Präsidentschaftswahl in Ägypten:Al-Sisi profitiert von der Krise

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Die Plakate von Abdel Fattah al-Sisi sind in Kairo allgegenwärtig. (Foto: Khaled Desouki /AFP)

Trotz der dramatischen Wirtschaftslage wird Ägyptens Präsident die Wahl wohl wieder gewinnen. Durch den Krieg in Gaza hat er deutlich an Beliebtheit gewonnen.

Von Bernd Dörries, Kairo

Unter seinem Kassentisch in seiner Apotheke in Kairo hat Ebram Morcos ein dickes, schwarzes Buch, in das er einträgt, wann seine Kunden mit der nächsten Rate dran sind. Das Buch ist in den vergangenen Jahren immer dicker geworden. "Es gibt die Krise überall auf der Welt, aber in manchen Ländern ist sie etwas größer. Leider", sagt Morcos. Eine vorsichtige Umschreibung der wirtschaftlichen Lage Ägyptens: Die Inflation liegt bei 30 Prozent, die Landeswährung hat seit März 2022 etwa 75 Prozent ihres Wertes gegenüber dem Dollar verloren.

"Früher haben die Kunden genau das Medikament gewollt, das auf dem Rezept steht. Heute nehmen sie billige Alternativen oder lassen sich nur ein paar Tabletten geben", sagt der Apotheker. Die wirtschaftliche Lage hat mittlerweile so große Teile der Bevölkerung erfasst, dass Zahnärzte, Gemüsehändler und Supermärkte ihre Patienten in Raten zahlen lassen. Ein ganzes Land lebt auf Pump. Im Staatshaushalt sind mittlerweile 60 Prozent der Ausgaben für den Schuldendienst vorgesehen.

In anderen Ländern, in anderen Umständen, wäre die wirtschaftliche Lage und die dramatische Verarmung der Bevölkerung wohl das Ende von Präsidenten und Regierungen. In Ägypten steuert Präsident Abdel Fattah al-Sisi aber auf eine ungefährdete Wiederwahl zu. Am Sonntag öffnen die Wahllokale, bis Dienstag haben die 67 Millionen Wahlberechtigten Zeit, ihre Stimme abzugeben.

Die drei Gegenkandidaten haben bisher kein kritisches Wort über al-Sisi verloren

Umfragen gibt es nicht, aber man kann davon ausgehen, dass die Behörden wohl wieder in etwa 97 Prozent errechnen werden, die al-Sisi bei der vergangenen Wahl erreichte. Interessanter wird die Zahl derer sein, die tatsächlich ihre Stimme abgeben. 2018 waren es nur 41 Prozent. Darunter sollte der Wert nicht fallen, wenn al-Sisi auch nur den Anschein einer Legitimation behalten will. Viele der etwa sechs Millionen Regierungsangestellten werden zur Wahl gefahren.

"Meine Stimme wird er bekommen", sagt Apotheker Morcos. Er sieht natürlich, wie sich die Lebensumstände seiner Kunden verschlechtern. Seine Angestellte braucht zwei Jobs, um über die Runden zu kommen, so wie viele andere Ägypter auch. "Die Regierung versucht, so gut es geht, ärmere Leute zu unterstützen, aber es könnte mehr sein", sagt Morcos. Dennoch sei für ihn al-Sisi eindeutig der beste Kandidat.

Auf dem Papier hat dieser noch drei Konkurrenten: Farid Zahran von der Sozialdemokratischen Partei Ägyptens, Abdel-Sanad Yamama von der Neuen Wafd-Partei und Hazem Omar von der Republikanischen Volkspartei. Sie alle haben bisher kein wirklich kritisches Wort über den Präsidenten verloren. Sie lassen das Feld der Kandidaten etwas bunter aussehen, ohne den Status quo zu gefährden.

Nach der 2011 gescheiterten Revolution glauben nur noch wenige an Veränderung

Den stellte vor einigen Monaten Ahmed Tantawi infrage, ein ehemaliger Parlamentsabgeordneter der Opposition. "Dieser Präsident ist der schlechteste, den wir in den vergangenen 200 Jahren hatten", sagte er. Und: "Der Durchschnittsbürger kann sehen, dass dieser Staat seine Versprechen in den vergangenen neun Jahren nicht eingehalten hat, und zwar im täglichen Wirtschaftsleben und in Bezug auf die fehlenden Freiheiten." Auf Facebook hatte er schnell zwei Millionen Follower, die sahen, wie sich Tantawi recht furchtlos unters Volk mischte und seine Wahrheiten aussprach.

Es dauerte nicht lange, bis Tantawi davon berichtete, dass seine Anhänger verhaftet wurden, er selbst abgehört wurde und schließlich seine Bewerbung zurückzog. Die Regierung bestritt alle Vorwürfe und sagte, Tantwai habe schlicht nicht jene 25 000 Unterschriften erreicht, die es für die offizielle Kandidatur braucht. Mittlerweile wurde er von einem Gericht wegen "Anstiftung anderer zur Beeinflussung des Wahlvorgangs" angeklagt. Einen Aufschrei gab es nicht.

Viele Ägypter sind nach der gescheiterten Revolution von 2011 ernüchtert bis traumatisiert. Sie glauben nicht mehr an Veränderung, höchstens noch an Stabilität. Kairo ist großflächig mit Plakaten von al-Sisi zugepflastert, der nicht mal eine eigene Partei hat, aber Dutzende Organisationen und Unternehmen, die seiner huldigen. Und natürlich gibt es auch noch viele Al-Sisi-Fans in Ägypten.

Das Militär bereichert sich, an anderer Stelle fehlt das Geld

Mit die Ergebensten dürfte man unter Kairos Taxifahrern finden, die einen tagelang über all die neuen Brücken und Straßen fahren könnten, die al-Sisi seit seinem Putsch im Jahr 2013 hat bauen lassen. Dazu kommen Zugstrecken und neue Wohngebiete. Vieles war dringend notwendige Erneuerung der Infrastruktur. Andere Projekte helfen vor allem der Baubranche und den Firmen des Militärs, wie die neue Verwaltungshauptstadt vor den Toren Kairos, die etwa 60 Milliarden Dollar kosten soll und bisher weitgehend leer steht. Das Geld fehlt im Bildungs- und Gesundheitssystem.

Das Militär, aus dem auch al-Sisi stammt, weitet seine wirtschaftlichen Aktivitäten in immer neue Bereiche aus, produziert Nudeln und betreibt Tankstellen. Manches geschieht unter dem Deckmantel des sozialen Engagements, wie der Bau günstiger Wohnungen und der Verkauf von billigem Fleisch. Große Teile der Betriebe der Generäle arbeiten aber ohne jegliche Kontrolle und Transparenz. Sie verdienen an jenen Großprojekten, für die al-Sisi den Staat sich exorbitant verschulden ließ. Aus seiner Sicht ist aber nicht eine fehlgeleitete Wirtschaftspolitik die Ursache für die Krise. Sondern die anderen Krisen der vergangenen Jahre: Ukraine, Corona und der Krieg im Nachbarland Sudan.

Seit zwei Monaten gibt es nun auch noch den Krieg im Gazastreifen, der die ganze arabische Welt in Aufruhr versetzt, den al-Sisi bisher aber recht geschickt für sich nutzen konnte.

Al-Sisi gibt sich gerade als oberster Anwalt der Palästinenser

"Al-Sisi ist viel beliebter, seitdem er gesagt hat, dass es keine Vertreibung der Palästinenser geben wird. Es war eine gute Entscheidung", sagt Mohamed, der nur mit seinem Vornamen erwähnt werden will. Er ist 31 Jahre alt, kommt aus Oberägypten, einer der ärmsten Regionen des Landes und hat sich zumindest einen kleinen Traum erfüllt in den vergangenen Jahren. Sieben Jahre lang hat er als Verkäufer eines Supermarktes gearbeitet und alles gespart, was eben ging. 2020 hat er selbst einen gepachtet und schläft nun in einem Hinterzimmer.

Alles lief gut, bis der Krieg in Gaza begann. Seitdem ist der Umsatz um 20 Prozent eingebrochen - was politische und keine wirtschaftlichen Gründe hat. "Die Kunden kaufen nichts mehr von Firmen, von denen sie glauben, dass sie Israel unterstützen." Der Kreis ist recht weit gefasst: von Pepsi über Nestlé bis Ariel-Waschpulver. "Die Solidarität mit Gaza ist riesig", sagt Mohamed. Und al-Sisi gibt sich gerade als der oberste Anwalt der Palästinenser.

Im Jahr 2013 hat er die Muslimbrüder von der Macht geputscht, enge Verbündete der Hamas im Gazastreifen. Einst hat al-Sisi dieser vorgeworfen, islamistische Extremisten nach Ägypten zu schmuggeln. Jetzt aber stellt er sich voll auf die Seite der Palästinenser, verhandelt mit der Hamas über die Freilassung von Geiseln, verurteilt die große Zahl der toten Zivilisten durch israelische Angriffe und hat vor allem schnell klargemacht, dass er keine Vertreibung von Palästinensern nach Ägypten dulde.

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Diese Idee hatten nach dem 7. Oktober einige israelische Politiker geäußert: Die Bevölkerung von Gaza könnte in die Wüste des Sinai abgeschoben werden. Gegen ein paar Milliarden Finanzhilfe würde sich al-Sisi vielleicht flexibel zeigen, so hofften einige. Doch der Ägypter widersetzte sich vehement. Das würde einer Vollendung der Nakba gleichkommen, der Vertreibung Hunderttausender Palästinenser nach der Staatsgründung Israels.

"Es wird alles besser werden", sagt der Apotheker Morcos. Alles werde gut, glaubt auch der Supermarkt-Pächter Mohamed, der sich bald seinen eigenen Laden kaufen will. Zwischen der Realität und der goldenen Zukunft, auf die so viele hoffen, steht aber erst einmal eine sehr wahrscheinliche Abwertung der Währung und 29 Milliarden Dollar Schulden, die 2024 zurückgezahlt werden müssen. Wie das gehen soll, darüber wurde in diesem sogenannten Wahlkampf nie gesprochen.

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