Afghanistan-Einsatz:Obamas Fahnenappell

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Der Bundestag wird den Einsatz in Afghanistan verlängern, ohne die Diskussion im Land aufzugreifen. Obamas Rede war hingegen ein finaler Fahnenappell.

Stefan Kornelius

Kann man einen Krieg gewinnen, indem man immer mehr Soldaten in ein Land schickt? Die Geschichte gibt unterschiedliche Antworten auf die Frage. Amerika hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen, nicht zuletzt dank seiner Übermacht an Soldaten und Waffen. Amerika hat Vietnam verloren, trotz seiner Überlegenheit. Und im Irak zeichnet sich ab, dass die Strategie aufgeht. Eine starke Truppenerhöhung gepaart mit der Festlegung auf einen Abzugstermin hat dort so viel Druck entfaltet, dass die Aufstandsbewegung eingedämmt wurde, und die irakische Regierung ihre Verantwortung übernimmt.

Barack Obama entsendet mehr Soldaten nach Afghanistan - und will einen Truppenabzug von 2011 an. (Foto: Foto: dpa)

Die Lehre heißt also: Soldaten alleine entscheiden nicht über den Ausgang eines Krieges. Und deswegen hat Barack Obama in seiner viel zu lange hinausgezögerten Afghanistan-Rede nicht nur über Truppenstärken gesprochen, auch wenn die Zahl von 30.000 zusätzlichen Soldaten seit Wochen die Phantasie beflügelt. Obama hat vor allem von den Umständen gesprochen, die den Krieg zu einem Erfolg oder Misserfolg machen werden: die Bereitschaft der afghanischen Regierung zur Zusammenarbeit, die Drogenbekämpfung, die Ausbildung afghanischer Soldaten und Polizisten.

Nur weg von Afghanistan

Ganz am Ende aber steht die Erkenntnis, dass eine politisch und ideologisch motivierte Aufstandsbewegung militärisch nicht zu schlagen ist. Afghanistan kann also nur politisch befriedet werden. Auch hier haben die USA und ihre 42 truppenstellenden Koalitionäre hinreichend Erfahrung gesammelt. Man kennt die afghanischen Stammesstrukturen, die Begehrlichkeiten, die Fehden. Man weiß, dass Korruption und Loyalität eng verwoben sind, dass die Vorstellung von einer westlichen Gesellschafts- und Politikordnung in diesem islamischen traditionsbeladenen Land nicht aufgeht.

Obama interessiert aber nur zum Teil die x-te Feinausrichtung einer Strategie, die den 100.000 Soldaten aus fremden Ländern einen schnellstmöglichen Abzug und den Afghanen ein weitgehend friedliches Leben garantieren soll. Hinter seiner Rede stand ein zweites Motiv.

Es geht Obama um seine politische Zukunft. Viel offener als seine europäischen Bundesgenossen hat er klargemacht: Ich habe verstanden, mein Wahlvolk möchte sich nicht mehr um Afghanistan sorgen, Amerika will nur weg von dort. Das ist in etwa auch die Stimmung in Deutschland, allerdings wird sie nicht aufgenommen von der Bundesregierung, die wieder einmal eine Mandats-Verlängerung beschließen will, ohne sich über den Mangel an öffentlicher Unterstützung für den Einsatz hinreichend den Kopf zerbrochen zu haben.

Obamas Antwort auf die Kriegsmüdigkeit liegt in einer Jahreszahl: 2011. Im Juli 2011 will der Präsident die ersten Truppen abziehen. Wohlgemerkt: die ersten. Afghanistan wird noch lange darüber hinaus Hilfe benötigen. Wer außerdem die sehr schlüssigen Aussagen Obamas über den Kriegsgegner nachliest, der wird kaum glauben können, dass ein so gewiefter Kontrahent wie die Taliban bis zu diesem Datum besiegt sein wird.

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Das Abzugsdatum ist deswegen eine zweischneidige Angelegenheit: Einerseits wird die Aussicht auf die Verabschiedung der Schutzmacht die afghanische Regierung in helle Panik versetzen und zu hoffentlich mehr Kooperation treiben. Präsident Hamid Karsai muss endlich seinen Worten Taten folgen lassen, wenn er - im Wortsinn - überleben möchte. Andererseits wissen die Taliban, dass sie nur Geduld brauchen. Zeit ist eine Überflussware der Paschtunen.

US-Präsident Barack Obama nach seiner Grundsatzrede zum Afghanistan-Krieg. (Foto: Foto: AP)

Ihr Zeitbegriff kennt einerseits nur den nächsten Tag, den es zu überleben und für die Familie zu nutzen gilt. Dann aber gibt es auch die historische Erfahrung aller Afghanen, dass jede Besatzungsmacht einmal entnervt aufgeben wird und das Land in die alte Instabilität zurückfällt. Dieses afghanische Grundgesetz verspricht auch Obama nicht zu kippen. Der Präsident hat lediglich deutlich gemacht, dass die ersten Soldaten 2011 das Land verlassen werden - aus Gründen, die in der amerikanischen Innenpolitik liegen -, egal, was in Afghanistan auch immer passiert.

Ein mutiger Offenbarungseid

Diese Zusage an die amerikanische Nation wiegt am Ende schwerer als eine noch so instabile Lage in Afghanistan. Obama möchte also seinen Wählern die Botschaft vermitteln, dass es sich hiermit um sein letztes gut gemeintes Angebot handelt, den finalen Fahnenappell für eine kriegsmüde Nation. Das ist ein sehr mutiger Offenbarungseid, der Obama wenig nutzen wird, sollte sich die Stimmung gegen ihn wenden.

Das neue Momentum wird Obama ins kommende Frühjahr tragen, bis alle 30.000 zusätzlichen Soldaten in Afghanistan sein werden. Danach beginnt der Countdown zu den amerikanischen Zwischenwahlen im November 2010 und letztlich auch zu den Präsidentschaftswahlen zwei Jahre später. Der Hochrisikospieler Obama hat sich wieder einmal mit einer Rede Zeit erkauft - bei den Afghanen, den Verbündeten, den Parteifreunden und dem politischen Gegner. Wehe aber, er liefert nicht bis 2011, wehe, die Dynamik des Krieges richtet sich weiter gegen die ausländische Koalition. Dann wird Obama sagen, er habe sein Bestes gegeben, damals in West Point. Das Beste war dann nur eine Rede.

© SZ vom 03.12.2009/dgr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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