16 Frauen zeichnet Bundespräsident Joachim Gauck heute, am Internationalen Frauentag, für herausragendes Engagement mit dem "Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland" aus. Eine von ihnen ist Nadia Nashir-Karim. Sie ist die Vorsitzende des Afghanischen Frauenvereins, dessen Hilfe sich auf die Mädchen und die ländlichen Regionen in Afghanistan konzentriert. Sie bauen Schulen, bohren Brunnen und bieten medizinische Versorgung.
Nashir-Karim ist 1955 in Kabul geboren, in Kunduz aufgewachsen, und kam mit 20 Jahren nach Osnabrück. 1992 gründete sie mit einem Team aus 20 Frauen den Afghanischen Frauenverein. Ein Gespräch über Verhandlungen mit den Taliban und den bescheidenen Ehrgeiz in der Entwicklungshilfe.
Seit 38 Jahren befindet sich Afghanistan im Krieg. Können Sie uns trotzdem etwas Schönes über das Land erzählen?
Ich finde die Menschen sehr schön. Ich begegne bei jedem Besuch so vielen, die offenherzig und freimütig sind, lachen, tanzen, nicht verbittern. Ich kenne keine Familie, die keinen Angehörigen im Krieg verloren hat; kein Haus, in dem nicht Menschen mit gewaltigen physischen und seelischen Wunden wohnen. Und trotzdem hadern die Menschen nicht mit ihrem Schicksal. Sie glauben, dass im Leben alles so kommt, wie es kommen soll. Was passiert, ertragen sie in Würde. Allen voran die Frauen, sie sind sehr stolz.
Wie entstehen Projekte wie eine neue Schule oder ein neuer Brunnen?
Konkrete Hilfe leisten wir auf dem Land. Was die Menschen brauchen, wissen sie selbst am besten, sie schreiben das für uns auf. Wir haben Projekte in den drei großen Städten - Kabul, Kunduz und Ghazni - und ein Büro in Kabul. Dorthin kommen die Menschen und bringen ihre Anträge mit; den prüfen wir dann. Bewilligen wir ihn, heuern wir einen Projektmanager an. Der kümmert sich um alles Weitere.
Woher wissen die Menschen überhaupt, dass es Ihren Verein gibt?
Mundpropagana. In Afghanistan funktioniert alles übers Hörensagen.
Brauchen Sie eine Baugenehmigung?
Wir sprechen mit den Dorfältesten. Sie sind so etwas wie der Rat der Weisen. Geben sie ihr Okay zu dem Projekt, steht die Schule unter einem guten Stern. Sie beschützen uns.
Vor den Taliban?
Ja, die Dorfältesten sind Respektspersonen. Nur einmal in den vergangenen 25 Jahren haben die Taliban verlangt, dass wir eine Schule schließen, weil Mädchen keine Bildung bräuchten. Die Dorfältesten erklärten ihnen, dass der Koran sagt, alle sollten sich bilden, Jungen und Mädchen. Das haben sie eingesehen. Ein andermal, als unsere Schule in die Frontlinie der Gefechte von Zentralregierung und Taliban zu geraten drohte, baten die Dorfältesten die Anführer der zwei Parteien, die Schule zu verschonen. Sie taten das.
Und wie bringen Sie die Eltern dazu, die Mädchen in die Schule zu schicken?
Der Unterricht kostet sie nichts, das ist schon mal ein starkes Argument. Mittlerweile hat sich in jeder Familie die Erkenntnis durchgesetzt, dass Bildung der Schlüssel für ein besseres Leben ist. Wird die Tochter Lehrerin oder Ärztin, beschert das auch der Familie im Dorf großen Respekt. So eine Tochter ist Prestige. Ist der Marschweg nicht zu gefährlich, darf sie in die Schule gehen.
2500 Schüler besuchten im vergangenen Jahr Ihre Schulen, 36 haben das Abitur absolviert. Sieht im Verhältnis wie eine ziemlich kleine Gruppe aus.
Das stimmt, die Abbrecherquote ist ein großes Problem. Viele springen im Alter von 15, 16 Jahren ab. Immer dann, wenn sie verheiratet werden und Kinder kriegen. Wer Ehefrau, Hausfrau und Mutter ist, nimmt Bildung nicht mehr sehr wichtig. Das zu verändern, ist eine große Herausforderung.
Was ist das Wertvollste, das Sie in der Entwicklungsarbeit gelernt haben?
Nicht zu viel zu wollen - das ist eine Tugend. Am Anfang war es mein Ehrgeiz allen zu helfen, dann wollte ich ganz vielen helfen, und danach lernte ich: Du kannst nur einigen helfen, mal wenigen und manchmal auch nur einem Einzigen.
Was hat Ihnen zuletzt gesagt "Genau deshalb machst du diese Arbeit"?
Der Erfolg einer jungen Frau. Sie lernte in unserer Schule vormittags das Lesen und Schreiben, nachmittags das Schneidern. Nach einem Jahr gründete sie ihren eigenen kleinen Betrieb. Von dem Geld schickte sie beide Kinder zur Schule, bezahlte den Drogenentzug für ihren Mann - und er schaffte ihn. In einem Brief schrieb sie mir "Dankeschön für Schere und Nähmaschine". Das klingt ein bisschen nach Hollywood, aber solches Kino macht hin und wieder sehr glücklich.
Warum konzentrieren Sie Ihre Hilfe auf Mädchen und Frauen?
Weil sie es sind, die am härtesten kämpfen müssen - um lernen zu dürfen, um am Öffentlichen teilzunehmen. Ihnen ist so viel geboten und verboten. Die Jungen haben immer das Vorrecht. Sie werden als Erste in die Schule geschickt, nur sie dürfen Fußball im Hof spielen, Einkäufe erledigen und später Auto fahren. Den Mädchen fällt die Arbeit im Haus und die Rolle der Mutter zu.
Gibt es etwas, das Sie für die Zukunft optimistisch macht, wenn Sie an Afghanistan denken?
Die junge Generation. Sie blickt nach vorne, hat eine stolze Brust, ist selbstbewusst, erhebt Ansprüche. Und das Beste: Sie traut sich zu träumen, sie ist wissensdurstig, hat Hunger nach Bildung. Und wer gebildet ist, führt keinen Krieg. Ich wünsche mir sehr, dass Afghanistan irgendwann wieder ein offenes, liberales Gesicht trägt. Dann würde es auch wieder besser zu seinen Menschen passen.