Frankreich:Le Pen kapert den Marsch

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Marine Le Pen am Sonntag bei der Demonstration gegen Antisemitismus in Paris. (Foto: GEOFFROY VAN DER HASSELT/AFP)

Die Chefin der extremen Rechten nimmt an der großen Pariser Kundgebung gegen den Antisemitismus teil - eine weitere Etappe ihrer Strategie der "Entteufelung". Doch der Antisemitismus ihres Vaters schwebt noch immer über allem.

Von Oliver Meiler, Paris

Ein Pariser Marsch zerreißt die französische Politik. Vielleicht verändert er sie sogar in ihren Grundfesten, wie es der Historiker Grégoire Kauffmann vermutet in einem Interview in der Zeitung Le Monde. Er spricht von einer "profunden Neusortierung".

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Und das hat vor allem mit einer prominenten Teilnehmerin am sonntäglichen "Marsch für die Republik und gegen den Antisemitismus" am linken Ufer der Seine zu tun, die man bis vor einigen Jahren noch nicht an einer solchen Kundgebung erwartet hätte, ja, die man da mit Furor weggejagt hätte: Marine Le Pen, 55 Jahre alt, Tochter von Jean-Marie Le Pen und politische Erbin des mehrfach wegen Antisemitismus und Negationismus verurteilten Gründers der Urpartei ihres Rassemblement National. "Wir sind da, wo wir sein müssen", sagte Le Pen.

Sie marschierte am Sonntag nicht vorne mit, sondern im hinteren Teil des Zuges, dafür hatten die anderen Parteien gesorgt. Einen "Cordon républicain" hatten sie gezogen zwischen ihnen und der Chefin der extremen Rechten, eine Art Feuermauer. Aber sie war eben doch dabei mit einer Schar ihrer Weggefährten an diesem regnerischen Herbstsonntag in Paris, das ließ sie sich nicht nehmen. Egal, ob die Medien sie umringen und nach der Inkohärenz in der Geschichte ihrer Partei fragen würden. Egal, ob es auch Pfiffe und Gedränge geben würde. "Le Pen, hau ab!", skandierte eine Gruppe von Kritikern.

Für Le Pen zählten das Symbol, die Bilder ihrer Teilnahme. Und ein Mitmarschieren auf der öffentlichen Straße kann man ja niemandem verbieten. Der Auftritt dient der angestrebten Normalisierung ihrer selbst und ihrer Partei, an der sie seit einiger Zeit methodisch arbeitet. "Entteufelung" nennt man es in Frankreich: dédiabolisation. Sie ist schon weit fortgeschritten.

Mélenchon von der linken Partei "La France insoumise" rechtfertigt sein Fernbleiben

Aufgerufen zu dem Marsch in Paris und in anderen Städten des Landes hatten die zwei Parlamentspräsidenten, Yaël Braun-Pivet für die Assemblée nationale und Gérard Larcher für den Senat. 3000 Polizisten wurden aufgeboten, um den Marsch in Paris zu schützen, alle Metrostationen in der Umgebung wurden geschlossen, Drohnen kreisten über den Menschen. In der Hauptstadt nahmen 105 000 Menschen teil, wie die Sender BFMTV und TF1 unter Berufung auf die Präfektur berichteten. Für die Regierung marschierte Premierministerin Elisabeth Borne mit, Präsident Emmanuel Macron blieb der Kundgebung fern. Es sollten keine Reden gehalten werden aus Sorge, dass der Marsch gegen den Antisemitismus als Folge des neuen Nahostkonflikts politisch instrumentalisiert würde.

Doch dafür brauchte es keine Reden, instrumentalisiert war er schon vor Beginn. Jean-Luc Mélenchon, Chef der extrem linken Partei La France insoumise, sagte seine Teilnahme ab. Er weigere sich, neben der extremen Rechten zu marschieren. Das diente ihm als willkommene Rechtfertigung für seine eigene Abwesenheit: Mélenchon war seit dem 7. Oktober dadurch aufgefallen, dass er die Angriffe der Hamas auf israelische Zivilisten partout nicht als "terroristisch" bezeichnen wollte, während Le Pen sich ganz und gar auf die Seite Israels schlug.

Seither läuft in Frankreich die Debatte zur Frage, ob vielleicht am Ende nicht Mélenchon der Paria der nationalen Politik sei, mehr noch als Marine Le Pen. Es wird sogar darüber diskutiert, ob die extreme Linke antisemitischer sei als die extreme Rechte, was in der Summe quer zur gesamten Geschichte steht.

In allen Umfragen liegt Marine Le Pens "Rassemblement National" vorne

Der Front National, Vorgänger des Rassemblement National, war unter anderem von Neofaschisten und Nostalgikern Pétains gegründet worden. Sein Chef, Jean-Marie Le Pen, heute 95, gilt als notorischer Antisemit und wurde mehrmals dafür verurteilt. Gleich dreimal sagte er öffentlich, die Gaskammern seien ein "Detail in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs" gewesen. Sein Antisemitismus trug ihm auch den Ausschluss aus der Partei ein, durch seine eigene Tochter, 2015 war das.

Doch Marine Le Pen hat sich bisher nie klar vom ideologischen Nachlass ihres Vaters distanziert, im Gegenteil. Als sie die Partei 2011 übernahm, sagte sie, sie selbst stehe gerade für "vier Jahrzehnte Parteigeschichte". Und vor ein paar Jahren schickte sie eine Hommage an ihren Vater nach, einen Tribut nach aller Regel. Als Reporter sie zu Beginn des Marsches nun auf ihren Vater ansprachen, schwieg sie, ihr Sicherheitsdienst schirmte sie ab.

Die Teilnahme ist dennoch ein weiterer Coup bei der Entteufelung, mag die demonstrative Nähe zu der jüdischen Gemeinde auch vor allem ihrer Abneigung gegen die muslimische Gemeinde entspringen. In allen Umfragen steht Marine Le Pen inzwischen oben. Für die Europawahlen von kommendem Jahr werden ihrer Partei 29 Prozent der Stimmen vorausgesagt. Und sie selbst? Bereitet sich für 2027 vor, dann wählen die Franzosen ein neues Staatsoberhaupt. Und sie wird dann zum vierten Mal antreten.

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