Niederlagen bei neun Landtagswahlen in Folge, die ganze Partei als rechtsextremistischer Verdachtsfall beim Verfassungsschutz geführt, 5000 Mitglieder haben die Partei verlassen: Die Vorzeichen könnten besser sein, unter denen sich die Delegierten der AfD am Freitag und am Wochenende im sächsischen Riesa zum Parteitag treffen.
Auf der Tagesordnung des Bundesparteitags steht die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden. Und es ist offen, wie viele Chefs es künftig geben wird und wer es werden könnte. Der amtierende Vorsitzende Tino Chrupalla hat angekündigt, erneut kandidieren zu wollen. Dass er aber gewählt wird, ist alles andere als sicher. Zuletzt gab es für ihn sehr viel Gegenwind aus den eigenen Reihen. Das ist in der AfD grundsätzlich nichts Neues. Wie groß der Druck ist, den Chrupalla auch aus dem Vorstand bekommt, ist aber bemerkenswert.
Joana Cotar etwa, seit 2020 Mitglied im Bundesvorstand, die noch 2021 gemeinsam mit Chrupalla Spitzenkandidatin für die Bundestagwahl werden wollte, sprach sich klar gegen ihren Parteichef aus: "Mit Tino Chrupalla endete die Erfolgsgeschichte der AfD", sagte sie. Chrupalla ist seit 2019 Bundessprecher der AfD. Seit dieser Zeit hat die AfD rund 5000 Mitglieder verloren, wie ein Sprecher bestätigt.
Zwei Gegenkandidaten wollen die AfD auf 30 Prozent führen
Dass Chrupalla in der Partei angezählt ist, hat aber nicht nur parteipolitische Gründe, sondern liegt auch an politischen Sachfragen. Alexander Wolf, Bundesvorstandsmitglied aus Hamburg, kritisierte die Haltung des AfD-Vorsitzenden zum russischen Angriff auf die Ukraine. Chrupalla hatte sich dafür starkgemacht, keine Waffen zu liefern und auch die Sanktionen gegen Russland aufzuheben. Das sei ein "Irrweg, der die AfD fast eine weitere Landtagsfraktion gekostet hätte", sagte Wolf nach der Wahl in Nordrhein-Westfalen, wo die AfD noch gerade so mehr als fünf Prozent geholt hatte. In Schleswig-Holstein war sie kurz zuvor aus dem Landtag geflogen.
Es gibt bereits zwei vermutlich aussichtsreiche Kandidaten, die gegen Chrupalla antreten. Nicolaus Fest zum Beispiel, Abgeordneter im Europaparlament . In seinem Bewerbervideo stellte er fest, dass die Partei in keinem guten Zustand sei. "Wir müssten bei 30 Prozent stehen. Mindestens. Stattdessen kämpfen wir im Westen mit der Fünf-Prozent-Hürde", sagt er.
Norbert Kleinwächter, 36 Jahre alt, Bundestagsabgeordneter aus Brandenburg, gehört zu den Mitgliedern der AfD, die sich selbst als "gemäßigt" beschreiben. Auch er will die Partei bundesweit auf 30 Prozent führen, "um Deutschland zu retten". Im Moment sei aber die Lage der AfD "existenzbedrohend". Dafür macht Kleinwächter die derzeitige Parteiführung verantwortlich und fordert einen "Neuanfang, sowohl inhaltlich als auch im Stil". Er hat angekündigt, mit einem "Team Aufbruch" zur Wahl anzutreten.
In Riesa soll es auch darum gehen, wie viele Parteivorsitzende es künftig geben wird. Für den Parteitag liegt ein Antrag vor, die Satzung zu ändern und auf eine Einzelspitze umzustellen. Der Antrag stammt von Björn Höcke, dem Chef und Fraktionsvorsitzenden der Thüringer AfD, auf den alle schauen werden. Vor keinem Bundesparteitag war der Rechtsextremist im Vorfeld so aktiv. Auf seiner Facebook-Seite schrieb er: "In der Vergangenheit hatte die AfD leider kaum Glück bei der Wahl der Bundessprecher." Mit diesem Post ist offensichtlich Jörg Meuthen gemeint, der fast sechs Jahre lang die Partei geführt und Höcke bekämpft hatte und der im Januar aus der Partei ausgetreten war. Nun scheint sich Höcke das erste Mal politisch auf Bundesebene aus der Deckung zu wagen.
Bisher hatte er sich auf Bundesparteitagen immer zurückgehalten, nun hat er im Vorfeld mehrfach angedeutet, in Riesa für ein Amt kandidieren zu wollen. Ob als Parteichef oder als Mitglied des Bundesvorstands, das hat er aber stets offengelassen. Und so warten die Delegierten gespannt darauf, was Höcke auf dem Parteitag tun wird. Sollte er tatsächlich nach dem Vorsitz greifen und gewählt werden - die Folgen für die Partei wären dramatisch. Höcke ist einer der Hauptgründe, weshalb die Partei als rechtsextremer Verdachtsfall vom Verfassungsschutz beobachtet wird.