Augsburger Puppenkiste:Westerwilli, der Depp der Blumenwiese

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Die Augsburger Puppenkiste versetzt das Kabinett auf die Blumenwiese - Außenbienchen Westerwilli kann es Biene Merkel nie recht machen.

Laura Neuhaus

Der rote Vorhang der kleinen, fast quadratischen Bühne der Augsburger Puppenkiste lüftet sich. Zu sehen sind Blumen mit großen roten und blauen Blütenblättern, fast wie in einem Zeichentrickfilm. Dann ertönt eine Melodie: "Und diese Biene, die ich meine, nennt sich Merkel. Kleine freche schlaue Biene Merkel."

Wo gibt's Honig? Auf keinen Fall bei den Genscherblümchen, wie Westerwilli (li.) der Biene Merkel vorschlägt. (Foto: Foto: dpa)

Alles fast wie bei Biene Maja, der Kinder-Zeichentrickserie, und da fliegt auch schon von rechts eine kugellige schwarz-gelbe Marionette auf die Bühne.

Das Bienchen mit Plüschkörper und kleinen durchsichtigen Flügeln dreht eine kleine Runde, bevor das Publikum erkennt: Ach ja, hier ist mal Angela Merkel die Biene Maja. Die Lacher sind laut, bevor die Puppe in typischer Merkel-Intonation redet, alles dank Stimmenimitator Elmar Brandt.

In der 18-Uhr-Vorstellung des berühmten Marionettentheaters in der Augsburger Spitalgasse sitzen an diesem Sonntagabend fast nur Erwachsene. Das zweistündige Programm des "Kabarett 2010" bietet Politsatire, Sketche und musikalische Nummern.

Und was gibt es Schöneres, als die aktuelle Berliner Krisenkoalitions-Gruppe an den Strippen des Augsburger Puppentheaters baumeln zu sehen. Da ist zum Beispiel das Außenbienchen Westerwilli, ein bisschen eitel, ein bisschen unsicher.

Biene Merkel hat ihrem Westerwilli gerade noch strategische Komplimente gemacht, dem ins Insektengleiche verwandelten politischen Freund-Feind Westerwelle: "Schick siehst du aus, in unserem schwarz-gelben Koalitions-Strampler", flötet sie im schönsten Mutti-Stil.

Aber auf die Leistungen ihres Außenbienchens ist die Chefin der Blumenwiese brumma brummarum nicht besonders stolz: "Dahinten kommt die Opposition und wir haben noch überhaupt nichts vorzuweisen!", meckert sie. Westerwillis Leibchen vibriert. Das ist ja fast wie im Sozialismus. Es fehlt an Nahrung. Und schon fordert die Rot-Ameise Gysi "mehr Honig für die arbeitende Insekten-Bevölkerung".

Es herrscht Honigmangel auf der Wiese und keiner hat eine gute Idee, wie dieses Problem zu lösen ist. Genauso naiv wie Willi von der Tulpe, der willfährige Freund von Maja in der Zeichentrickserie, macht Westerwilli seinen Lösungsvorschlag: "Wir könnten zu der Wiese mit den Genscherblümchen fliegen. Vielleicht gibt es dort die Lösung."

Da winkt Biene Merkel nur ab. Genscherblümchen? Man lebt ja nicht mehr im 20. Jahrhundert. Irgendwie kann sich dieser Westerwilli vom Phänomen Genscher nicht lösen.

Kurz darauf tanzen Pinguine auf Eisschollen der Klimakrise entgegen. Ein Schwein im mexikanischen Trachtenkleid schwingt die Hüften zur lateinamerikanischen Version des Songs Fever von Little Willie John.

Den geschnitzten Köpfen von Merkel, Westerwelle, Gysi und Co. wird jährlich ein neuer Körper gebastelt, passend für eine neue Geschichte. Dieses Jahr ist Jürgen Trittin als "Grashüpfer Flippin" dabei, Wolfgang Schäuble rollt als Schabe über die Bühne, Sigmar Gabriel wird vom dicken "Sigmarienkäferchen" gedoubelt - und von links wettert Gregor Gysi als roter Ameisenführer gegen die Regierungsbienchen.

"Diesmal ist das Programm vielleicht etwas schärfer geworden als sonst", erklärt Andreas Ströbl. Der frühere Tänzer ist einer von 16 Puppenspielern. Wie die meisten im Ensemble wirkt er bei der Arbeitsgemeinschaft Kabarett mit. Dort entwickeln die Mitarbeiter der Puppenkiste im Laufe eines Jahres gemeinsam die Sketche.

"Aus dem Fernsehen kennt man ja die Kindersachen von der Puppenkiste. Aber aus dem Alter sind wir wohl langsam raus", sagt eine Zuschauerin. Bei ihrem Kurzbesuch in Augsburg gehört für sie und ihre Freundin die Puppenkiste zum Pflichtprogramm. "Dem Kabarett geht ein guter Ruf voraus", sagt ein Augsburger.

"Krisenfreies Vergnügen" wünscht der Kasperl zu Beginn in der Rolle des Conférenciers. "Das Geld für den Eintritt habt ihr ja noch zusammengekratzt." Damit ist klar, was das Leitmotiv des Abends ist: die vielzitierte Krise. Und die hat eben auch mit Biene Merkel und Westerwilli zu tun. Martin Stefaniak hatte die Idee zur politischen Blumenwiese.

"In der AG suchen wir nach Witzen, die die ganze Spielzeit lang passen und trotzdem hohes Niveau haben", erläutert Puppenspieler Ströbl. Jedes Ensemblemitglied bringt andere Ideen und seinen eigenen Humor mit ein. Es sei "schön, als Puppenspieler selbst auf das Programm Einfluss zu nehmen", findet Andrea Graf, die seit acht Jahren in der Puppenkiste arbeitet.

Seit nunmehr zehn Jahren arbeiten die Puppenspieler auch als Autoren. "Wir versuchen, die ganze politische Bandbreite abzudecken", erklärt Theaterleiter Klaus Marschall. "Dadurch erreichen wir Vielfalt." Dieses Jahr sind 34 kleine Stücke das Ergebnis der gemeinsamen Regie. In den Umbaupausen erzählt eine Stimme aus dem Off kurze Witze: "Mit der Wirtschaftskrise verschwinden immer mehr Traditionsunternehmen - wie zum Beispiel Schiesser, Karstadt ... und die SPD."

Das erste Kabarett in der Augsburger Puppenkiste gab es bereits vor 60 Jahren - zwei Jahre nachdem 1948 das Theater begann. Seit den achtziger Jahren wird jedes Jahr ein neues Programm geboten - immer mit Premiere an Silvester.

Neu geschnitzt wurde für das Kabarett 2010 der Kopf eines Mannes, der noch nicht lang auf der politischen Weltbühne steht. Mit weißer Country-Gitarre und amerikanischen Akzent singt Barack Obama eine umgetextete Version von Nicoles Grand-Prix-Schlager Ein bisschen Frieden: "Das bisschen Klima in Kopenhagen, die Aircondition lässt es ertragen."

Der Typus der naiven Politfigur, die hofft, dass sich alles schon bald irgendwie zum Guten wendet, scheint dem Publikum besonders viel Spaß zu machen. Beim Hinausgehen ins Foyer tauschen sich die Zuschauer noch immer schmunzelnd über ihre Favoriten aus. Die einen fanden Obama und seinen Akzent besonders gut, die anderen mochten, wie sich Gysi als rote Ameise bewegt.

Am meisten aber lachen die Zuschauer über Biene Merkels naiven kleinen Freund Westerwilli. Der glaubt tatsächlich, dass Herr Ackermann und seinesgleichen für Milch und Honig auf der Blumenwiese sorgen werden.

Er muss geradezu auf diesen Ackermann hoffen. Schließlich war dem emsigen Westerwilli selbst kein Erfolg beschieden, als er die Außenwiesen auf der Suche nach Honig bereist hat. Die Engerlinge, mit denen er sich traf, haben nur engerlisch gesprochen - und das versteht der kleine Westerwilli nicht so gut. Da half kein Genscher.

Eine Botschaft in der Tanzsprache der Bienen hat Westerwilli von der Außenwiesen doch noch mitbekommen. Auch die versteht er nicht, aber er tanzt sie auswendig vor. Und Gysi, die Ameise, übersetzt simultan: "Schickt beim nächsten Mal nicht so einen Idioten!"

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