Debatte um Urwahl in der CDU:Noch ist Kramp-Karrenbauer Herrin des Verfahrens

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Den Nachwuchs im Rücken: Annegret Kramp-Karrenbauer vor Tilman Kuban (links), dem Bundesvorsitzenden der Jungen Union, und Alexander Zeyer, dem Vorsitzenden der JU Saar. (Foto: Harald Tittel/dpa)
  • Die CDU-Chefin sagt auf dem Deutschlandtag der Jungen Union wenig zu ihrer eigenen schwierigen Lage.
  • Zu spüren ist bei der Parteijugend der Wunsch nach mehr Klarheit und Kante.

Von Philipp Bovermann, Saarbrücken, und Daniel Brössler

Als am Sonntagvormittag alle auf die Parteivorsitzende warten, pfeift einer ein Lied. Es ist der Ballermann-Schlager "Aber scheiß drauf, Malle ist nur einmal im Jahr". Die Melodie war schon am Freitag angeklungen, bevor dann die Delegierten entschieden, was soll's, den Krawall zu riskieren - und für einen Antrag verschiedener Landesverbände stimmten, dass künftig die Parteibasis per Abstimmung über den Kanzlerkandidaten entscheiden soll. Sind das also schon die Klänge des Aufstands? Entfernt dieser Deutschlandtag der Jungen Union die CDU-Chefin weiter von einer Kanzlerkandidatur?

Die Ausgangslage ist tatsächlich nicht gut für Annegret Kramp-Karrenbauer. Weder als Parteichefin noch als Ministerin scheint sie in Tritt zu kommen. Immer wieder wird ihr vorgeworfen, nicht die richtigen Worte zu finden, zuletzt auch nach dem Terroranschlag von Halle, den sie als "Alarmzeichen" bezeichnete. Hier nun aber müsste das für Annegret Kramp-Karrenbauer ein Heimspiel sein. Die Saarländerin selbst bezeichnet den Tagungsort in Saarbrücken als "Wohnzimmer". Auch politisch bewegt sich Kramp-Karrenbauer bei der Jungen Union - im Unterschied etwa zu Kanzlerin Angela Merkel - weitgehend in Freundesland. Die Parteichefin und Verteidigungsministerin weiß aber auch, was hier los war, bevor sie - von einer Reise ins Baltikum kommend - eingetroffen ist. Sie weiß, dass die Delegierten ihrem Erzrivalen Friedrich Merz einen Empfang bereitet haben, der mit sehr, sehr freundlich unzureichend beschrieben wäre.

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Kramp-Karrenbauers Auftritt kann man dann so verstehen, dass sie zwar vom Ernst der Lage zu reden wünscht, aber vorzugsweise eben nicht vom Ernst der eigenen Lage. Eindringlich warnt sie die Türkei davor, in einem Teil Syriens ein Besatzungsregime zu errichten. Sie kündigt an, die Forderung nach einer Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft zum Wahlkampfthema zu machen. Leidenschaftlich setzt sie sich dafür ein, das Zwei-Prozent-Ziel der Nato bei den Verteidigungsausgaben zu erreichen. Deutschland müsse verlässlich sein, fordert sie, und da komme es eben auf die Union an. "Schaut euch doch um. Schaut euch die politischen Mitbewerber an. Wer soll denn außer uns die Antwort geben? Die SPD, die seit Wochen in einer Art eigener Castingshow ist?", ruft sie. Es sei "ja beachtlich, dass wir mehr potenzielle Kanzlerkandidaten haben als die SPD Bewerber um den Parteivorsitz".

Das erschließt sich nicht unmittelbar, denn eine zu geringe Zahl an Kandidaten für den Parteivorsitz werfen der SPD nicht einmal ihre ärgsten Gegner vor. Die Zuhörer ahnen, dass Kramp-Karrenbauer der SPD einen Mangel an ernst zu nehmenden Bewerbern vorhalten wollte, aber es bleibt eben an entscheidender Stelle eine vermasselte Pointe. Mit einer soliden Rede kann sie das ausbügeln, auch am Ende, als sie unter Jubel sagt, mit der Jungen Union "kuschelt man nicht, mit der streitet man, mit der setzt man sich auseinander".So kommt es dann auch. In der Fragerunde soll AKK beantworten, wann das mit den "kommunikativen Fehlern" aufhört, und "einfach ehrlich eine Aussage treffen", warum sie als Verteidigungsministerin doch in die Bundesregierung eingetreten ist, obwohl sie sich doch vor allem um die CDU hatte kümmern wollen. "Was das Thema Glaubwürdigkeit anbelangt, das ist ein ganz großes Thema für sozusagen alle politischen Akteure", verteidigt sich die Parteichefin. Es sei, wiederholt sie, eine Entscheidung zum Wohle der Stabilität der Bundesregierung gewesen und für die Bundeswehr als "Priorität Nummer eins".

In der eigentlichen Frage kommt Kramp-Karrenbauer nicht aus der Deckung. Dafür wäre es zu früh. Sie steht zwar unter Druck, ist aber immer noch Herrin des Verfahrens. Ein wichtiges Zeichen ist, dass CSU-Chef Markus Söder ihr zur Seite gesprungen und eine Urwahl abgelehnt hat. Zudem gibt es - bei allem Jubel für Merz - nicht den einen gefährlichen Herausforderer, sondern, wie in Saarbrücken zu besichtigen ist, gleich mehrere.

Mit dem Urwahl-Antrag hat die Junge Union jedenfalls die Debatte befeuert, ob Kramp-Karrenbauer tatsächlich das Zeug zur Kanzlerin hat. Am "Schaulaufen" werde er sich nicht beteiligen, sagt Söder, als er am Samstag spricht. Er selbst habe keine Ambitionen, daran teilzunehmen; als bayerischer Ministerpräsident habe er "seinen Traumjob gefunden". Söder warnt davor, die politischen Gegner in den eigenen Reihen zu suchen. Als Kanzlerkandidaten solle man die Person aufstellen, die die breiteste Zustimmung in der Partei und "vor allem bei den Wählern" habe - mit Blick auf Kramp-Karrenbauers derzeit schlechte Umfragewerte nicht eben eine vorbehaltlose Rückendeckung.

Der CDU-Politiker Norbert Röttgen, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, äußerte sich positiv über eine mögliche Urwahl in der Partei. "Wenn es künftig bei der Frage danach, wer die CDU führen oder wer Kanzlerkandidat der Union werden soll, mehrere starke Anwärter gibt, halte ich eine Urwahl für richtig", sagte er der SZ.

Jens Spahn lässt offen, ob er sich für geeignet hält. Armin Laschet klingt wie jemand, der gern gefragt werden möchte

Gesundheitsminister Jens Spahn wiederum lässt offen, ob er sich für einen geeigneten Kanzlerkandidaten hält. Er sei "überzeugt davon, dass es uns nicht weiterbringt, wenn wir uns öffentlich gegenseitig Ratschläge geben, die auch manchmal Nackenschläge sein können", sagt er, übt sich aber selbst im Austeilen strategischer Ratschläge, als er etwa bemerkt, "wie häufig wir uns im Kleinklein verstricken und uns an anderen abarbeiten" und "Federn lassen". Seine Warnungen etwa vor einem "grün angestrichenen Sozialismus" kommen gut an beim Unionsnachwuchs.

Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet werden Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur unterstellt; auch er macht in Saarbrücken große politische Fässer auf: Etwa die Rolle Europas in der Welt, den Brexit, linke und rechte Ideologien. Immer wieder beschwört er Maß und Mitte - und klingt wie jemand, der gern gefragt werden möchte, falls jemand sich nach den Kernwerten der Union erkundigen sollte.

Zu spüren ist bei der Parteijugend der Wunsch nach mehr Klarheit und Kante. Und zu spüren ist auch, dass es einen gibt, der diesen Wunsch besonders zu befriedigen scheint. Friedrich Merz nutzt als Überraschungsgast die ihm gebotene Bühne. Die CDU müsse wieder in der Lage sein, politische Begriffe zu prägen, fordert er. Der Begriff "Dieselskandal" etwa sei eine Erfindung der Umweltverbände, das habe man einfach übernommen. Unter einem Heiner Geißler als Generalsekretär hätte es das nicht gegeben, sagt Merz. Unter Ex-JU-Chef Paul Ziemiak, den Kramp-Karrenbauer zu ihrem Generalsekretär gemacht hat, offenbar schon, darf man schlussfolgern.

Was dann von diesem Deutschlandtag bleibt, ist nicht zuletzt dieses eine Bild. Nach dem Auftritt von Merz lässt JU-Chef Tilman Kuban zwei Bier bringen, dann stoßen die beiden Männer an. "Wir danken Ihnen", sagt Kuban, "dass Sie zurück sind auf der CDU-Bühne."

© SZ vom 14.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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