Kabul:Der Jude, der im Land der Taliban bleiben will

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Zebulon Simantov, 62, in der Synagoge, die auch seine Wohnung ist. (Foto: Jerome Starkey/FlickrVision)

Zebulon Simantov ist der letzte Jude, der noch in der afghanischen Hauptstadt lebt. Und er denkt nicht daran zu gehen. Angeblich aus Heimatliebe.

Von Peter Münch

Im Chaos von Kabul ist er nun abgetaucht. Dabei hatte es viele gegeben, die ihm helfen und ihn retten wollten vor den Taliban. Doch kurz vor der geplanten Flucht aus Afghanistan hat sich Zebulon Simantov, 62, in der ihm eigenen Sturheit offenbar noch einmal umentschieden. "Ich werde meine Heimat nicht verlassen", zitiert ein indischer Fernsehsender ihn nun. "Wenn ich gegangen wäre, gäbe es niemanden mehr, der sich um die Synagoge kümmert."

Als "letzter Jude von Kabul" hat es Simantov in den zurückliegenden Jahren zu mancher Schlagzeile gebracht. Gekleidet in die traditionelle afghanische Shalwar Kameez, das lange Hemd mit Pluderhose, und mit der Kippa auf dem Kopf empfing er gern Journalisten in der schlichten Synagoge in der Flower Street, die ihm auch als Wohnstatt dient. Manche berichteten hinterher, dass er Geld oder auch mal Whisky verlangt habe. Früher war er Teppich- und Schmuckhändler, zuletzt lebte er in ziemlicher Armut. Aber er hielt die Stellung und die Torah in Ehren.

Das war gewiss nicht immer leicht in den vergangenen Jahrzehnten, und so spiegelt seine Geschichte in einem sehr speziellen Kapitel auch die afghanische Tragödie wider. Jüdisches Leben lässt sich am Hindukusch mehr als 2000 Jahre zurückverfolgen. Am Ende des 19. Jahrhunderts lebten noch 40 000 Juden in Afghanistan. Ihre Hochburg lag in Herat nahe der iranischen Grenze, wo auch Simantov geboren wurde. Die erste große Ausreisewelle kam 1948 mit der Staatsgründung Israels, die zweite 1979 mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen.

Die Taliban sperrten ihn schon mal ein. Er kam frei, aus dem eigenartigsten Grund überhaupt

Simantov aber blieb, selbst als seine Frau mit den beiden Töchtern nach Israel zog. Als die Taliban Ende der Neunzigerjahre zum ersten Mal in Kabul herrschten, lebten dort noch genau zwei Juden: Simantov und ein Glaubensgenosse namens Ishaq Levin. Und ihre Feindschaft ist legendär. Sie hatten sich in zwei entgegengesetzten Zimmern der Synagoge eingerichtet, was sie nicht an ständigen Kämpfen hinderte. Gegenseitig schwärzten sie sich bei den Taliban an, gemeinsam wurden sie von ihnen verprügelt und eingesperrt. Aus ihrer Gefängniszelle sollen sie freigekommen sein, als dort niemand mehr ihre laut und handfest ausgetragenen Streitigkeiten ertragen konnte.

2005 verstarb Levin, der rund 30 Jahre älter war, Simantov fand ihn eines Morgens tot auf dem Boden liegend. Dass er eines natürlichen Todes starb, wurde eigens untersucht. Seither lebte Simantov ruhig, aber einsam in seiner Synagoge. "Ich sehe es als Prüfung, als Auftrag Gottes an hierzubleiben", sagte er in einem Interview. Überdies hatte er sich einer Mission verschrieben: Er wollte die einst von den Taliban konfiszierte Torah-Rolle wiederfinden. Mehr als 400 Jahre ist sie alt, handgeschrieben und damit von einigem Wert.

Die Suche blieb all die Jahre erfolglos, und irgendwann schien auch Simantov mürbe zu werden. Im Frühjahr kündigte er an, Afghanistan in Richtung Israel zu verlassen. "Bevor die Taliban zurückkehren, werde ich weg sein", sagte er. Mehrere jüdische Organisationen nahmen sich des Falls an, doch dann soll er plötzlich Geld verlangt haben für die eigene Ausreise, von 50 000 Dollar ist die Rede.

So berichten es jedenfalls mehrere israelische Medien, die zugleich über den Grund spekulieren, warum er plötzlich nicht mehr nach Israel will. Hier nämlich erwarte ihn ein Scheidungsstreit mit seiner Frau, der er beharrlich seit zwei Jahrzehnten den nach jüdischem Recht geforderten "Get", den Scheidungsbrief, verweigere. In den härtesten Fällen landet man dafür in Israel im Gefängnis.

Ein Taliban-Sprecher in Katar hat indessen auf Nachfrage eines israelischen Senders versichert, religiöse Minderheiten seien in Afghanistan geschützt. Vertrauen sollte man darauf wohl eher nicht. Doch es sieht ganz so aus, als wollte es Zebulon Simantov noch einmal mit den Taliban aufnehmen.

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