Andreas Kalbitz, der führende Politiker des rechten "Flügels" der AfD, muss fürchten, seine Mitgliedschaft in der Partei zu verlieren.
In einem Schreiben an die 13 Mitglieder des Bundesvorstands der AfD hat Kalbitz jetzt eingeräumt, dass sein Name auf einer "Interessenten- oder Kontaktliste" der mittlerweile verbotenen Organisation "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) geführt worden sein könnte. Kalbitz bezeichnet dies als "durchaus möglich und wahrscheinlich".
Das geht aus der fünfseitigen Stellungnahme an den Bundesvorstand der Partei hervor, die WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung vorliegt. Sollte Kalbitz Mitglied in der Neonazi-Organisation gewesen sein, hätte er nach den Statuten der AfD nie in die Partei aufgenommen werden dürfen. Ob er eine Zukunft in der AfD hat, hängt davon ab, wie der Bundesvorstand seine Erklärung bewertet. Bereits am Freitag will das höchste AfD-Parteigremium über die Zukunft von Kalbitz beraten.
Wie es aus Vorstandskreisen heißt, sind Teile des Parteivorstands überzeugt, dass Kalbitz nicht in der Partei bleiben kann. Allerdings müsse eine solche Entscheidung auch juristisch wasserdicht sein, heißt es aus dem Umfeld der Parteiführung.
Am Freitag wird zwar noch keine Entscheidung der Parteispitze erwartet, wohl aber eine "ruppige Auseinandersetzung". Einflussreiche Mitglieder wollen anschließend auf eine baldige Entscheidung drängen, sich von Kalbitz zu trennen.
Einflussreicher Strippenzieher
Kalbitz habe allerdings nach wie vor Fürsprecher in der Parteispitze. Kalbitz ist selbst Mitglied des Bundesvorstands und Landesvorsitzender und Fraktionschef der AfD in Brandenburg. Er gilt als Strippenzieher des rechtsextremen Flügels und in diesen Kreisen mindestens so einflussreich wie dessen Galionsfigur Björn Höcke, weil er diese Strömung maßgeblich steuert.
Der Bundesvorstand hatte den brandenburgischen AfD-Landeschef Ende März dazu aufgefordert, seine Biografie und etwaige rechtsextreme Bezüge aufzuarbeiten. Anlass ist das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur AfD, in dem festgestellt, dass Kalbitz Mitglied der rechtsextremen Organisation HdJ gewesen sei.
Im Gutachten hieß es unter anderem, dass Kalbitz stark im Rechtsextremismus verwurzelt sei und dass sich der Name "Familie Andreas Kalbitz" samt einer vierstelligen Mitgliedsnummer auf einer Mitgliedsliste der HDJ finde.
Kalbitz bestreitet das und versucht sich nun mit dem Hinweis auf eine vermeintliche "Kontaktliste" aus der Affäre ziehen. Dem Verfassungsschutz liegt dagegen offenbar eine Mitgliedsliste mit Mitgliedsnummer vor. In seinem Schreiben legt Kalbitz detailliert auf fünf Seiten aus seiner Sicht offen, zu welchen rechten und rechtsextremen Organisationen er persönliche Bezüge gehabt habe.
Der umstrittene AfD-Politiker hatte bisher nach entsprechenden Medienberichten lediglich eingeräumt, zwei Veranstaltungen der rechtsextremen Organisation besucht zu haben, um sich zu informieren, wie er erklärte.
Seiner Stellungnahme liegen jetzt unter anderem mehrere Schreiben der Kanzlei Höcker bei, die den AfD-Politiker bei rechtlichen Schritten gegen das BfV vertritt. Kalbitz will erwirken, dass ihm das Gutachten des Verfassungsschutzes sowie die "vermeintliche" Mitgliedsliste des HdJ herausgegeben werden, um diese zu prüfen.
In seinem Schreiben an den Bundesvorstand ist im Schreiben vom 5. Mai von "Fälschung" die Rede. Das BfV hat das Ersuchen Kalbitz` zunächst abschlägig beschieden, Kalbitz geht dagegen juristisch vor. Auch diese juristischen Schritte hatten seine Co-Vorstände der AfD ihm abverlangt, dadurch soll er die Ernsthaftigkeit seiner Beteuerungen untermauern.
Nicht wenige seiner Co-Vorstände würden Kalbitz nach Informationen von WDR, NDR und SZ gern aus der Partei entfernen, weil sie ihn - wie BfV-Präsident Haldenwang - für einen Rechtsextremen halten. Aus Kreisen des Gremiums war jedoch zu hören, dass "der Schuss sitzen" müsse und man fürchte, Kalbitz könnte sich erfolgreich gegen den Versuch wehren, ihn aus der AfD zu entfernen.
Favorisiert wurde unter diesen Befürwortern, Kalbitz` Mitgliedschaft in der AfD wegen unvollständiger Angaben zu seiner Verwurzelung in Organisationen, die mit der AfD unvereinbar wären, für nichtig zu erklären. Auf diesem Wege ließe sich die Trennung von Kalbitz wohl auch am schnellsten umsetzen, weil seine Aufnahme in die Partei damit ungültig gewesen wäre.
Im Bundesvorstand wächst die Sorge, der Verfassungsschutz könne die harte Gangart gegen den rechtsextremen Flügel künftig auf die gesamte Partei ausdehnen. Auch deshalb forcieren Teile der AfD einen härteren Kurs gegen die eigenen Rechtsausleger. "Dass der Verfassungsschutz das will, ist wahrscheinlich und es würde uns hart treffen", heißt es aus der AfD-Spitze.
Denn Beamte, eine wichtige Gruppe der AfD-Mitglieder, könnten dann kaum in der Partei bleiben. Der Flügel hat sich nach Einschätzung der Parteispitze zwar aufgelöst - es gebe nun keine offiziellen Treffen oder Info-Stände mehr. Doch auch intern gibt es Zweifel, ob die Strukturen um Führungskräfte wie Kalbitz in der Partei nicht doch inoffiziell, etwa in Whatsapp-Gruppen aufrecht erhalten werden. Dafür könnte sich auch der Staatsschutz interessieren. "Wir sind bei der Flügel-Auflösung noch nicht am Ende", heißt es in der Parteispitze.
Vorgänge um Kalbitz könnten Machtkampf in der AfD zuspitzen
Kalbitz schreibt in seiner Erklärung gegenüber seinen Vorstandskollegen nun, er sei zu keinem Zeitpunkt vor der AfD Mitglied einer rechtsextremistischen Vereinigung gewesen. Er erklärt dazu, dass "der Vorhalt, ich hätte den größten Teil meiner politischen Biografie im national-konservativen Spektrum zugebracht und hätte eine (im demokratischen Sinne) "rechte" politische Biografie völlig zutreffend" sei.
Die Vorgänge um Kalbitz könnten den laufenden Machtkampf in der AfD-Spitze in den kommenden Tagen noch zuspitzen. Gerade erst hatte Co-Parteichef Jörg Meuthen mit dem Vorschlag, die AfD in zwei Teile zu spalten, heftigen Streit in der Bundesspitze ausgelöst. Zudem haben große Teile der AfD das Gefühl, mit den eigenen Themen in der Corona-Krise kein Gehör zu finden und lasten das der Bundesführung an. Der Widerstand vor allem gegen Fraktions- und Parteispitze wächst. In Berlin machen Berichte über Putschgedanken gegen Bundespolitiker die Runde. Von Stimmungstests für Abwahlanträge ist die Rede und von Widerstand, der sich innerhalb der Partei und auch der AfD-Bundestagsfraktion in vertraulichen Chats organisiert. "Die Unruhe ist riesig", heißt es bei führenden AfD-Vertretern, es gebe eine große Unzufriedenheit mit der Parteiführung, aber auch dem Vorstand der Bundestagsfraktion.
Wegen der aktuellen Schwäche der Partei bei Wahlumfragen bangen Abgeordnete offenbar um ihren Wiedereinzug in den Bundestag und ihre politische Karriere. Umfragen sahen die Partei etwa in Bayern zuletzt bei sechs Prozent. Bliebe es bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr dabei, würde die bayrische AfD-Truppe im Bundestag halbiert.