Horn von Afrika:Warum Äthiopien Krieg gegen sich selbst führt

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Droht der Vielvölkerstaat Äthiopien auseinanderzubrechen? Ein Wachmann in der Hauptstadt Addis Abeba. (Foto: Getty)

Erst Tigray, nun Amhara: Im Vielvölkerstaat eskaliert erneut die Gewalt. Zusammenhänge und Hintergründe zum Konflikt der rivalisierenden Ethnien.

Von Arne Perras

Äthiopien kommt nicht zur Ruhe, nun ist die Gewalt in der Region Amhara eskaliert, nur wenige Monate nach dem mühsam ausgehandelten Friedensschluss in Tigray. Die äthiopische Regierung verhängte Anfang August den Notstand über die Region, Washington blickt voller Sorge auf den Krisenherd, den es zu entschärfen gilt, bevor ein weiterer größerer Krieg ausbricht. Der Konflikt in Amhara könnte für den Zusammenhalt Äthiopiens noch mehr Sprengkraft entwickeln als der Krieg in Tigray, der vermutlich 600 000 Menschen das Leben kostete. Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Eskalation im Nordwesten Äthiopiens.

Welche Bedeutung hat Amhara für den Vielvölkerstaat?

Die Region liegt im Hochland, nördlich der Hauptstadt Addis Abeba. Sie bildet das Kerngebiet des einstigen Kaiserreiches, das historische Erbe ist noch vielerorts sichtbar, etwa in der alten Kaiserstadt Gondar oder im Pilgerort Lalibela, mit den berühmten Felsenkirchen. Das Volk der Amharen macht mehr als ein Viertel der Gesamtbevölkerung aus, die meisten sind orthodoxe Christen. In den Zeiten der feudalen Herrschaft, bis zum Sturz des Kaisers Haile Selassie 1974, waren die Amharen das staatstragende Volk Äthiopiens.

(Foto: SZ-Karte: jje/Mapcreator.io/OSM)

Das kommunistische Regime des Diktators Mengistu Haile Mariam zerschlug die alte Ordnung, die Amharen konnten ihren Einfluss aber teils bewahren. Mit dem Sieg oppositioneller Rebellen über den Gewaltherrscher 1991 besetzten dann aber vor allem Kräfte aus dem Volk der Tigray wichtige Positionen im Staat. Sie wiederum sahen sich fast drei Jahrzehnte später entmachtet, als der neue Premier Abiy Ahmed an die Regierung kam. Er hat Wurzeln in den Regionen Oromia und Amhara und brach das Monopol der Tigray auf. Inzwischen besetzen zunehmend auch Oromo wichtige Posten, etwa im Sicherheitssektor.

Anfangs zeigte Abiy großen Reformeifer, er betrieb die Aussöhnung mit Eritrea, kündigte an, Äthiopien in eine bessere Ära zu führen; mehr Gerechtigkeit sollte es geben und weniger Repression; er entließ politische Gefangene. Sein Vorhaben schuf einerseits hohe Erwartungen, anderseits schürte es auch Unsicherheit und Ängste. Abiys ehrgeizige Vision für das Land zerbrach mit dem Krieg gegen die abtrünnige Provinz Tigray, die an Amhara grenzt. Für Experten ist unstrittig, dass Äthiopien als föderaler Staat nur überdauern kann, wenn die rivalisierenden Ethnien - allen voran Oromo, Amharen und Tigray - friedlich eingebunden werden. Ansonsten droht der Zerfall des Landes, in dem nun etwa 120 Millionen Menschen leben.

Wie hängt der aktuelle Konflikt in Amhara mit dem Krieg in Tigray zusammen, der im November beendet wurde?

Im Krieg gegen die abtrünnige Provinz Tigray war die äthiopische Armee unter dem Oberkommando Abiys auf Spezialeinheiten und Milizen aus Amhara angewiesen, gemeinsam kämpften sie gegen die Separatisten im nördlichen Tigray. Nach dem Friedenschluss versucht der Premier nun, paramilitärische Einheiten und Milizen - in Amhara heißen sie Fano - in die gesamtäthiopischen Streitkräfte zu integrieren. Das stößt bei Amharen teils auf heftigen Widerstand, sie wollen ihre regionalen Armeen selbst kontrollieren, weil sie sich ansonsten nicht sicher fühlen. Bestärkt werden sie in diesem Gefühl, weil amharische Minderheiten in anderen Gegenden Äthiopiens immer wieder Übergriffen und Verfolgung ausgesetzt waren.

Der Konflikt in Amhara führte zunächst zu Unruhen und eskalierte schließlich militärisch. Amharische Quellen werfen der Regierungsarmee vor, nach ihrem Abzug aus Tigray in Amhara zu marodieren, die Zahl der Vertriebenen wächst. Abiys Regierung wiederum warnt vor extremistischen Elementen, die die Zukunft Äthiopiens bedrohten. Anfang August meldete die Regierung, sie habe die Kontrolle über mehrere Städte verloren, Augenzeugen bestätigten Schießereien an zahlreichen Orten. Rebellen besetzten sogar den Flughafen von Lalibela, über den normalerweise Touristen einfliegen, um Kulturschätze zu besichtigen. Ein mutmaßlicher Drohnenangriff vor einigen Tagen tötete mindestens 26 Menschen, die Regierung, die Äthiopiens Luftwaffe kommandiert, schweigt dazu.

Kämpfer einer amharischen Miliz. (Foto: Eduardo Soteras/AFP)

Inzwischen scheint die Regierungsarmee, nach tagelangen Kämpfen, einige Orte zurückgewonnen zu haben, die Aufständischen haben sich offenbar aufs Land zurückgezogen. Die Fano-Milizen haben keine schwere Waffen, sie organisieren sich dezentral, oft als Schutz für die jeweilige lokale Gemeinde.

Was kompliziert eine Lösung des Konflikts?

Im Krieg gegen die Aufständischen von Tigray besetzten amharische Kämpfer zunächst viel fruchtbares Land, dessen Zugehörigkeit zwischen beiden Regionen umstritten ist. Amharen sagen, sie haben sich nur geholt, was schon immer ihnen gehörte. Viele Tigray wurden im Krieg aus den westlichen Gebieten ihrer Provinz vertrieben oder getötet, die USA warfen amharischen Kämpfern daraufhin "ethnische Säuberungen" vor. Später schlugen tigrayische Truppen zurück und rückten teils nach Amhara vor. So hat es auf beiden Seiten viele Opfer und extreme Gewalt gegeben, oft gegen Frauen. Die Exzesse erschweren eine Aussöhnung.

In Amhara herrscht nun großes Misstrauen, welche Folgen der Friedenschluss ihrer Zentralregierung mit Tigray haben wird. Viele Amharen fürchten, dass sie umstrittenes Land zurückgeben müssen. Allgemeine Unsicherheit in Amhara befördert viele Ängste, Politiker greifen sie auf und behaupten, ihr Volk sei schon seit den 90er-Jahren "genozidaler Gewalt" durch die Tigray ausgesetzt.

Welche Folgen haben die Auseinandersetzungen zwischen lokalen Milizen und der Armee für Äthiopien?

Abiys Problem ist, dass er mit mehreren Krisenherden gleichzeitig konfrontiert ist. Neben den militärischen Auseinandersetzungen in Amhara und den Landstreitigkeiten an der Grenze zu Tigray muss er auch noch Konflikte in Oromia lösen, einer Region, in der das größte Volk Äthiopiens beheimatet ist und wo sich ebenfalls seit Jahren Rebellen formieren. Zu beobachten ist, dass die ethnische Identität in politischen Auseinandersetzungen immer dominanter wird. Innerhalb der ethnischen Gruppen gibt es zunehmend Tendenzen, sich als eigene Nation abzugrenzen.

Die Verfassung von 1994 hatte einen "ethnischen Föderalismus" staatlich verankert. Nun fragen sich allerdings viele, ob das Modell nicht doch die zentrifugalen Kräfte, die Äthiopien zu zerreißen drohen, noch verstärkt. Über allem schwebt die Frage, welche Form des Föderalismus noch geeignet ist, die Völker Äthiopiens friedlich zu einen.

Was steht international auf dem Spiel?

Als Sitz der Afrikanischen Union hat Äthiopien nicht nur symbolisch große Bedeutung für die Zukunft des Kontinents. Ein Zerfall des größten Landes am Horn von Afrika wäre katastrophal für die ökonomische Entwicklung. Auch der Kampf gegen die Armut würde weitere Rückschläge erleiden in einer ohnehin labilen Zone, in der in Somalia und im Sudan bereits Kriege toben. Ohne Lösungen für Äthiopien dürften Migrationsbewegungen weiter zunehmen.

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