Rückkehr aus Afghanistan:"Der Einsatz wird uns alle prägen"

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Soldaten der Bundeswehr verlassen die Maschinen aus Taschkent und beenden damit den Evakuierungseinsatz in Afghanistan. (Foto: Martin Meissner/AP)

Am Freitagabend kehren die letzten deutschen Soldaten aus Afghanistan zurück. Die Anspannung der vergangenen zwei Wochen ist ihnen anzusehen.

Von Mike Szymanski, Wunstorf

Es ist 19.58 Uhr, als sich der erste A400M-Militärtransporter auf die Parkposition zubewegt. Die vier Turboprop-Triebwerke machen einen ohrenbetäubenden Lärm. Die Heckklappe öffnet sich. Nach und nach verlassen die Soldaten in ihren Kampfanzügen das Flugzeug, das Gewehr in der Hand. In ihren Gesichtern lässt sich die Anspannung der vergangenen zwei Wochen ablesen. Applaus brandet auf, von Angehörigen und Kameraden.

Es ist noch einmal gut gegangen. Aber es war knapp. Die letzten Maschinen aus Kabul starteten am Donnerstag, kurz nachdem dort eine Bombe explodiert war und Terroristen am Flughafen um sich schossen.

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Der Fliegerhorst Wunstorf, nahe Hannover. Freitagabend. Einer der gefährlichsten Einsätze der Bundeswehr, die Evakuierungsoperation aus Kabul, geht zu Ende. Die Soldaten und Soldatinnen kommen zurück.

Wenig später treten sie in einer Wartungshalle zum Rückkehrer-Appell an. Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Erich Pfeffer, sagt: "Der heutige Tag ist angesichts der dramatischen Lage in Afghanistan kein Grund zum Feiern." Aber, es sei ein Tag, sich über die Rückkehr zu freuen, die Leistung der Soldaten zu würdigen. Das macht dann Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU): Die Soldaten hätten "Unfassbares gesehen und Unglaubliches" geleistet.

Die Politik macht sich diesmal groß

Für die Soldaten war der Einsatz extrem. Schlafen auf dem Boden, wenn man überhaupt von Schlaf reden konnte. Sie haben ein Feuergefecht mitbekommen und wagten sich raus in die Nacht, um Schutzbedürftige zu holen. Und trotzdem mussten sie viele im Land zurücklassen, die auf ihre Hilfe gehofft hatten. Brigadegeneral Jens Arlt, der den Einsatz in Kabul geführt hat, sagt, bis dato habe er "nichts Vergleichbares" erlebt.

Die letzte Etappe für die Soldaten, zurück vom temporären Drehkreuz in Taschkent nach Deutschland, legte Ministerin Kramp-Karrenbauer am Freitag zusammen mit der Truppe im Flugzeug zurück.

Nicht noch einmal sollte ihr so ein Fehler unterlaufen wie am 30. Juni. Damals war von den führenden Bundespolitikern niemand dabei, als in Wunstorf die vorerst letzten 264 Soldaten aus dem Afghanistan-Einsatz gelandet waren. Nach fast 20 Jahren endete mit deren Ankunft der mit 59 gefallenen Soldaten verlustreichste und kraftraubendste Einsatz der Bundeswehr. Dachte man damals jedenfalls. Kramp-Karrenbauer war da aber gerade in den USA, auch andere Politiker hatten Termine.

Während dieser zwei Jahrzehnte herrschte meistens ein Zustand, den der frühere Bundespräsident Horst Köhler 2005 als "freundliches Desinteresse" der Deutschen an ihrer Bundeswehr beschrieben hatte. An diesem Juni-Tag bekamen die Soldaten mit voller Wucht zu spüren, was Köhler meinte.

Vor fünf Jahren hätte die Bundeswehr das nicht geschafft

Wunstorf, zwei Monate später. Die Wolken hängen tief. Wohl selten bekommt die Politik die Gelegenheit, einen Fehler so schnell zu korrigieren. Am Rande stehen die Verteidigungspolitiker aus dem Bundestag, fast ein Dutzend Abgeordnete sind gekommen. Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Bundestages, war schon in Taschkent mit dabei. Kramp-Karrenbauer wollte, dass die Politik sich heute groß macht.

Seit dem 16. August hat die Bundeswehr mit A400M-Transportflugzeugen eine Luftbrücke nach Kabul aufgebaut. 37 Flüge hat die Bundeswehr seither unternommen und dabei 5347 Menschen aus Kabul herausgeholt - Deutsche, Afghanen, Bürger anderer Staaten. Es ging auch darum, so viele afghanische Helfer wie möglich noch zu retten, die für deutsche Institutionen gearbeitet hatten und nach der Machtübernahme der Taliban um ihr Leben fürchteten. Die Regierung und das Parlament hatten die Bundeswehr mit Flugzeugen, Hubschraubern und 600 Männern und Frauen in einen Kampfeinsatz geschickt.

Die Wehrbeauftragte Högl sagt an diesem Tag, die Soldaten hätten "buchstäblich bis zur letzten Minute alles gegeben".

Man könnte auch sagen: Die Bundeswehr, die so oft Hohn und Spott über sich ergehen lassen musste, hat funktioniert. Es ist in gewisser Weise sogar das Jahr der Bundeswehr: erst die Amtshilfe in der Corona-Krise, als Tausende Soldatinnen und Soldaten im Pflegeheim Brote schmierten und in Gesundheitsämtern aushalfen. Dann die Hilfe nach der Flut mit Räumpanzern und Behelfsbrücken. Nun die Rettungsflüge aus Afghanistan.

Noch vor fünf Jahren hätte die Bundeswehr eine solch leistungsstarke Luftbrücke nicht zustande gebracht, schlicht weil es ihr an einsatzfähigen modernen A400M gefehlt hätte. Das Kommando Spezialkräfte (KSK) hat in mindestens vier Operationen in Kabul zeigen können, warum Deutschland diesen Spezialkräfte-Verband vorhält. Brigadegeneral Jens Arlt, der Einsatzführer, bittet um Zeit, um alles zu verarbeiten. "Der Einsatz wird uns alle prägen."

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