Afghanistan:"Ohne Hilfe sind sie aufgeschmissen"

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Frauen in Kabul warten auf ein Taxi. Das Bild ist vor dem Einmarsch der Taliban in der Stadt entstanden. (Foto: SAJJAD HUSSAIN/AFP)

Viele Hilfsorganisationen bangen um Personal und Partner, die in Kabul festsitzen - so auch die Kölner Organisation Medica Mondiale. Doch vor Ort gebe es kaum noch jemanden, der helfen könne, sagt Gründerin Monika Hauser.

Interview von Michael Bauchmüller, Berlin

Seit 30 Jahren kämpft Monika Hauser, 62, für Frauenrechte in aller Welt. In den neunziger Jahren gründete sie die Organisation Medica Mondiale, 2008 erhielt die Ärztin den Alternativen Nobelpreis. Doch derzeit kämpft sie vor allem um eins: Um die Sicherheit der 90 Frauenrechtlerinnen, die bei der afghanischen Schwesterorganisation arbeiten. Sie harren in Kabul aus, doch ihre Zukunft ist ungewiss.

SZ: Frau Hauser, welche Nachrichten erreichen Sie von Ihren Kolleginnen in Afghanistan?

Monika Hauser: Die Situation in Kabul eskaliert mit jeder Stunde. Ich habe eben mit einer Kollegin gesprochen. Was sie erzählt, klingt fürchterlich: Es sind Zehntausende von Menschen auf den Straßen, alle wollen zum Flughafen. Es wird geschossen, Leichen liegen auf der Straße.

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Während die Taliban sagen, ihr habt nichts zu befürchten, gehen sie von Haus zu Haus, um Gegner zu suchen. Gespräche mit Menschen, die nichts mehr tun können, außer zu warten.

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Haben sich alle Ihre Kolleginnen nach Kabul flüchten können?

Gerade noch rechtzeitig, ja. Aber die große Sorge ist, wie geht es weiter. Sie sind alle als Frauenrechtlerinnen sehr exponiert und gefährdet. Unser Hauptbestreben ist, sie und ihre Familien aus dem Land zu bekommen. Aber die Situation ist völlig unübersichtlich.

Was hören Sie von deutschen Stellen? Bekommen Sie Hilfe?

Mittlerweile gibt es den eindeutigen politischen Willen, uns zu unterstützen. Was wir und andere gemacht haben, an Frauenrechtsarbeit, an Demokratiearbeit, ist ja lange von deutschen Stellen unterstützt worden. Inzwischen ist auch von der Bundesregierung verstanden worden, dass es so etwas wie eine Luftbrücke braucht, schon aus Verantwortung gegenüber denen, deren Arbeit sie so lange unterstützt hat. Nur stellen sich mittlerweile ganz praktische Probleme, denen wir hilflos gegenüberstehen.

Nämlich?

Zum Beispiel: Wie kommen die Frauen überhaupt an den Flughafen? Es braucht militärischen Geleitschutz vom derzeitigen Aufenthaltsort bis zum Flugfeld. Alles andere ist unrealistisch. Das diskutieren wir mit allen möglichen Stellen. Wir sind da nonstop dran.

Aber an wen sollen Ihre Partnerinnen sich wenden, wenn selbst das Botschaftspersonal ausfliegt?

Es gibt kaum noch jemanden vor Ort, der jetzt noch unterstützen kann. Es sollen Krisenteams dort sein, aber ob das stimmt, wissen wir nicht. Es wird internationale Unterstützung brauchen. Ohne Hilfe sind sie aufgeschmissen.

Wenn das nicht gelingt - was ist der Plan B?

Daran möchte ich gar nicht denken. Plan B hieße, dass die Frauen sich zurückziehen. Einige werden im Untergrund weitermachen. Das bedeutet Lebensgefahr. Aber so weit sind wir noch nicht. Plan A ist zu evakuieren, und den verfolgen wir jetzt. Und wenn das alles scheitert, dann wird die Bundesregierung auch überlegen müssen, wie sie mit den Taliban verhandelt. Die Taliban werden westliches Geld wollen, das muss man an Frauen- und Menschenrechte knüpfen.

Was bleibt von 20 Jahren Frauenarbeit, die Sie dort geleistet haben? War alles umsonst?

Nein, das sehe ich nicht so. Wir hatten vor 20 Jahren eine Chance, und wir haben sie genutzt. Durch die Arbeit der afghanischen Anwältinnen, die wir unterstützen konnten, sind Tausende von Frauen, die wegen sogenannter moralischer Verbrechen inhaftiert waren, freigekommen. Es sind Zehntausende von Frauen, die von Gewalt betroffen waren, durch psychosoziale Beratungen gestärkt worden. Und konnten trotz schwerster Gewalterfahrungen ins Leben zurückfinden.

Aber mit den Taliban droht ihnen nun neue Gewalt.

Mit roher Gewalt mag man vieles erreichen können. Aber die Taliban werden nach einer ersten Phase der Gewalt auch merken, dass sich etwas im Land geändert hat. Es ist eine jüngere Generation herangewachsen, die an Social Media gewöhnt ist, die Unis besucht, die Freiheit liebt - das wird niemand leicht wegwischen können.

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