Atomstreit:Im Kern gespalten

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Vergiftete Atmosphäre: Brüderle stellt sich in der Atomfrage gegen Röttgen. Der wiederum zieht über Westerwelle her. Dabei wäre gerade jetzt Zusammenhalt gefragt: Am Sonntag soll im Kanzleramt eine Lösung gefunden werden.

Thorsten Denkler, Berlin

Am Sonntag ist Showdown im größten Konflikt, den die Regierung intern bisher auszutragen hat: Die Atomfrage. Gegenüber stehen sich hier vor allem Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) - und die Positionen sind so festgefahren, dass Röttgen von Kanzlerin Angela Merkel zu einer Einigung geradezu genötigt werden muss.

Kontrahenten mit unvereinbaren Positionen in der Atomfrage: Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU, links) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP). (Foto: dpa)

Schon das zeigt - wieder einmal -, wie schwierig die Zusammenarbeit der beiden Parteien ist. Doch damit nicht genug.

Erschwerend kommt hinzu, dass der CDU-Minister zuletzt alles andere als diplomatisch aufgetreten ist. Gerade Brüderle, der auch noch FDP-Vize ist, dürfte nicht besonders amused gewesen sein, als er im Magazin Stern nachlesen konnte, was sein Kontrahent Röttgen über seinen Boss Guido Westerwelle festgestellt hat: "Die FDP liegt ja nicht zufällig bei vier Prozent. Ich halte den Westerwelle für irreparabel beschädigt."

Friendly fire wird so eine Aktion im Sprachjargon der Militärs genannt. Westerwelle hat sich jetzt in die Schmollecke zurückgezogen. Solange Röttgen sich nicht öffentlich entschuldigt, werde er nicht mit ihm reden, heißt es. Den Umweltminister scheint die Erkenntnis noch nicht erreicht zu haben, dass die FDP Teil der Regierung ist und es wohl noch einige Zeit bleiben wird.

Natürlich ist es ein offenes Geheimnis, dass so mancher Unionsminister im Kabinett Merkel auf die FDP gut und gerne verzichten könnte. Röttgen spricht nur aus, was viele im Unionslager denken. Aber dennoch: Brüderle und Röttgen müssen dieser Tage so eng wie nie zusammenarbeiten. Sie sollen bis Sonntag ein halbwegs tragfähiges und vor allem gemeinsames Modell ausarbeiten, wie die Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängert werden können. Angela Merkel hat die Angelegenheit zur Chefsache gemacht und erwartet, dass ihre Minister liefern.

Herauskommen soll am Ende: Eine Laufzeitverlängerung, die nicht aussieht wie ein Kniefall vor den Atomkonzernen. Eine Idee, wie viel Geld den Stromkonzern über die bereits festgelegten 2,3 Milliarden Euro hinaus abgeknöpft werden kann, um erneuerbare Energien zu fördern. Eine Lösung, die es erlaubt, die Laufzeiten ohne Zustimmung des Bundesrates auszuweiten. Dort würde bei den bestehenden Mehrheiten jede Verlängerung scheitern.

Diese Anforderungen sind nicht so leicht zu erfüllen. Doch statt sich auf die Lösung der Probleme zu konzentrieren, demonstrierten Brüderle und Röttgen vergangenen Montag erneut, wie tief der Graben zwischen ihnen tatsächlich ist. Es geht um die Bewertung eines lange erwarteten Energie-Gutachtens, das Grundlage für die Laufzeit-Entscheidung der Bundesregierung sein sollte.

Eine gemeinsam anberaumte Pressekonferenz ließ vermuten, dass Röttgen und Brüderle endlich mit einer Stimme sprechen wollten. Doch Brüderle hatte Röttgen kurz vor dem Ereignis mitgeteilt, dass er nicht gedenke, seine Erwartungen an eine Laufzeitverlängerung zurückzuschrauben. Röttgen wiederum stellte klar, dass er ebenso wenig gewillt sei, eine überzogene Laufzeitverlängerung als etwas anderes zu beschreiben, als was sie in seinen Augen ist: Unsinn.

So traten sie also vor die Presse, Brüderle forderte zwölf bis 20 Jahre längere Laufzeiten und Röttgen dozierte, dass es kaum einen Unterschied mache, ob die Atomkraftwerke vier, acht oder zwölf Jahre länger liefen.

Selbst kurz vor dem Atomgipfel im Kanzleramt bleiben die Fronten verhärtet. Aus dem Umweltministerium wurde jetzt eine vernichtende Bewertung des Energie-Gutachtens lanciert, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Die Kosten des Klimaschutzes für die Bürger seien darin "offensichtlich bewusst" viel zu hoch angesetzt worden, "um Klimaschutz und Umstrukturierung der Energieversorgung zu diskreditieren". Dagegen seien die Kosten für die sicherheitstechnische Nachrüstung von Kernkraftwerken (Schutz vor Terroranschlägen) "deutlich zu niedrig angesetzt".

Die Gutachter hätten zudem "trotz anderslautendem Auftrag" lediglich eine Kostenanalyse vorgenommen, den Nutzen einer ambitionierten Klimapolitik aber nicht mit eingerechnet.

Brüderle muss das Papier aus dem Umweltministerium als Affront auffassen, hatte er doch zuvor verkündet, dass das Gutachten endlich seine Forderung nach erheblichen Laufzeitverlängerungen wissenschaftlich untermauere. Und auch Merkel dürfte nicht besonders erfreut über die neuerliche Indiskretion aus dem Hause Röttgen sein. Das Gutachten habe schließlich nach ihrer Lesart eindeutig ergeben, dass längere Laufzeiten zu niedrigeren Strompreisen und besserer Versorgung führten.

Röttgen dafür öffentlich anzugehen, verbietet sich jedoch: Ihr Lieblingsminister steht mitten in einem parteiinternen Wahlkampf um den Landesvorsitz in Nordrhein-Westfalen.

Röttgen selbst beeilte sich immerhin, so etwas wie ein Dementi in die Welt zu setzen. Er kenne das Papier nicht, ließ er mitteilen, es sei inhaltlich nicht maßgeblich. Was aber nicht heißt, dass es das Papier nicht gibt. Und noch weniger bedeutet es, dass er es nicht gutheißen würde - würde er es denn kennen.

Dass Guido Westerwelle das kritisierte Energie-Gutachten gelesen hat, darf bezweifelt werden. Er hat es nicht so mit Details. In einem Video-Interview mit der Leipziger Volkszeitung verkündete er dennoch: "Wir haben jetzt das Gutachten. Und das gibt in vollem Umfange auch den Liberalen in der Bundesregierung recht."

In demselben Interview sagt er übrigens noch andere spannende Sachen. Zu Beispiele diese: "Viele Bürger merken, dass ich inhaltlich etwas bewegen will. Ich brenne innerlich für das, was ich mache." Oder: "Es wird mir ja gelegentlich auch vorgeworfen, dass ich da vielleicht zu pointiert mich einbringe, aber das liegt daran, dass ich eben auch wirklich etwas verändern, etwas bewegen will. Ich bin eben auch sehr engagiert. Ich sehe das nicht so distanziert abgebrüht, was da vor sich geht, sondern mir ist es ein Herzensanliegen, Dinge zu verändern."

Für Außenstehende ist das ein weiteres, deutliches Beispiel für die eklatanten Unterschiede in der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Traumpartner Union und FDP. Wie hatte Röttgen Westerwelle noch gleich bezeichnet? Als "irreparabel beschädigt."

Spätestens am Sonntag wird Röttgen Westerwelle höchstselbst erklären können, was genau er damit gemeint hat. Dann werden die beiden mit Merkel, Brüderle sowie den Partei- und Fraktionschefs der Koalitionspartner im Kanzleramt zum Atomgipfel zusammenkommen.

Dass der Gesprächsbedarf erheblich ist, lässt sich auch an der Terminierung ablesen. Bereits am Vormittag sollen sich die selbsternannten Experten für Energie- und Klimafragen im Kanzleramt treffen. Selbst wenn dabei nur herauskäme, dass sich die Regierenden künftig um ein gutes Klima in der Koalition bemühen und ihre Energien nicht mehr im Streit vergeuden wollen, könnte der Tag schon als Erfolg angesehen werden.

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