Atom - Biblis:Niedersachsen: Atom-Transport verhindern, Hessen gelassen

Atom
Boris Pistorius (SPD), Innenminister von Niedersachsen, spricht. Foto: Julian Stratenschulte/dpa/Archivbild (Foto: dpa)

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Hannover/Wiesbaden (dpa) - Während Niedersachsen für eine erneute Verschiebung des Castor-Transports mit hoch radioaktivem Müll aus dem britischen Sellafield wirbt, sieht sich Hessen für die Rückholung des Atommülls gerüstet. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in einem Brief gebeten, "dass der Transport und die damit einhergehenden Einsatzmaßnahmen erneut verschoben werden", wie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete. Das Innenministerium in Hannover bestätigte das Schreiben.

Eine Sprecherin der niedersächsischen Landesregierung ergänzte am Mittwoch, es gebe ein "großes Fragezeichen", ob der Transport angesichts der Corona-Ausbreitung jetzt stattfinden müsse. Zu befürchten seien Demonstrationen und ein großes Polizeiaufgebot. "Man kann nur hoffen, dass da vielleicht in Berlin noch Einsicht einkehrt."

Hessen sieht sich dagegen auf den Castor-Transport nach Biblis vorbereitet. Es gebe keine Bitte um eine erneute Verschiebung des Transports, sagte ein Sprecher des Innenministeriums am Mittwoch. "Ob er stattfindet oder nicht, entscheidet das Bundesinnenministerium."

Die sechs rund 100 Tonnen schweren Castor-Behälter sollten eigentlich bereits im Frühjahr per Schiff kommen und dann mit der Bahn in das Zwischenlager am früheren Atomkraftwerk im hessischen Biblis gebracht werden. Wegen der Corona-Krise wurde dies aber abgesagt. Atomkraftgegner und Umweltschützer gehen davon aus, dass der Atommüll über den niedersächsischen Hafen Nordenham ins Land kommt.

Dem Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung (Base) zufolge gilt die aktuelle Transportgenehmigung bis zum 31. Dezember. "Sollte der Transport danach stattfinden, müsste der Beförderer eine neue Transportgenehmigung beantragen", teilte das Amt mit. Deutschland ist verpflichtet, seinen Atommüll zurückzunehmen. "Alle Terminplanungen zur erforderlichen Rückführung stehen aber selbstverständlich unter dem Vorbehalt, dass alle erforderlichen Voraussetzungen für einen sicheren Transport tatsächlich vorliegen." Hierüber müssten unter anderem die Innenbehörden entscheiden.

Pistorius schildert in seinem Brief an Seehofer, er habe den Polizeieinsatz zur Sicherung des Transports mit seinen Behörden "intensiv erörtert" und sei zu einer "Neubewertung" gekommen, schreibt "Der Spiegel". Demnach sei der Transport derzeit wegen der Pandemie "nicht vertretbar". Atomkraftgegner und Umweltschützer erwarteten den Transport bislang für Anfang November.

Wegen der zu erwartenden Proteste und der Sicherung des Transportes muss ein massives Polizeiaufgebot mobilisiert werden. Pistorius mahnt in seinem Brief an, dass der Einsatz von so vielen Polizisten trotz eines bereits geplanten Hygienekonzepts "erhöhte Infektionsrisiken für die Einsatzkräfte" mit sich bringen würde. Allein durch das Zusammenziehen von Einsatzkräften aus verschiedenen Bundesländern entstehe eine erhöhte Gefahr von Infektionen. Zudem führe der geplante Transport durch viele Gegenden, die schon jetzt die kritische Zahl an Neuinfektionen überschritten hätten.

Unterdessen ist eine Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegen die Castor-Einlagerung in Biblis gescheitert. Der hessische Verwaltungsgerichtshof hat die entsprechende Genehmigung bestätigt. Die Kasseler Richter wiesen einen Eilantrag des BUND ab. Man teile die Einschätzung der Bundesrepublik, dass ein erhebliches öffentliches Interesse an einer zeitnahen Abnahme der wiederaufbereiteten Kernbrennstoffe bestehe, hieß es in der am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung des Gerichts. Der Beschluss ist rechtskräftig. (Aktenzeichen: 6 B 2381/20.T)

Die Bundesrepublik Deutschland hatte die Genehmigungen für Biblis erweitert, um auch verfestigte Kernbrennstoffe in Castor-Behältern dort lagern zu können - wie die aus Sellafield. Der BUND ging gegen die geänderte Genehmigung vor. Er argumentierte unter anderem, dass ein kompletter Neuantrag auf Einlagerung mit Öffentlichkeitsbeteiligung erforderlich gewesen wäre. Zudem sehen die Umweltschützer Sicherheitsrisiken.

Aus Sicht des Gerichtshofs überwiegt aber das öffentliche Interesse, die Änderung sofort wirksam werden zu lassen. Die Frage, ob diese sachlich rechtmäßig sei, müsse in einem Hauptsacheverfahren geklärt werden. Der BUND zeigte sich enttäuscht: "Wir sind weiterhin der Auffassung, dass bei der Castor-Einlagerung wesentliche Ziele des Atomrechts zur Vorsorge gegen erhebliche Schäden durch radioaktive Strahlung nicht erfüllt sind", sagte Werner Neumann vom BUND-Landesvorstand Hessen. Dass der Staat auf möglichst hohe Sicherheitsvorkehrungen bei der Castor-Lagerung verzichte, sei "das falsche Signal zu einer Zeit, in der die Suche nach einem Endlager beginnen soll".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: