Agenda 2017:So können wir das Rentensystem verbessern

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Für jetzige und künftige Rentner: Das muss die Bundesregierung angehen. (Foto: dpa)

Zeit für die großen Fragen: Die nächste Bundesregierung muss endlich jenseits von Kleinkorrekturen die Weichen für eine Rente stellen, die auch in den kommenden Jahrzehnten finanzielle Sicherheit garantiert. Im Projekt "Agenda 2017" haben wir mit Lesern und Experten diskutiert - und sind zu diesem Ergebnis gekommen.

Von Johannes Kuhn

PR-Berater für Franz-Peter Tebartz-van Elst, Programmplaner bei RTL 2 - nur wenige Aufgaben sind so undankbar wie die, an der sich die nächste Bundesregierung versuchen muss: die Reform des Rentensystems.

Dass es Veränderungsbedarf gibt, darüber sind sich alle einig - nicht nur die Leser von Süddeutsche.de, die dieses Thema im Rahmen unseres Projekts Die Recherche auf die Agenda 2017 gewählt und darüber in unserer Live-Debatte zu Rente und Altersarmut im Oktober leidenschaftlich diskutiert haben. Allerdings ist es in der Rentenpolitik traditionell einfacher, Geschenke zu verteilen und mögliche Zumutungen zu verschieben: In Deutschland leben 20 Millionen Rentner, das ist jeder dritte Wahlberechtigte.

Das Thema Rente ist kompliziert, dennoch haben Bundesregierungen in diesem Jahrtausend bereits zwei große Reformen vollbracht: Die Einführung der geförderten privaten Zusatzvorsorge (Riester- und Rürup-Rente) und die Heraufsetzung des Rentenalters auf 67 Jahre. Aus den vergangenen vier Jahren der schwarz-gelben Koalition hingegen ergibt sich eine ernüchternde Bilanz: Lebensleistungsrente, Besserstellung älterer Mütter, Angleichung zwischen Ost und West - keines der geplanten Vorhaben wurde umgesetzt.

Insgesamt genießt das deutsche Rentensystem weltweit durchaus hohes Ansehen. Immerhin wurde hierzulande das Problem der alternden Gesellschaft früh erkannt, im Vergleich zu anderen Ländern hat die Rente die Euro-Krise gut überstanden. Andererseits hat sich der deutsche Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren massiv verändert - und mit ihm auch die Erwerbsbiografien, deren Ergebnis letztlich Renten- und Pensionsansprüche sind.

Auch wenn Deutschland vergleichsweise gut dasteht und zugleich auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen: In Sachen Rente nichts zu unternehmen, ist keine Option. Deshalb einige Vorschläge, was sich die nächste Bundesregierung auf ihre Agenda 2017 setzen könnte.

  • Die Grundsatzfrage stellen - und beantworten

Langfristige Beschäftigungen mit auskömmlichem Gehalt, Erwerbsbiografien ohne Lücke: Das Rentensystem bildet die Arbeitswelt der alten Bundesrepublik ab. Eine Arbeitswelt, die immer mehr verschwindet - die Gegenwart besteht für immer mehr Bürger aus Lücken im Lebenslauf, Zeitverträgen oder Niedriglohn, die Zukunft aus einer gesetzlichen Rente, die zum Leben nicht reicht. "Es braucht eine ehrliche Bestandsaufnahme der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt", sagt Monika Queisser von der OECD. "Die Regierung sollte sich überlegen, wie wahrscheinlich es ist, dass man zu den Bedingungen zurückkehrt, die einmal die Basis waren."

Da dies gegenwärtig schwer vorstellbar erscheint, sind grundsätzliche Entscheidungen zu Rentensystem und Arbeitsmarkt fällig. Alleine dies offen auszusprechen, eine Debatte zu eröffnen und letztlich auch politische Konsequenzen zu ziehen, wäre mehr, als viele einer schwarz-roten Bundesregierung zutrauen.

  • Rentenüberschüsse sinnvoll einsetzen

Wenn das Finanzpolster der Rentenversicherung auf mehr als das Anderthalbfache einer Monatsausgabe steigt, muss der Beitragssatz sinken. So steht es im Gesetz, so wird es nach Berechnung der Rentenversicherung kommen - weshalb der Beitrag zum Jahreswechsel von 18,9 auf 18,3 Prozent sinken soll.

Union und SPD überlegen, diesen Automatismus abzuschaffen. Eine gute Idee, aber dies sollte nicht den Zweck haben, mit den Mehreinnahmen neue Spezialleistungen zu schaffen und zu finanzieren. Weil Überschüsse konjunkturbedingt sind, fallen in wirtschaftlich schlechten Zeiten entsprechende Polster weg - nicht aber die versprochenen Leistungen.

Die Rentenkasse muss deshalb zum Rententresor werden. "Schon bei stabilen Beiträgen könnte die Rentenversicherung jetzt Rücklagen für die Zukunft bilden", sagte Joachim Rock vom Paritätischen Wohlfahrtsverband im Süddeutsche.de-Chat. Unter dem Namen Demografiereserve ist das Konzept bekannt, aktuelle Mehreinnahmen für die Zeit zurückzulegen, in der sonst die Beiträge nach der aktuellen Logik auf weit über 20 Prozent steigen würden. Ein solches Polster wäre keine revolutionäre Idee: In den Siebzigerjahren, bevor die automatische Beitragssenkung eingeführt wurde, betrugen die Rentenreserven teilweise acht Monatsausgaben.

Was könnte mit dem gesammelten Geld passieren? Um es nicht durch Inflation zu entwerten, könnte es in einem Staatsfonds angelegt werden (siehe auch Punkt "Riester-Rente ersetzen"). In Teilen problematisch, aber diskutierbar wäre eine gänzlich andere Interpretation des Wortes "Demografiereserve": Ein Teil der Überschüsse würde dann in Investitionen für Bildung umgewandelt, damit die späteren Beitragszahler möglichst auskömmliche und ordentlich bezahlte Jobs finden.

Allerdings zeigt die Erfahrung: Eine solche Querfinanzierung würde schnell Begehrlichkeiten wachsen lassen - und plötzlich würden mit dem Rentenbeitrag ganz andere Leistungen bezahlt. Ist der Tresor erst einmal geöffnet, ist es häufig zu spät für Korrekturen.

  • Den Niedriglohnsektor in den Fokus nehmen

Der Teilzeit-Krankenpfleger, der Leiharbeiter im Logistik-Bereich, der Beschäftigte im Einzelhandel, die freie Journalistin mit Mini-Honoraren: Mehr als acht Millionen Deutsche arbeiten heute im Niedriglohnsektor, das ist fast jeder fünfte Erwerbstätige. Sie sind es, die später von ihrer Rente kaum leben werden können - ebenso wie die Langzeitarbeitslosen, die über Jahre hinweg nicht gezahlt haben.

Entwicklungen in der Rente sind direkt abhängig von Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik. Größere Investitionen in die Schulen, um junge Menschen später in bessere Jobs zu bringen, sind ein Baustein ( unseren Chat zum Thema finden Sie hier). Sie lösen das Problem aber nicht vollständig, da sich in kaum einem anderen Land so viele gutausgebildete Menschen als Geringverdiener verdingen müssen ( unseren Chat zum Thema finden Sie hier). Wer über Jahrzehnte hinweg einen möglichen Mindestlohn von 8,50 Euro erhält, kann trotzdem nicht mit einer ausreichenden Rente rechnen.

In den kommenden Tagen veröffentlichen die Kollegen im Rahmen der Agenda 2017 ihre Anregungen zum Thema Bildung und Zukunft der Arbeit. Dort werden einige Möglichkeiten skizziert, wie in diesem Bereich Veränderungen aussehen könnten und zum Beispiel Mütter, die durch die häufig lückenhaften Erwerbsbiografien stärker von Altersarmut gefährdet sind, besser gefördert werden können.

Dennoch bleibt festzuhalten: Derzeit ist der Niedriglohnsektor politisch gewollt, die Rente muss die Konsequenzen abfedern. Im Moment ist für langjährige Erwerbstätige mit Mini-Rente eine Aufstockung auf 850 Euro im Gespräch. Womöglich könnte diese niedriger liegen, wenn auf eine Anrechnung von Zusatzrenten verzichtet und die Verdienstmöglichkeiten für Rentner (bislang 450 Euro) erweitert werden.

Letzteres war eine Forderung, die vielfach im Süddeutsche.de-Chat auftauchte. Unabhängig von der Summe stellt sich auch die Frage, aus welchen Topf das Geld kommen soll: Eine Finanzierung aus Steuern liegt nahe, da es sich um ein Instrument zur Grundsicherung handeln würde.

  • Private Altersvorsorge umkrempeln

Die Riester-Rente ist in ihrer aktuellen Form gescheitert - auf mehrfache Weise: Wer zur Zielgruppe gehört und einmal eine geringe Rente zu erwarten hat, hat häufig kein Geld, um sie abzuschließen. Andere steigen wieder aus - inzwischen ruht in der Praxis fast jeder fünfte Vertrag. Niedrige Zinsen, Fehlberatungen und hohe Provisionen sorgen zudem dafür, dass vor allem die Versicherer mit den Riester-Produkten ihre Zukunft sichern.

Was also tun? Viele Leser verwiesen im Chat auf Mischmodelle wie jenes in der Schweiz, das auf ein Drei-Säulen-Modell mit Pflichtbeiträgen für alle, kapitalgedeckter Versicherung und privater Vorsorge aufbaut. Der Abschied von der privaten Altersversorgung war kein Thema. Das wäre alleine schon deshalb problematisch, weil der Staat beim Umgang mit der Rentenkasse in den vergangenen Jahren wenig Verantwortung gezeigt hat. Vielmehr sollte die private kapitalgedeckte Rente Pflicht werden, ob betrieblich oder durch andere Anlageformen. Und: Nur noch unabhängig geprüfte und zertifizierte Produkte sollten ihren Weg auf den Markt finden, zudem sollten krisenresistentere Formen wie Immobilienerwerb besser gefördert werden.

Auch der Staat sollte in den Markt als Anbieter privater Altersvorsorge einsteigen - Länder wie Schweden machen es vor: Ein staatlicher Pensionsfonds übernimmt den Part der kapitalgedeckten Rente. Das hat verschiedene Vorteile wie größere Transparenz, keinen Zwang zur Erwirtschaftung von Provisionsgewinnen und geringere Verwaltungsgebühren. Dem Bürger sollte die Wahl bleiben, wie viel er einbezahlt, in welcher Form er die Auszahlung erhalten möchte und wie hoch das Renditeziel und damit das Risiko seiner Anlageform ist.

  • Ungerechtigkeiten beseitigen

Wer aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig mit dem Arbeiten aufhört und so Erwerbsminderungsrente bekommt, muss überdurchschnittlich häufig Wohngeld, Hartz IV, Sozialhilfe oder staatliche Grundsicherung beantragen. 2012 bekamen die, die erstmals eine solche Rente erhielten, im Durchschnitt 578 Euro monatlich ausbezahlt. Das liegt daran, dass unter 60-Jährige mit einem Abschlag von bis zu 10,8 Prozent leben müssen. Dieser könnte abgeschafft oder zumindest gesenkt werden. Allerdings sollten gleichzeitig einheitliche und nachvollziehbare Standards für die Prüfung von Anträgen auf Erwerbsminderungsrenten eingeführt werden.

Eine weitere Baustelle: die ungleichen Renten in Ost und West. Auch sie müssen mittelfristig auf einen Stand kommen. Ein kleiner, aber für viele Menschen wichtiger Punkt: Wenn Rentner etwa ihren Partner pflegen, erhalten sie - anders als Bürger im Erwerbsalter - daraus keine Ansprüche auf ihre Rente. Dies könnte geändert werden, indem die Pflegekassen hier künftig ebenfalls Beiträge an die Rentenversicherung abführen.

  • Das Pensionsmodell angehen

"Beamte haben einen Vorteil im Alter": Eine Aussage, die auch in der Debatte mit Süddeutsche.de-Lesern häufiger zu lesen war. Durch das frühe Anrecht auf eine ordentliche Mindestpension und die Bemessung ihrer Altersleistung nach dem Endgehalt scheinen Staatsbedienstete tatsächlich besser dran. Dieser Eindruck relativiert sich jedoch etwas, wenn man die Komplettversteuerung von Pensionen (in der gesetzlichen Rente erst ab 2040 geplant), die Kosten für die private Krankenversicherung im Alter oder die Gehälter gut ausgebildeter Beamten hinzuzieht, die häufig unter denen in der freien Wirtschaft liegen.

Dies ändert aber nichts daran, dass es Reformbedarf gibt: Noch ist es ein Tabu, das steuerfinanzierte Pensionssystem in das beitragsfinanzierte Rentenmodell zu überführen. Alleine schon wegen der hohen Rückstellungen ist es jedoch unumgänglich, eine Verschmelzung der Systeme für künftige Einsteiger in die Beamtenlaufbahn anzugehen.

Dies würde den Staatshaushalt allerdings erst in vielen Jahrzehnten entlasten. Überlegungen über eine andere Berechnung von Pensionen (beispielsweise am Gesamtgehalt der Berufslaufbahn orientiert oder wie bei der Rente an einen Demografiefaktor gekoppelt) sind deshalb schon heute nötig.

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