Fünf Prozent der Menschen in Deutschland wurden bis zum Dienstag mit mindestens einer Impfdosis gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 geimpft. 6,4 Millionen Impfdosen wurden verabreicht, in den Kühlschränken der Bundesländer lagern weitere 2,4 Millionen Dosen, und jeden Tag kommen weitere Lieferungen: Bis Ende März kommen fast zehn Millionen Dosen hinzu. Beim aktuellen Impftempo würden diese Vorräte, wenn die Hersteller sie so liefern wie zugesichert, fast bis in den Sommer reichen.
Die Impfgeschwindigkeit muss zunehmen, da sind sich alle einig. Ein Weg wäre, endlich den Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers Astra Zeneca auch für Menschen im Alter von über 65 Jahren zu empfehlen. In Europa ist er für alle Altersgruppen ab 18 Jahren zugelassen, die Ständige Impfkommission Stiko hatte ihn Ende Januar jedoch nur bis 65 Jahre empfohlen. Nicht weil der Impfstoff bei Älteren unsicher wäre, sondern weil im Januar schlicht Daten fehlten, die eine Wirksamkeit im hohen Alter belegen. Doch die gibt es mittlerweile, und zwar massenhaft.
Studien aus England und Schottland zeigen, dass der Impfstoff von Astra Zeneca auch bei über 70-Jährigen eine gute Schutzwirkung entfaltet. Laut der schottischen Studie mit mehr als einer Million mit dem Astra-Zeneca-Präparat geimpften Menschen verhinderte bereits die erste Dosis nach vier Wochen 94 Prozent der Krankenhauseinweisungen, die wegen Covid-19 in der ungeimpften Bevölkerung notwendig waren.
Der ebenfalls verimpfte Stoff von Biontech/Pfizer verhinderte 85 Prozent der Krankenhausaufnahmen. In der Altersgruppe 80 plus erreichten beide Impfstoffe einen 81-prozentigen Schutz vor schweren Krankheitsverläufen. Die englische Studie ergab für eine Dosis von Astra Zeneca vier Wochen nach dem Impftermin eine Schutzwirkung von 73 Prozent bei Krankenhauseinweisungen von über 70-Jährigen.
Jüngere zu impfen, bremst die Infektionsdynamik
"Der Astra-Zeneca-Impfstoff wirkt auch bei Älteren", schreibt die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie in einer Stellungnahme und plädiert für einen Einsatz von 65 Lebensjahren an. "Wir dürfen nicht den Fehler machen und über irrelevante Unterschiede diskutieren - jede Impfdosis, die wir bekommen können, soll so rasch wie möglich verimpft werden."
Der Nutzen schneller, flächendeckender Impfungen wäre vielfach: Die Daten aus Schottland und eine israelische Studie zeigen, dass die Impfungen auch das Infektionsgeschehen beeinflussen. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass Geimpfte sich infizieren und das Virus weitergeben, die Impfstoffe schaffen also keine vollkommen "sterile Immunität", wie Infektiologen sagen. "Aber sie bremsen die Ausbreitung", sagt der Immunologe und Impfstoff-Forscher Leif Erik Sander von der Berliner Charité. Deshalb spricht er sich auch dafür aus, die Impfungen für alle freizugeben. Gerade in den jüngeren Altersgruppen mit vielen Kontakten während eines Arbeitstages würde so die Infektionsdynamik gebremst.
Hochbetagte und Menschen mit erhöhtem Risiko sollten weiterhin bevorzugt geimpft werden, sagt Sander. Doch wenn aus den Risikogruppen nicht genug Menschen Impftermine buchen, sollte die Allgemeinbevölkerung Impfstoff bekommen, bevor der herumliegt.
"Es wäre von Anfang an richtig gewesen, den Astra-Zeneca-Impfstoff auch für die über 65-Jährigen einzusetzen", sagt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. "Da seine Wirkung für Ältere mittlerweile so stark belegt ist, sollte die Freigabe sofort erfolgen. Wegen der hohen Impfbereitschaft in dieser Gruppe wird dann auch kein Impfstoff liegen bleiben." Das Risiko, im Falle einer Erkrankung an Covid zu sterben, sei für einen 80-Jährigen 600-mal höher als für einen 30-Jährigen.
In der vergangenen Woche sagte der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, die Stiko werde die Empfehlung zum Astra-Zeneca-Impfstoff überdenken. Zu einem Termin konnte sich Mertens am Dienstag auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung nicht konkret äußern, da die Arbeitsgruppe noch "mitten in der Phase der Analyse und Bewertung" sei.