Berufswelt im Wandel:Zeit statt Geld

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Wenn unter der Woche ein Strandspaziergang drin ist, kann das den Arbeitsplatz ungeheuer attraktiv machen. In der Industrie weiß man das schon länger. (Foto: Jens Büttner/picture alliance/dpa)

Viele Arbeitnehmer wünschen sich weniger Wochenstunden. Wirtschaftswissenschaftler sind besorgt. Könnte das nun bei der Bahn vereinbarte Modell der Ausweg sein?

Von Benedikt Peters und Vivien Timmler

Es ist noch nicht ganz eine Woche her, dass Robert Habeck mit einer umstrittenen Bemerkung Aufmerksamkeit erregte. Ihm werde gerade "zu viel für immer weniger Arbeit gestreikt, beziehungsweise geworben", so sagte es der Bundeswirtschaftsminister am vergangenen Mittwoch - und wurde dafür auch im eigenen, links-grünen Lager kritisiert, das Streiks und kürzere Arbeitszeiten mehrheitlich sehr in Ordnung findet.

Tatsächlich traf Habeck mit seiner Kritik einen Nerv; die Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten, die früher ein Nischendasein in linken Utopien fristete, ist in den vergangenen Monaten immer mehr ins Zentrum gesellschaftlicher Debatten gerückt. Zu einem gewissen Teil liegt das an der Lokführergewerkschaft GDL, die in ihrer Tarifrunde seit November besonders laut für die 35-Stunden-Woche bei der Bahn trommelte - letztlich mit Erfolg, wie sich an diesem Dienstag gezeigt hat.

Die Idee, Arbeitszeitverkürzungen durchzusetzen, haben die Lokführer allerdings nicht exklusiv. Seit Jahren werden dazu bei den Gewerkschaften Konzepte vorbereitet; eine der Vorreiterinnen ist die IG Metall, die 1995 die 35-Stunden-Woche in der westdeutschen Metallindustrie erkämpfte. Im vergangenen Jahr scheiterte die Gewerkschaft mit ihrem Vorstoß, in der Stahlindustrie eine 32-Stunden-Woche einzuführen. Gewerkschaftschefin Christiane Benner glaubt, dass in solchen Forderungen ein Schlüssel liegt, um die Arbeitsplätze in der Industrie attraktiv für die Zukunft zu machen - und sie hat dabei insbesondere jüngere Arbeitnehmer im Blick, die auf kürzere Arbeitszeiten Wert legen.

Mit der sinkenden Inflation wird die Idee wieder attraktiver

Dass die Diskussion in den vergangenen Jahren nicht noch lauter geführt wurde, lag vor allem an dem russischen Überfall auf die Ukraine und der dadurch ausgelösten Energiekrise. Weil die Inflation in immer neue Höhen kletterte, ließen die meisten Gewerkschaften ihre Arbeitszeitkonzepte in der Schublade und konzentrierten sich vor allem darauf, höhere Löhne und Inflationsausgleichsprämien durchzusetzen. Nun aber, da die Teuerungsraten wieder deutlich gefallen sind, treffen die Arbeitnehmervertreter die entsprechenden Vorbereitungen für die kommenden Tarifrunden. Auch bei Verdi geht man davon aus, dass das Thema in den kommenden Monaten noch deutlich größer wird.

Die Gewerkschaften sind sich sicher, dass sie damit den Wünschen ihrer Mitglieder entsprechen. Sie stützen sich etwa auf eine Umfrage, die die Hans-Böckler-Stiftung im Mai vergangenen Jahres veröffentlichte: 81 Prozent der Arbeitnehmer wollen demnach eine Viertagewoche machen, wenn sie dafür nicht auf Geld verzichten müssen. "Der Wunsch der Menschen nach kürzerer Arbeitszeit ist ungebrochen", sagt Bernd Rützel, SPD-Abgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag. "Kein Wunder: Immer weniger Menschen sollen immer mehr schaffen." Worin die Gewerkschaften aber zugleich auch eine Chance sehen: Da immer mehr Menschen in Rente gehen und vergleichsweise wenige Arbeitnehmer nachkommen, sind diese in einer außerordentlich guten Verhandlungsposition, um Arbeitszeitverkürzungen durchzusetzen.

Schon jetzt werben Firmen mit Viertagewochen um Arbeitnehmer

Das sehen auch viele Arbeitgeber, notgedrungen: Inzwischen bieten etliche Firmen, Agenturen und Handwerksbetriebe von sich aus die Viertagewoche an, um im Wettbewerb um Arbeitskräfte einen Vorteil zu haben. Wirtschaftswissenschaftler und Arbeitgebervertreter warnen allerdings davor, dass die Entwicklung der Volkswirtschaft insgesamt schaden könne: Es werde dann zu wenig produziert. Das bedrohe den Wohlstand, warnt etwa der Ökonom Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln; eine Arbeitszeitverkürzung wie die Viertagewoche sei deshalb ein "unrealistischer Traum".

Wahlmodelle, bei denen sich die Beschäftigten zwischen mehr Freizeit und mehr Geld entscheiden, könnten möglicherweise ein Ausweg aus diesem Dilemma sein. Das ist auch die Idee der Einigung zwischen der GDL und der Bahn: Manche Lokführer und Zugbegleiter werden ihre Arbeitszeit nun auf 35 Stunden reduzieren; andere werden sie aber vermutlich sogar von 38 auf 40 Stunden aufstocken. Denn für jede Stunde, die sie mehr arbeiten, bekommen sie 2,7 Prozent mehr Lohn.

Ähnliche Wahlmodelle zwischen mehr Urlaubszeit und mehr Geld gibt es in der Chemie- und in der Metallindustrie, und auch bei der Bahn hat man damit schon Erfahrungen gemacht: Die EVG setzte in ihrer Tarifrunde 2018 ein Modell durch, nach dem Beschäftigte zwischen zusätzlichen Urlaubstagen und mehr Geld wählen können; ein Drittel der Beschäftigten entscheidet sich demnach gegen mehr Urlaubstage und für mehr Geld.

Dass manche Lokführer lieber mehr arbeiten wollen, sieht selbst der GDL-Chef Claus Weselsky; am Dienstag berichtete er etwa von Erfahrungen mit der 35-Stunden-Woche beim Bahn-Wettbewerber Netinera. "Eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen" wählte dort freiwillig die 40-Stunden-Woche. Darauf dürfte nun auch die Deutsche Bahn hoffen.

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