Argentinien:Nur noch ein milder Blick auf die Junta

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Ein Wandgemälde in Buenos Aires ehrt die Mütter der Plaza de Mayo. Nun wird eine TV-Sendung der Diktaturgegnerinnen gestrichen. (Foto: Natacha Pisarenko/AP)

Wenn es um die Militärdiktatur ging, hieß es in Argentinien stets "Nunca más": nie wieder. Doch nun stellt die rechts-libertäre Regierung von Javier Milei diesen Konsens infrage.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Eigentlich war der 24. März ein Tag der Hoffnung in Argentinien, trotz allem: 1976 hatte sich an dem Datum zwar das Militär an die Macht geputscht und in der Folgezeit waren Tausende Menschen entführt worden. Manchmal tauchten ihre Leichen auf, nackt und mit Spuren schwerster Folter, oft aber verschwanden die Opfer spurlos, verscharrt in Massengräbern oder betäubt und noch lebendig aus Flugzeugen ins Meer gekippt.

1983 kehrte die Demokratie zurück und wie kaum ein anderes Land in Lateinamerika hat Argentinien seitdem die Verbrechen der Diktatur aufgearbeitet: Schon 1985 wurden erste Täter verurteilt und der Bericht einer Wahrheitskommission war lange eines der meistverkauften Bücher im Land. 2006 wurde der 24. März, der Jahrestag des Putsches, von der damaligen linken Regierung zum Feiertag erklärt. Es gab stets große Gedenkveranstaltungen unter dem Motto "Memoria, verdad y justicia ", Erinnerung, Wahrheit und Gerechtigkeit, dazu noch die Forderung "Nunca más ": nie wieder.

Die Fernsehsendung der Mütter wird gestrichen

Dieses Jahr aber ist alles anders. Seit Dezember vergangenen Jahres ist in Argentinien eine rechts-libertäre Regierung an der Macht. Schon während des Wahlkampfes hatte Präsident Javier Milei die Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen zur Zahl der Diktaturopfer in Zweifel gezogen: "Es waren keine 30 000", sagte Milei in einer TV-Debatte und dass er gegen eine "einäugige" Sicht auf die Geschichte sei. Mileis Vize-Präsidentin, Victoria Villarruel, wiederum stammt selber aus einer Familie hochrangiger Offiziere. Einer ihrer Onkel war angeklagt wegen Verbrechen aus der Zeit der Diktatur und die Vizepräsidentin besuchte Jorge Videla, einen der Junta-Generäle, öfter im Gefängnis.

Nun, nach Amtsantritt der neuen Regierung, klagen Einrichtungen, die sich um die Aufarbeitung der Diktatur bemühen, über Budgetkürzungen und Entlassungen. Betroffen davon ist auch die Ex-ESMA, die ehemalige Mechanikerschule der Armada, die in den 70er-Jahren eines der berüchtigtsten Folterzentren des Landes war und später zum Erinnerungsort umgewandelt wurde.

Im Februar gab die neue argentinische Regierung dann bekannt, dass eine TV-Sendung der Mütter von der Plaza de Mayo aus dem Programm des öffentlichen Fernsehens gestrichen wird. Dabei waren die allgemein nur madres genannten Frauen in Argentinien stets eine Institution: Ende der 70er-Jahren hatten sie sich öffentlich gegen die Diktatur gestellt und begonnen, jede Woche auf der Plaza de Mayo im Zentrum von Buenos Aires für ihre von der Junta verschleppten Kinder zu demonstrieren. Einige der Frauen wurden so selber zu Opfern des Regimes.

Der Hauptslogan des Präsidenten

Heute gelten die weißen Kopftücher der madres in Argentinien als Symbol für den Kampf um Menschenrechte. Einige der Mütter waren auch umstritten, dennoch hätte sich lange keine Regierung getraut, ihre Rolle infrage zu stellen - geschweige denn, ihre seit nunmehr eineinhalb Jahrzehnten andauernde TV-Sendung zu streichen. Einen "schweren Denkfehler" nannten die madres die Entscheidung der neuen Regierung: "Milei irrt sich gewaltig, wenn er glaubt, er könne unseren Kampf beenden, nur weil er uns nicht mehr senden lässt."

Mütter von der Plaza de Mayo, hier bei einer Versammlung am 24. März 2000. Ihr weißen Kopftücher symbolisieren den Kampf für die Menschenrechte. (Foto: DPA)

Die Stimmung wird immer angespannter: Verlage, die sich auf Bücher zu Menschenrechtsthemen und der Aufarbeitung der Vergangenheit spezialisiert haben, klagen, dass sie im Netz mit Hassnachrichten überflutet würden. Und Ende dieser Woche gab die Angehörigen-Organisation HIJOS einen schweren Angriff auf eines ihrer weiblichen Mitglieder bekannt: Zwei Männer hätten der Frau in ihrer Wohnung aufgelauert. Die Angreifer hätten sie gefesselt, geschlagen, missbraucht und ihr wiederholt mit dem Tod gedroht: "Wir wollen dich nicht ausrauben, wir wollen dich umbringen."

HIJOS hält den Namen der Betroffenen zurück, spricht aber von einer "politischen Attacke", auch, weil die Angreifer "VLLC" an die Wand gesprüht hätten, das Kürzel für "Viva la libertad carajo " (deutsch "Es lebe die Freiheit, verdammt noch mal"), Hauptslogan von Präsident Milei.

Dieser hat sich zu dem Fall bislang nicht geäußert, dafür aber hat Milei einen Post beim Kurznachrichtendienst X gelikt: Argentinischen Menschenrechtsorganisationen wird vorgeworfen, die Opfer der Diktatur zu missbrauchen, um die Arbeit der derzeitigen Regierung schlechtzumachen.

Organisationen - darunter auch die Mütter von der Plaza de Mayo und HIJOS - hatten für Sonntag, den 24. März, wieder zu Großveranstaltungen aufgerufen. Gerüchte, nach denen die Regierung plane, Menschenrechtsverbrecher aus Altersgründen in den Hausarrest zu entlassen, wurden dementiert. Verteidigungsminister Luis Petri ließ sich aber wenige Tage vor dem Gedenktag zusammen mit einer Gruppe von Frauen fotografieren: Sie kämpfen dafür, dass ihre Ehemänner aus dem Gefängnis entlassen werden, wo sie wegen Verbrechen während der Diktatur lange Haftstrafen absitzen. Stolz stehen sie auf dem Foto neben Verteidigungsminister Petri - und dieser lächelt in die Kamera.

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