Thomas de Maizière hat die blaue Karte schon Mitte Oktober in die Kameras gehalten. Sie solle "unverzüglich" eingeführt werden, sagte der Innenminister von der CDU damals. Die Eile ist kein Wunder: Sicherheitsbehörden verlangen danach. Die blaue Karte, das ist der "Ersatz-Personalausweis". Ihn sollen Menschen bekommen, die von deutschen Sicherheitsbehörden als gefährliche und gewaltbereite Islamisten eingestuft werden. Ihren eigentlichen Personalausweis sollen sie für bis zu 18 Monate abgeben müssen, auf dem blauen Ersatzpapier steht in fetter Schrift: "Berechtigt nicht zum Verlassen Deutschlands."
So will die Bundesregierung verhindern, dass deutsche Dschihadisten über die Türkei nach Syrien und in den Irak reisen, um für den "Islamischen Staat" zu kämpfen. Etwa 550 Deutsche sollen das bereits getan haben, sie gelten als äußerst gefährlich und könnten geschult worden sein, bei ihrer Rückkehr in die Heimat Terroranschläge zu verüben. So war es im Fall des französischen Attentäters, der im Mai 2014 im Jüdischen Museum in Brüssel vier Menschen tötete.
Mitte Dezember soll das Gesetz im Kabinett beschlossen werden, am Montag ist der Gesetzentwurf bekannt geworden für den "Terrorperso", wie ihn die Grünen nennen. Die Grünen sind für Innenminister de Maizière ein Problem: Sie wollen das Gesetz verhindern, es im Bundesrat blockieren. Auch die Linke ist dagegen, Widerspruch kommt zudem von Experten. Angeführt werden im Wesentlichen vier Argumente, die unterschiedlich stichhaltig sind:
Der bloße Verdacht darf nicht Grundlage für einen tiefen Einschnitt in Freiheitsrechte sein ...
Die Freiheit, das Land zu verlassen, ist ein Grundrecht. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon 1953 in einem Urteil klargemacht. Den betroffenen, mutmaßlichen Islamisten wird dieses Grundrecht genommen, obwohl sie nichts verbrochen haben, sagen die Kritiker. Der Verdacht der Sicherheitsbehörden reiche aus. "Verfassungsmäßig äußerst fragwürdig", findet das die Grünen-Innenexpertin Irene Mihalic.
Allerdings geben Experten zu bedenken: Auch in anderen Fällen werden Ausreisesperren verhängt, etwa wenn gewaltbereite Hooligans zu Auswärtsspielen ins Ausland reisen wollen. Das sei bislang im Ergebnis "verfassungsrechtlich unbeanstandet geblieben", schreibt etwa der Jura-Professor Michael Kloepfer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sprich: Das Bundesverfassungsgericht hatte nichts dagegen. Warum sollte das bei Islamisten anders sein?
... zumal der Ersatzpersonalausweis ein Stigma erzeugt.
Die Kritiker des Gesetzentwurfs stört außerdem, dass Träger des blauen Personalausweises für andere Menschen leicht zu identifizieren wären. Der Ausweis diskriminiere auf Verdacht, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Jan Korte, der tageszeitung. "Die Stigmatisierung als ausreisewilliger Terrorverdächtiger wird für die Betroffenen nicht dadurch erträglicher, dass sie mit einem Ersatzpapier einhergeht", sagt Sönke Hilbrans, Berliner Rechtsanwalt und Mitglied im Vorstand des Republikanischen Anwaltsvereins.
Sicherheitspolitiker halten die leichte Erkennbarkeit jedoch gerade für einen Vorteil des Ersatzpersos: So werde jedem Grenzbeamten, auch im Ausland, sofort klar, dass es sich um einen Terrorverdächtigen handle. Andere Maßnahmen, wie etwa die Markierung des eigentlichen Personalausweises, seien dagegen leicht zu umgehen.
Der bisherige Rechtsrahmen ist völlig ausreichend ...
Schon jetzt entzieht der Staat Terrorverdächtigen den Reisepass. Die Regierung sagt: Das reicht nicht, weil mutmaßliche Terroristen über die Türkei in den "Islamischen Staat" reisen können. In die Türkei können Deutsche mit dem Personalausweis einreisen, der Reisepass wird nicht benötigt. Deshalb, so die Argumentation von Innenminister de Maizière, müsse auch der Personalausweis eingezogen werden. Er folgt damit einer UN-Resolution, die von den Mitgliedsstaaten fordert, die "Bewegung von Terroristen" zu unterbinden.
Ihr Forum:Kann der "Terrorperso" den deutschen Dschihad stoppen?
"Berechtigt nicht zum Verlassen Deutschlands" steht in fettgedruckten Lettern auf blauem Grund. Mit dem Ersatzpersonalausweis will Innenminister de Maizière eine Lösung gefunden haben, um die Ausreise deutscher Dschihadisten zu stoppen. Darf bloßer Verdacht Grundlage für einen tiefen Einschnitt in Freiheitsrechte sein?
Juristen wie Michael Kloepfer zweifeln an der Verbindlichkeit der Resolution, "da die deutsche Verfassung im Inland Vorrang gegenüber Völkerrechtsregeln und Beschlüssen internationaler Organisationen genießt." Irene Mihalic von den Grünen wirft der Bundesregierung "Symbolpolitik" vor, weil sie schon jetzt eine Ausreisesperre "im Grenzfahndungsbestand hinterlegen" könne. Sprich: Bei der Grenzkontrolle blinkt es im Computer des Polizisten, wenn er den Personalausweis des Terrorverdächtigen über seinen Scanner zieht. Ein Ersatzdokument wäre demnach nicht nötig. Der Anwalt Sönke Hilbrans pflichtet ihr bei: "Die nationale und internationale Fahndung nach Dschihadisten dürfte die wichtigste Rolle bei Reiseaktivitäten spielen."
Voraussetzung ist allerdings, dass diese Fahndung auch wirklich stattfindet, dass also der Pass auch wirklich gescannt wird. Das ist nicht immer gegeben, darauf hat der Innenminister in ausländischen Staaten auch wenig Einfluss. Der blaue "Terrorperso" soll die Fahndung zumindest erleichtern.
... auch weil Terroristen längst andere Wege gehen.
Wer wirklich für den "Islamischen Staat" kämpfen will, der findet einen Weg. Das ist, vereinfacht gesagt, die Einschätzung von Sicherheitskreisen. "Der Wille auszureisen ist bei einigen Islamisten extrem stark", zitiert die Welt einen Verfassungsschützer: "Manch einer benutzt zum Beispiel den Reisepass oder Personalausweis des Bruders. Wer nicht fliegen will, fährt einfach mit dem Bus oder Mietwagen."
Daran kann Thomas de Maizière freilich nichts ändern - hier wären wieder die Transitländer gefordert. Dass der Innenminister zu so einem "Strohhalm" wie dem "Terrorperso" greife, meint Anwalt Hilbrans, "zeigt leider vor allem, dass die türkische Regierung weiterhin Dschihadisten ungehindert passieren lässt."