Olympia-Attentat 1972:Sie will Antworten und wird nur hingehalten

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Ankie Spitzer war ein Jahr mit dem israelischen Fechttrainer Andrei Spitzer verheiratet, als dieser beim Olympia-Attentat auf die israelische Mannschaft ermordet wurde. (Foto: Jonas Opperskalski/Jonas Opperskalski / laif)

Ankie Spitzer, inoffizielle Sprecherin der Hinterbliebenen des Attentats in München, wirft Deutschland Untätigkeit vor. Und will deshalb nicht an der Gedenkfeier teilnehmen.

Von Uwe Ritzer

Es gibt ein ikonisches Foto, das den Schrecken des mörderischen Anschlags auf die israelische Olympiamannschaft vor 50 Jahren in München und das Leid der Angehörigen aller zwölf Todesopfer sichtbar macht. Das Foto zeigt eine junge Frau mit langen Haaren und Brille, quer gestreiftem T-Shirt und weißer Schlaghose, die entsetzt in einem verwüsteten und verdreckten Raum mit Einschusslöchern in den Wänden steht. Es ist das Apartment Nummer 3 im Haus Connollystraße 31 des olympischen Dorfs, in dem palästinensische Terroristen ihre gefesselten Geiseln einen Tag lang zusammengepfercht auf zwei gegenüberliegenden Betten gefangen hielten. Auf dem Boden dazwischen ließen sie den beim Angriff schwer verwundeten Gewichtheber Yossef Romano verbluten; dessen hilflose Teamkollegen mussten ihm stundenlang beim Sterben zusehen. Die junge Frau, die einen Tag später an diesem Ort des Grauens fotografiert wird, ist Ankie Spitzer.

Es ist der Moment, an dem die heute 76-jährige gebürtige Niederländerin zu kämpfen beginnt. Der Anschlag endete bekanntlich in einem Massaker auf dem Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, bei dem auch ihr Ehemann, der Fechttrainer Andrei Spitzer, starb. Sie lernten sich 1968 kennen, als der in Rumänien geborene Sohn jüdischer Zwangsarbeiter im Dritten Reich eine Fortbildung an einer niederländischen Sportakademie absolvierte. Als er und Ankie am 17. April 1971 in Den Haag heiraten, stehen Fechter Spalier. Das Paar zieht nach Israel, unmittelbar vor den Münchner Spielen kommt ihre gemeinsame Tochter Anouk zur Welt. Während der Spiele kümmern sich die Großeltern in den Niederlanden um das Baby. In München mieten sich Ankie und Andrei Spitzer in einer Pension ein, denn Ehepartner dürfen nicht im olympischen Dorf schlafen. Das junge Paar liebt die lässige, internationale Festivalatmosphäre, die Olympia in München entfaltet hat.

Olympia war der Lebenstraum von Andrei Spitzer

Als Anouk kränkelt, fahren die jungen Eltern in die Niederlande. Weil sich alles als halb so schlimm herausstellt, drängt Ankie Spitzer ihren Mann zur umgehenden Rückkehr nach München. Olympia sei schließlich sein Lebenstraum, sagt sie. Sie selbst bleibt bei ihren Eltern und Anouk. Mitten in der Nacht zum 5. September kommt Andrei Spitzer am Münchner Hauptbahnhof an, wo sich just zur selben Zeit nur wenige Meter entfernt in einem Lokal die palästinensischen Terroristen für ihren Angriff sammeln. Zum ersten Mal überhaupt übernachtet Andrei Spitzer in dieser Nacht im olympischen Dorf; in Apartment Nummer 3, wo 48 Stunden später seine entsetzte Witwe stehen wird.

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Sie sei damals sofort nach München gefahren, um Antworten zu suchen, sagt Spitzer. Dass sie aktuell damit droht, mitsamt den anderen Angehörigen der Gedenkfeier 50 Jahre nach dem Olympia-Attentat fernzubleiben, ist eine Folge dessen, dass sie einige Antworten bis heute nicht erhalten hat. Noch immer sind deutsche Behördenakten zum Attentat gesperrt. Noch immer warten sie und die anderen Hinterbliebenen auf eine offizielle Entschuldigung für das krasse Versagen der deutschen Sicherheitsorgane. Die von der Bundesrepublik jetzt angebotenen zehn Millionen Euro als Entschädigung hält sie für nicht angemessen. "Trinkgeld", schimpft Spitzer.

Sie mag bei alledem kompromissloser sein als andere Hinterbliebene der Opfer von 1972, als deren inoffizielle Sprecherin Ankie Spitzer seit Langem gilt. Nach 1972 arbeitet sie in Israel als Journalistin, zieht ihre Tochter Anouk groß und heiratet Jahre später ein zweites Mal. Immer wieder reist sie nach Deutschland und stellt unbequeme Fragen. Statt klare Antworten zu erhalten, wird sie hingehalten und belogen. Es gebe keine Akten mehr, sagt man ihr. Dann kopiert ein Whistleblower in einem Münchner Archiv heimlich 80 Seiten und schickt sie ihr. Ein ranghoher Münchner Polizist versteigt sich sinngemäß zur Aussage, die Israelis seien an dem Attentat doch selbst schuld gewesen, weil sie immer so unfreundlich zu den Palästinensern seien. Es sind solche Erlebnisse, die Ankie Spitzers Bild von Deutschland bis heute prägen.

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