AfD-Parteitag:In der AfD ringen Gemäßigte und Radikale um Einfluss

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Wer folgt auf Frauke Petry? Auf dem AfD-Parteitag wird an diesem Wochenende die neue Führungsmannschaft bestimmt.

Von Jens Schneider

Die Mail an die Presse kommt daher wie ein Gruß aus einer sehr fernen Vergangenheit. Auch wenn diese nur wenige Wochen zurückliegt. Frauke Petry möchte ihre Gedanken zur Bildungspolitik teilen. Schüler sollten im Unterricht erst mal das Einmaleins lernen, nicht den Umgang mit Smartphones und Tablets, fordert sie. Petry war mal die Galionsfigur der AfD, dann wollte sie nicht mehr ganz so rechts sein wie zuvor, die Partei stieß sie ab, Petry ging. Zwei Monate später trifft sich die AfD an diesem Wochenende in Hannover zu ihrem ersten Parteitag seit dem Einzug in den Bundestag; Petry spielt keine Rolle mehr. Ihr Name taucht nur noch auf als Warnung an eher moderate Rechtskonservative, als wäre es ein Makel, mal einer ihrer Vertrauten gewesen zu sein. "Petry ist Geschichte!", heißt es mahnend in einem Antrag aus dem ganz rechten Lager.

Mit dem Abschied der langjährigen Parteichefin sollte der ständige Streit in der AfD vorbei sein, so hofften die Partei-Granden. Ohne Petry startete die neue Bundestagsfraktion verblüffend harmonisch. Mit Triumphgefühlen zog sie in den Bundestag ein, vom "Beginn einer neuen Epoche" war die Rede. Doch dann war die AfD kaum noch wahrzunehmen, weil die Jamaika-Parteien mit ihrer fast endlosen Sondierung die Szene beherrschten. Von Hannover aus will die AfD nun zurück ins Rampenlicht, möglichst mit der gleichen Harmonie wie in der Bundestagsfraktion. Die internen Konflikte sollten in geregelte Bahnen gelenkt werden, der äußerste rechte Flügel und die gemäßigte "Alternative Mitte" eingebunden werden. Doch kurz vorher gibt es eine unerwartete Dynamik.

Nach Petrys Abschied wählt die AfD ihre Führung neu, vor allem sucht sie jemanden als Co-Parteichef oder -chefin. Er oder sie wird voraussichtlich neben dem amtierenden Vorsitzenden Jörg Meuthen Platz nehmen, der erneut kandidiert. Erst gab es gar keine Kandidaten, nun verbreiten überraschende Bewerbungen Unruhe. Im Vordergrund geht es um Personen, tatsächlich steckt dahinter ein Richtungsstreit. Die Bruchlinien der AfD kommen zum Vorschein, so sehr sonst der Hass auf den Islam und die oft mit rassistischen Tönen vorgetragene Ablehnung von Flüchtlingen die Parteiflügel verbindet. Ein Blick auf die entscheidenden Figuren des Machtkampfs in der AfD:

Vorne/unten: Frauke Petry. Hinten von links nach rechts: Bernd Baumann, Björn Höcke, Jörg Meuthen, Georg Pazderski, Alice Weidel und Alexander Gauland. (Foto: Getty, dpa (3), AFP (2), Reuters; Collage: SZ)

Georg Pazderski

Ausgelöst hat die Zuspitzung der Berliner Landesvorsitzende und Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Georg Pazderski. Er hat Mitte der Woche seine Kandidatur für den vakanten Posten als Parteichef bekanntgegeben. Der 66 Jahre alte frühere Bundeswehr-Offizier verbindet damit eine klare politische Zielsetzung. Pazderski will die AfD als rechtskonservative Partei so professionalisieren, dass sie eine Regierungspartei werden könnte, an der Seite von CDU und FDP. Die aber diffamieren viele in der AfD mit Abscheu als "Altparteien".

Im Berliner Abgeordnetenhaus betreibt Pazderski bereits die Annäherung an die Wunschpartner. Solche Gedanken sind für Teile der AfD-Spitze Teufelszeug. Im Landesparlament führt er die Fraktion straff auf rechtskonservativem Kurs, will aber einen konzilianten Ton anschlagen. Zu seiner Strategie gehört, dass die AfD sich von auffälligen Rechtsauslegern trennen muss. Er zählt zu den Befürwortern des Ausschlussverfahrens gegen den Thüringer Landeschef und Rechtsaußen Björn Höcke. Pazderski Bewerbung bereitet Kontrahenten auch deshalb Sorge, weil der auf seine soldatisch kühle Art Abläufe zu organisieren weiß. Er war bis Sommer 2015 Bundesgeschäftsführer und gehört bereits dem Bundesvorstand an. Seine Gegner kolportieren, die Basis nehme ihm übel, dass er einst an Petrys Seite stand.

Jörg Meuthen

Den amtierenden Vorsitzenden Meuthen muss Pazderskis Bewerbung irritieren. Der Ökonom rechnet mit seiner Wiederwahl, obwohl Mitglieder ihn dafür kritisieren, dass er vorübergehend zwei Parlamentsmandate hält: das bisherige in Stuttgart und den einzigen Sitz der AfD im Europaparlament, den der 56-Jährige als Nachrücker eingenommen hat. Den Sitz in Stuttgart will er erst zum Jahresende aufgeben. Empörte Mitglieder haben zum Parteitag Anträge gestellt, die Sanktionen gegen jeden fordern, der zwei Mandate hält, weil sie "der Partei schaden".

Meuthen würde gern als Wirtschaftsliberaler gesehen werden. Für diese Rolle hatte ihn einst Petry auserkoren, als sie ihn in die Spitze holte. Um sich gegen Petry zu behaupten, diente er sich aber dem extrem rechten "Flügel" um Höcke an. Er löst als Redner auf Parteitagen Jubelstürme aus, weil er mit zugespitzten Formulierungen Ressentiments gegen das "links-rot-grün versiffte 68er-Deutschland" oder Flüchtlinge und den Islam zum Ausdruck bringt. Jedoch hat auch die Partei bemerkt, dass es ihm nicht gelang, die Fraktion in Stuttgart zu befrieden. Es dürfte für ihn schwer werden, die AfD zu führen, wenn der Berliner Pazderski künftig als Chef aus der Hauptstadt mit an der Spitze wäre, während Meuthen im EU-Parlament sitzt.

Alexander Gauland

Der 76-jährige Fraktionsvorsitzende im Bundestag wollte eigentlich stellvertretender Parteivorsitzender bleiben. In dieser Rolle konnte er zum einflussreichsten Mann der Partei werden. Seit Mitte der Woche erwägt Gauland nun aber, sich um den Chefposten zu bewerben. Er reagiert auf Pazderskis Kandidatur, denn dessen Ausrichtung passt Gauland nicht. Für eine Regierungsbeteiligung sei es noch zu früh, die AfD müsse erst stärker werden, die Risiken seien zu groß, warnt er. Gauland fürchtet, dass die Partei schnell viel Kraft einbüßen würde, wenn sie nicht mehr als reine Protestpartei dastehe.

Gern spottet er darüber, dass Kontrahenten vom Establishment anerkannt werden wollten. Das hielt er schon bei Bernd Lucke und Frauke Petry so. Gauland hat das längst hinter sich. Vier Jahrzehnte war er CDU-Mitglied, führte für den CDU-Ministerpräsidenten Walter Wallmann in Hessen die Staatskanzlei. Gauland nennt den Rechtsaußen Höcke seinen Freund und hätte ihn gern schon bei diesem Parteitag rehabilitiert. Mit seinen Entgleisungen im Wahlkampf, etwa über die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz, hat Gauland sich selbst rechtsaußen positioniert.

Alice Weidel

Die zweite Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag versucht ihre Rolle zwischen den Lagern zu finden. Die frühere Unternehmensberaterin hat als Spitzenkandidatin der Partei an der Seite von Gauland einen erfolgreichen Wahlkampf geführt. Nach der Bundestagswahl ist sie jedoch kaum noch in Erscheinung getreten. Politisch wird die 38-Jährige, auch wenn sie scharfe antiislamische Töne anschlägt, dem gemäßigten Flügel zugerechnet, intern positioniert hat sie sich zuletzt selten.

So hält sie es auch vor dem Parteitag, allerdings wird ihr Nähe zu Pazderski und seinem Kurs unterstellt. Bekannt ist, dass sie Meuthen in Abneigung verbunden ist. Im parteiintern äußerst aufgeladenen Fall Höcke betrieb Weidel einst mit Petry dessen Ausschluss, befürwortet ihn wohl auch heute noch, betreibt ihn aber nicht resolut.

Bernd Baumann

Als möglicher Überraschungskandidat für die Parteispitze galt lange Bernd Baumann. Der 59-Jährige hat eine Kandidatur dem Vernehmen nach allerdings ausgeschlossen - wohl auch aus Rücksicht auf Weidel, die in der Hierarchie der Fraktion über ihm steht. Baumann ist Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion. Er hat diese Schlüsselposition auf Wunsch von Gauland übernommen, der ihm zutraute, die schwierigen Prozesse beim Aufbau der neuen Fraktion zu moderieren.

Der Ökonom wurde an der Ruhr-Universität Bochum promoviert und arbeitete im Management und als Journalist in den Medienkonzernen Burda und Bauer. Er war Assistent von Hubert Burda und Redakteur beim inzwischen eingestellten deutschen Forbes-Magazin. Später machte er sich als Investitionsberater selbständig. Baumann sieht die AfD als Teil einer Bewegung des Westens, die sich gegen einen vermeintlich egalitären Mainstream stellt. Intern setzt er auf einen moderaten Ton.

Björn Höcke

Wie hältst du es mit Björn Höcke? Diese Frage ist für viele AfD-Mitglieder entscheidend. Der Thüringer Höcke steht nicht erst seit seiner düsteren Dresdner Rede für einen völkisch-nationalen Kurs. Einer Rede, in der er das Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnete und sich dafür bejubeln ließ. Einer Rede, in der er eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" forderte. Der Beschluss zum Ausschluss ist keineswegs aufgehoben, doch das Verfahren stockt. Der Parteitag in Hannover könnte zeigen, wie viel Höcke in der AfD steckt. Es gibt einen Antrag von Höcke-Unterstützern, es zu beenden. Höcke hat lange offen gelassen, ob er für ein Amt kandidiert, er will nun dem Vernehmen nach nicht antreten. Es ist auffällig, dass er sich bisher Wahlen und großen Debatten in der AfD selten stellte und es genoss, Parteitage vom Rande her zu kommentieren.

Für den Vorstand kandidieren seine Weggefährten aus dem "Flügel" wie André Poggenburg aus Sachsen-Anhalt. Der Magdeburger Fraktionschef gehört schon jetzt dem Vorstand an, sein Ergebnis könnte Aufschluss darüber liefern, wie stark der völkisch-nationale "Flügel" ist, den der Berliner Pazderski nur als kleine Minderheit ansieht, andere dagegen auf ein Drittel der Basis taxieren. Poggenburg hat zum Parteitag einen Antrag gestellt, der dem amtierenden Chef Meuthen dienen soll. Demnach soll die AfD künftig nur noch einen alleinigen Parteichef haben, bisher sind es mindestens zwei. Seit der Kandidatur von Pazderski würde es somit mindestens einen Verlierer geben.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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