Bertelsmann-Religionsmonitor:Antisemitismus in Deutschland weitverbreitet

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Teilnehmer einer Kundgebung gegen Antisemitismus in Berlin. (Foto: Monika Skolimowska/DPA)

Eine Studie zeigt, dass schon vor dem Krieg in Gaza viele Deutsche juden- und israelfeindlich eingestellt waren. Gleichzeitig nimmt jeder Zweite den Islam als Bedrohung wahr.

Von Kathrin Müller-Lancé

Schon vor dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober waren antisemitische Einstellungen in Deutschland weitverbreitet. Das zeigen vorläufige Ergebnisse einer Studie der Bertelsmann-Stiftung, des Religionsmonitors 2023. Schon im Sommer 2022 stimmte demnach etwa jeder fünfte Deutsche der Aussage zu, Juden hätten "zu viel Einfluss in unserem Land". Fast die Hälfte der Befragten befürwortete die Aussage, was der Staat Israel mit den Palästinensern mache, sei mit dem Holocaust vergleichbar.

"Wir erleben insgesamt eine Enthemmung von Vorurteilen, die es vorher schon gab", sagt Yasemin El-Menouar, Leiterin der Studie, bei der Vorstellung der ersten Ergebnisse am Dienstag. Die Studie habe weitverbreitete Vorurteile und Stereotype offengelegt, die nun vom eskalierenden Nahostkonflikt befeuert würden.

Die Studie unterscheidet zwischen zwei Formen von Antisemitismus: einerseits dem klassischen Antisemitismus, der Verschwörungsnarrative vertritt, nach denen Jüdinnen und Juden besonders einflussreich seien, und andererseits antiisraelischem Antisemitismus, also antisemitischen Narrativen, die als Kritik an der Politik Israels verpackt sind.

Israel und Nazideutschland werden gleichgesetzt

Besonders der antiisraelische Antisemitismus ist den Ergebnissen zufolge in Deutschland weiter verbreitet als in anderen europäischen Ländern. Während hierzulande 43 Prozent der Befragten dem Vergleich zwischen Israel und Nazideutschland zustimmten, waren es in Frankreich zum Beispiel nur 31 Prozent, in Großbritannien und in den Niederlanden 35 Prozent.

Der klassische Antisemitismus ist mit 40 Prozent Zustimmung unter den Anhängern der AfD am stärksten vertreten, antiisraelischer Antisemitismus ist bei den Anhängern von FDP (mit 54 Prozent) und Linken (mit 51 Prozent) noch weiter verbreitet als bei jenen der AfD (48 Prozent). "Wir beobachten, dass die Unterscheidung zwischen Antisemitismus und Israelkritik häufig schwerfällt", sagt El-Menouar. Antisemitische Aussagen dürften zwar nicht direkt mit einem geschlossen antisemitischen Weltbild gleichgesetzt werden, aber sie bildeten den Nährboden für Radikalisierung und ein Einfallstor für Populisten und Extremisten.

Unter Muslimen sind antisemitische Einstellungen der Studie zufolge verbreiteter als im Rest der Gesellschaft. So verglichen etwa zwei Drittel der muslimischen Befragten die Behandlung der Palästinenser durch die israelische Politik mit den Taten der Nazis. Mehr als ein Drittel gab an, Jüdinnen und Juden hätten zu viel Einfluss in Deutschland.

Einstellung hängt von Migrationsgeschichte ab

Die Einstellungen unterscheiden sich allerdings auch je nach Migrationsgeschichte. Muslime, die Wurzeln in Südosteuropa haben, stimmten antisemitischen Aussagen deutlich seltener zu als jene, die Wurzeln im Nahen Osten haben. Das lasse darauf schließen, so die Autoren, dass nicht nur Religiosität, sondern auch die politische Sozialisation eine wichtige Rolle spiele. Auch bei Menschen mit Migrationsgeschichte, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, treten der Studie zufolge antisemitische Haltungen seltener auf als unter Einwanderern der ersten Generation.

Die Studie zeigt zudem, dass auch Muslime in Deutschland mit Vorurteilen und Feindseligkeit zu kämpfen haben. 52 Prozent aller Befragten nehmen den Islam als bedrohlich wahr. Ebenfalls etwas mehr als die Hälfte der Befragten ist der Meinung, der Islam sei "in erster Linie eine politische Ideologie" und rufe zu Gewalt auf. Unter den Jüngeren ist der Anteil derer, die den Islam als bedrohlich empfinden, deutlich geringer. Bei den 16- bis 24-Jährigen liegt er bei 37 Prozent.

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Es sei wichtig, anzuerkennen, dass Muslime in Deutschland ausgegrenzt würden, sagt Studienleiterin El-Menouar. Als Einwanderungsgesellschaft müsse es Deutschland besser gelingen, unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Erfahrungshintergründen mitzunehmen: "Da der Islam hier noch zu wenig akzeptiert ist, greifen viele praktizierende Muslime auf die Sichtweisen und Praktiken ihrer Herkunftsländer zurück und übernehmen auch Einstellungen von dort."

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