Bergkarabach:Ein Hilfslaster, der nicht nur glücklich macht

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Lastwagen mit Hilfsgütern stehen vor dem geschlossenen Latschin-Korridor nach Bergkarabach im Stau. (Foto: Alexander Patrin/Imago/Itar-Tass)

Ein russischer Transport erreicht das blockierte Bergkarabach. Für Armenien ist das ein Dilemma, trotz ihrer Not blockieren Einwohner weitere Lieferungen. Und eine Militärübung mit den USA vertieft den Konflikt weiter.

Von Frank Nienhuysen

Da steht nun der gelbe Lastwagen, der eine Wende bringen soll. An der Seite hängen zwei weiße Planen mit dem Aufdruck "Russisches Rotes Kreuz". Am Dienstag hat der Wagen bei Regenwetter die Stadt Stepanakert erreicht, den Hauptort von Bergkarabach. Er bringt eintausend Pakete mit russischen Lebensmitteln, Bettwäsche und Hygieneartikeln. Seit Dezember sind die Menschen in Bergkarabach, überwiegend Armenierinnen und Armenier, von der Versorgung abgeschnitten, weil Aserbaidschan die einzige Zufahrtsstraße nach Armenien blockiert hat. Dieser Latschin-Korridor führt über ein Gebiet, das von Aserbaidschan kontrolliert wird. In Stepanakert fehlen seit Monaten die grundlegendsten Dinge, Medikamente, Gemüse, Getreide, Nudeln, Benzin. Stundenlang müssen Einwohner für geringe Mengen Schlange stehen.

Bergkarabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan. Das Gebiet ist aber zwischen den Kaukasusstaaten Aserbaidschan und Armenien umstritten und umkämpft. Vor drei Jahren eskalierte der Konflikt zu einem mehrwöchigen Krieg, der mit einer Waffenruhe endete. Russische Truppen sollen diese Waffenruhe kontrollieren. Vor zwei Wochen forderte der Europarat Aserbaidschan auf, die wichtige Straßenverbindung wieder freizugeben, damit die notleidende Bevölkerung versorgt werden kann. Der gelbe russische Lastwagen kam jetzt allerdings über eine andere Route. Es ist alles ein großes Politikum.

Die Zufahrt von Armenien aus soll geöffnet werden. Wurde sie aber noch nicht

Die Führung von Bergkarabach hat unter dem Druck der katastrophalen Lage zugestimmt, dass russische Hilfslieferungen nun über die aserbaidschanische Seite kommen dürfen. Im Gegenzug wurde vereinbart, dass lebenswichtige Waren auch wieder über den Latschin-Korridor, also auf der Route zwischen Armenien und Bergkarabach, geliefert werden können. Aber soweit ist es noch nicht. Dass jetzt ein russischer Hilfslaster über aserbaidschanisches Kerngebiet nach Stepanakert fuhr, gilt für Aserbaidschans Führung als großer Erfolg. Und für Armenien als bitter.

Das aserbaidschanische Außenministerium sprach nach der Ankunft des russischen Lastwagens in Stepanakert am Dienstag von einem Fortschritt und einem "ersten positiven Schritt". Doch in Armenien herrscht Misstrauen und Sorge, dass sein Einfluss auf das von Armeniern bewohnte Bergkarabach weiter schwinden könnte. Denn der Latschin-Korridor gilt als wichtigste Versorgungsroute für das abgeschnittene Karabach. Armenische Oppositionspolitiker fordern deshalb, dass die Blockade umgehend beendet werde. Russland müsse entsprechend auf die aserbaidschanische Regierung einwirken.

In der armenischen Hauptstadt Jerewan wird am 2. September gegen die Blockade von Bergkarabach demonstriert. (Foto: Karen Minasyan/AFP)

Wut gab es auch in Bergkarabach selber. Die auf den Kaukasus spezialisierte Nachrichtenseite Jam-News berichtet, dass Einwohner trotz der Not weitere Hilfslaster blockiert haben, die Güter von Aserbaidschan aus anliefern wollten. Einige hätten gerufen, "das sind nicht 40 Tonnen Mehl, sondern 40 Tonnen Blut". In armenischen Telegram-Kanälen ist von einem, "russischen Trojanischen Pferd" die Rede.

Für Armenien ist es ein schwerer Schlag, mit ansehen zu müssen, wie Russland sich in der jüngeren Vergangenheit zunehmend auf die Seite Aserbaidschans stellt. Russland galt bisher traditionell als Schutzmacht Armeniens in dessen Konflikt mit Aserbaidschan. Moskau unterhält in der armenischen Stadt Gjumri noch immer den größten Militärstützpunkt außerhalb Russlands. Doch Armenien fühlt sich im Stich gelassen.

Das von Russland angeführte Militärbündnis kam nicht zu Hilfe

Zunächst im Krieg 2020 um Bergkarabach, als Aserbaidschan sich dort Gebiete zurückholte, die Armenien vor mehr als 30 Jahren besetzt hatte. Dann im vergangenen Jahr, als Aserbaidschan allerdings auch Orte angriff, die auf armenischem Staatsgebiet liegen. Armenien und Russland gehören einem gemeinsamen Militärbündnis an, der Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit (OVKS). Doch trotz armenischer Bitten kam das Bündnis nicht zu Hilfe. Auch die seit neun Monaten andauernde Blockade des Latschin-Korridors lastet Armenien Russland mit an. Das Verhältnis zwischen den beiden Staaten ist so schlecht wie nie. Und jetzt gibt es auch noch dieses Militärmanöver.

Ein armenischer Soldat kundschaftet mit seinem Feldstecher die Lage in Karabach aus. (Foto: Artem Mikryukov/Reuters)

Seit Montag und noch bis Mitte nächster Woche üben 175 armenische Soldaten in der Nähe der Hauptstadt Eriwan zusammen mit 85 US-Soldaten. Bei dem Manöver "Eagle Partner 2023" geht es darum, für friedensstiftende Einsätze bei Konflikten zu trainieren. Klingt harmlos, ist aber für Russland ein Signal, dass Armenien nun mehr Unterstützung bei den USA sucht. Dass Russland schäumt, ist spürbar in den Zitaten von Außenminister Sergej Lawrow. Er sprach von "Bedauern" und "ziemlich arroganten Äußerungen" armenischer Politiker Richtung Moskau. Und über die USA sagte er: "Ein aggressives Land der Nato versucht, in den Südkaukasus vorzustoßen."

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Armeniens Premier Nikol Paschinjan hat vor wenigen Tagen in einem Interview mit La Repubblica kritisiert, es sei ein strategischer Fehler, dass Armeniens Sicherheitsarchitektur "zu 99,999 Prozent" von Russland abhänge. Was Moskau bei der armenisch-amerikanischen Übung besonders schmerzt: Ein für 2023 geplantes Manöver des Militärbündnisses OVKS hat Armenien abgesagt. Als wäre es nicht mehr im selben Lager.

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