Aschewolke:Die Luft ist rein, das Chaos bleibt am Boden

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Europas Luftraum ist wieder offen. An den Flughäfen wird es aber noch tagelang Rückstau geben - weshalb am Wochenende die Autobahnen dicht sein werden.

Die bislang einmalige Sperrung des europäischen Luftraums wegen der Aschewolke des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull ist an diesem Mittwoch aufgehoben worden. Im Verlauf des Tages konnten bereits wieder 80 Prozent aller planmäßigen Verbindungen geflogen werden, teilte die europäische Luftsicherheitsbehörde Eurocontrol mit. Am Donnerstag sollen es 100 Prozent sein.

Der Frankfurter Flughafen hat den normalen Betrieb wieder aufgenommen. (Foto: Foto: ddp)

Damit löst sich eine der größten und teuersten Verkehrsbehinderungen der Geschichte nach gut sechs Tagen auf. Es wird aber noch einige Tage dauern, bis die Flugpläne komplett rund laufen. Die Einnahmeausfälle der Airlines schätzt der Internationale Flugverband IATA auf knapp 1,3 Milliarden Euro.

Drei Millionen nicht beförderte Passagiere

Die Deutsche Flugsicherung erlaubte am Mittwoch flächendeckend Luftverkehr nach Instrumentenflugregeln (IFR) - zuvor war das Fliegen nur mit Sondergenehmigungen oder im Sichtflug erlaubt gewesen. Bis Mittwochabend rechnete sie bereits wieder mit etwa 5000 Passagier- und Frachtmaschinen auf IFR-Flügen. Normalerweise gibt es im Schnitt täglich knapp 8500.

Knapp drei Millionen Passagiere wurden seit Donnerstag vergangener Woche wegen der Luftraumsperrungen nicht abgefertigt, schätzte die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen. Den Rückstau bei der Luftfracht bezifferte sie mit 50.000 Tonnen.

Viele Unternehmen litten unter den Ausfällen. Autohersteller Opel muss am Donnerstag eine eintägige Produktionspause im Stammwerk Rüsselsheim einlegen, weil Teile fehlen. Bei Daimler und BMW hatte es zuvor schon Lieferengpässe gegeben. Auch der weltgrößte Automobilzulieferer Bosch war betroffen.

Am kommenden Sonntag wird daher das Sonntagsfahrverbot für Lastwagen bundesweit gelockert. Unternehmen können ihre Anträge bei den Landkreisen und kreisfreien Städten stellen, sagte der Parlamentarische Staatssekretär Andreas Scheuer (CSU). "Wir haben mit den Bundesländern verabredet, dass die Anträge unbürokratisch bearbeitet werden." Die Lockerung des Sonntagsfahrverbots sei "absolut notwendig", um die Folgen der Flugausfälle die Wirtschaft abzumildern, sagte Scheuer. "Dafür bitten wir alle Autofahrer, die am Wochenende auf den Autobahnen unterwegs sind, um Verständnis." Das Sonntagsfahrverbot für Lkw über 7,5 Tonnen gilt auf den Bundesautobahnen üblicherweise zwischen Null und 22 Uhr.

Auch zusätzliche Nachtflüge - darunter am größten deutschen Flughafen Frankfurt am Main - wurden genehmigt. Der volkswirtschaftliche Schaden für Deutschland werde sich nach Einschätzung der Bundesregierung "in Grenzen halten", wie Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sagte.

Nach Angaben der für 38 Länder zuständigen Flugsicherheitsbehörde Eurocontrol gab es am Mittwoch etwa 22.500 Flüge in ganz Europa - das entsprach 80 Prozent der normalerweise üblichen 28.000 Flugbewegungen. Der gesamte Luftraum über Europa war mit Stand 18 Uhr wieder freigegeben, außer in Finnland und Teilen von Schottland.

Die Transatlantik-Flüge seien bereits wieder zum normalen Betrieb zurückgekehrt, meldete Eurocontrol. Auf dem Höhepunkt des Flugchaos' am Sonntag waren 80 Prozent der Flüge ausgefallen. Innerhalb von fast einer Woche wurde an Europas Himmel mehr als jede zweite Verbindung gestrichen - 100.000 von 190.000 Flügen fielen aus.

"Die Wolke hat sich verzogen"

Die Entscheidung, wieder uneingeschränkt fliegen zu lassen, stützte sich auf den Deutschen Wetterdienst (DWD). Es sei keine gefährliche Aschekonzentration mehr nachgewiesen worden. "Das war keine politische Entscheidung", sagte Axel Raab, der Sprecher der Deutschen Flugsicherung (DFS). "Die Wolke hat sich verzogen." Zuvor hatten Airlines wie Lufthansa oder Air Berlin die Sperrungen als überzogen kritisiert.

Teilchen aus Vulkanasche können nach Expertenmeinung Triebwerke und Sensoren von Flugzeugen beschädigen und Piloten die Sicht nehmen. Strittig bleiben nach wie vor Ausmaß und Dichte der Aschewolke. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) verteidigte sein umstrittenes Krisenmanagement. "Die Sicherheit steht an allererster Stelle", sagte er im Bundestag in einer Regierungserklärung.

Meldezentrum und kürzere Wartungsintervalle

Dieser Grundsatz habe bei allen Entscheidungen gegolten. Er habe sofort nach dem Alarm vor der heranziehenden Wolke den Krisenstab bei der DFS zusammengerufen und auch die internationale Luftsicherheitsbehörde ICAO einbezogen. Beim Luftfahrtbundesamt werde nun ein Meldezentrum für ähnliche Vorfälle eingerichtet. Zudem habe er angewiesen, die Inspektions- und Wartungsintervalle aller Flugzeuge zu verkürzen.

Europas größte Airline, die Lufthansa, wollte am Mittwoch 700 ihrer sonst 1800 Flüge anbieten. Am Donnerstag plant sie wieder das volle Flugprogramm. Ihr Chef, Wolfgang Mayrhuber, kritisierte im ZDF erneut den DWD. Er habe sich "sehr stark auf ein Prognosemodell aus England kapriziert", das aber "nicht in Ordnung" gewesen.

Ruf nach einheitlichen Regeln

Die EU-Kommission verlangte, das Wirrwarr der nationalen Zuständigkeiten bei der europäischen Luftsicherheit zu beenden. Das Chaos habe gezeigt, dass die Staatengemeinschaft bei plötzlichen Krisen nicht schnell genug reagieren könne, sagte die Sprecherin von Verkehrskommissar Siim Kallas. Wäre das im Dezember beschlossene Projekt "Single European Sky" (Einheitlicher Europäischer Luftraum) bereits jetzt in Kraft, hätte die Entscheidung zur Lockerung der Flugverbote vom Montagabend "schon am Freitagabend" fallen können, sagte sie. Einheitliche Regeln kommen aber frühestens in zwei Jahren.

Nach Angaben von Eurocontrol in Brüssel gab es in Europa an diesem Mittwoch nur noch im Norden Frankreichs, in einem kleinen Bereich zwischen Belgien und den Niederlanden sowie über Österreich Einschränkungen. In Nordeuropa blieb der Luftraum über dem Norden Großbritanniens sowie in Schweden gesperrt.

Der Wind dreht sich

In den kommenden Tagen wird die Vulkanasche über den Atlantik nach Nord-Nordost getrieben, weil sich der Wind dreht. "Mitteleuropa wird nicht mehr betroffen sein", prognostizierte DWD-Wetterexperte Ansgar Engel in Offenbach.

Auch ein Sprecher des Meteorologischen Institutes in Reykjavik gab Entwarnung: Der Gletschervulkan schleudere nur noch wenig Asche in die Atmosphäre. Die Rauchsäule aus dem Vulkan unter dem Eyjafjalla- Gletscher erreiche nur noch maximal drei Kilometer Höhe.

Nach Einschätzung des Deutschen Reiseverbands warten bisher noch 20.000 gestrandete Urlauber aus Deutschland auf ihre Rückreise. Es wird erwartet, dass die meisten von ihnen bis Donnerstag nach Hause kommen werden. In den vergangenen Tagen hatte der Verband Tausende mit Schiffen, Bahn oder Bus und wo möglich auch mit Sondermaschinen nach Hause geholt. Weltweit waren Millionen Reisende betroffen.

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