vielfältig. Sie umfasst Aboriginals aus den diversen Völkern des Hauptlandes und Insulaner aus der Torresstraße zwischen Papua-Neuguinea und dem nordaustralischen Cape York. Sie sind nicht alle einer Meinung. Sie stimmten auch nicht alle für das Mitspracherecht, wie die Ergebnisse des Referendums zeigten.

Aber The Voice schien doch zumindest ein Vorschlag zu sein, hinter dem sich viele versammeln konnten. Der Vorschlag sah einen ständigen, unabhängigen Beirat aus First-Nations-Australiern vor, der Regierung und Parlament Denkanstöße in Ureinwohner-Angelegenheiten geben sollte. Er war vor sechs Jahren in 13 Regionalversammlungen mit 1200 First-Nations-Menschen entstanden, den ein gemischt besetzter Referendumsrat organisiert hatte. Die Regionalversammlungen mündeten in einer First-Nations-Nationalversammlung und dem sogenannten "Uluru-Statement from the Heart" mit besagtem Vorschlag zur verfassungsrechtlich gesicherten Mitsprache.

Als die konservative Coalition aus Liberaler und Nationaler Partei noch regierte, hatte das Referendum keine Chance. Aber im Mai 2022 kam Labor an die Macht, und Anthony Albanese setzte es gleich um. Albanese dachte wohl, dass er das Land ganz leicht mit seinem guten Willen infizieren könne. Aber die Konservativen hatten ihre eigenen Interessen. Am Samstagabend räumte Albanese ein: "Es war noch kein Referendum ohne überparteilichen Konsens erfolgreich."

"Walk for Yes": die Befürworter einer Verfassungsänderung, die hier im September demonstrierten, sind mit ihrem Vorhaben gescheitert. (Foto: JAIMI JOY/REUTERS)

Der Kampf um Ja oder Nein wirkte teilweise wie ein parteipolitisches Kräftemessen. Und es fiel den Konservativen nicht schwer, über herkömmliche und soziale Medien die Zweifel zu streuen. Zumal sie eine rechte Vorzeige-Ureinwohnerin in ihren Reihen hatten: Senatorin Jacinta Nampijinpa Price war die Frontfrau der Nein-Bewegung. Konsequent beschrieb sie The Voice als "spalterisch", "elitär" - und sogar als Gefahr für die politische Ordnung, obwohl immer klar war, dass der vorgesehene Ureinwohner-Beirat kein Vetorecht haben würde.

"Wir müssen wegkommen vom Groll"

Den Sieg der Nein-Sager feierte Jacinta Nampijinpa Price wie einen Triumph über abgehobene Besserwisser. "Wir können nicht mehr weiter Akademikern und Aktivisten aus den Städten zuhören", sagte sie und forderte: "Wir müssen wegkommen vom Groll."

Im Grunde war das ein Aufruf, die Vergangenheit ruhen zu lassen, konservativen Weißen nicht mit indigenem Fachwissen reinzureden und soziale Probleme mit oberflächlicher Zuschusspolitik klein zu halten. Aber damit zeigte Jacinta Nampijinpa Price vor allem, wie zerrissen Australiens Gesellschaft gerade ist. Denn die meisten Ureinwohner denken anders - das ist zumindest der Eindruck, der vom Referendum zurückbleibt. Gerade in Prices Heimat, im Northern Territory, plädierten viele abgelegene First-Nations-Gemeinden mehrheitlich für Ja. Und die Kommentare zum Nein aus den Ureinwohner-Kreisen klangen oft traurig, manchmal resignativ, teilweise empört und wütend.

"Die Versöhnung ist tot", sagte die Ureinwohner-Aktivistin und Professorin Marcia Langton, "eine Mehrheit der Australier hat eine Einladung der australischen Ureinwohner mit einem Minimalvorschlag abgelehnt." Eine Gruppe von Unterstützern rief eine Schweigewoche zur Andacht aus und sprach von "bitterer Ironie": "Es ist unfassbar, dass Menschen, die erst seit 235 Jahren auf diesem Kontinent leben, sich weigern, diejenigen anzuerkennen, deren Heimat dieses Land seit über 60 000 Jahren ist." Und der Senator Andrew Bragg, einer der wenigen Voice-Befürworter der Liberalen Partei, sagte: "Gerade ist die Nation verletzt und wir müssen viel nachdenken."

Alle Nachrichten im Überblick
:SZ am Morgen & Abend Newsletter

Alles, was Sie heute wissen müssen: Die wichtigsten Nachrichten des Tages, zusammengefasst und eingeordnet von der SZ-Redaktion. Hier kostenlos anmelden.

Was dabei rauskommt, ist unklar. Ein Vorhaben ist gescheitert, an dem leidenschaftliche Ureinwohner-Vertreter fast zehn Jahre lang gearbeitet haben. Für viele ist das ein Einschnitt. Bekannte Befürworter wie Marcia Langton und der Anwalt Noel Pearson haben angekündigt, sich im Falle der Ablehnung zurückzuziehen. Trotzdem wird die Debatte bleiben. Zumal der konservative Oppositionsführer Peter Dutton - für viele verwirrend -angekündigt hat, er werde ein zweites Referendum zur Anerkennung der First-Nations-Australier abhalten, wenn die "Coalition" 2025 wieder in die Regierung kommt. Dutton sorgt wohl schon für den Wahlkampf vor.

"Wir werden weiter zuhören"

Zunächst aber muss Premierminister Anthony Albanese seine Ureinwohner-Politik neu ausrichten. The Voice in der Verfassung zu verankern, war sein erklärtes Ziel. Das forderte ja auch das "Uluru Statement from the Heart". Nachfolge-Regierungen sollten die Mitsprache nicht so einfach rückgängig machen können wie jede normale Reform. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass Albanese wenigstens eine Gesetzes-Initiative auf den Weg bringt.

Aber was dann? "Wir werden weiter zuhören", sagte Albanese, Wege wolle er finden, die soziale Kluft zwischen Ureinwohnern und Nicht-Ureinwohnern zu schließen. Und die Ministerin Linda Burney sagte in den Kampf gegen ihre Tränen hinein: "Wir werden weitermachen, wir werden vorankommen, und wir werden gedeihen."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusUreinwohner in Australien
:Ungehört im eigenen Land

Sollten Aboriginals bei politischen Entscheidungen mitreden dürfen, die sie betreffen? Darüber wird in Australien gestritten - und am 14. Oktober abgestimmt. Aber viele Ureinwohner haben existenziellere Probleme.

Von Thomas Hahn

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: