Nahost:EU-Gelder für den Autokraten

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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi bei der Unterzeichnungszeremonie in Kairo. (Foto: Dirk Waem/dpa)

Ursula von der Leyen und die EU zahlen Ägypten 7,4 Milliarden Euro, damit das Land die Migration bekämpft und den Staatsbankrott vermeiden kann. Menschenrechtler kritisieren den Deal.

Von Bernd Dörries und Josef Kelnberger, Kairo/Brüssel

Die Europäische Union wendet viel Geld und diplomatischen Pomp auf, um den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi an sich zu binden. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen reiste am Sonntag mit einer Delegation von Staats- und Regierungschefs nach Kairo, um eine "strategische Partnerschaft" zu besiegeln, die mit insgesamt 7,4 Milliarden Euro dotiert ist. Über den Vertrag war schon lange verhandelt worden, weil Ägypten seit langem eine Schlüsselrolle dabei einnimmt, die Migration Richtung Europa einzudämmen. Aber er hat für die EU noch einmal zusätzliche Bedeutung gewonnen durch den Krieg in Gaza. Denn in vielen Mitgliedsstaaten geht die Sorge um, es könnten sich wegen des israelischen Angriffs viele palästinensische Flüchtlinge über Ägypten auf den Weg nach Europa machen.

In Kairo ging Ursula von der Leyen ganz konkret auf den Gaza-Konflikt ein. "Es ist von entscheidender Bedeutung, jetzt rasch eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand zu erzielen, der die Geiseln befreit und es ermöglicht, dass mehr humanitäre Hilfe nach Gaza gelangt", sagte sie bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem Ägypter und fügte hinzu: "Ich spreche Ihnen, Herr Präsident, meine Anerkennung für Ihre persönlichen Bemühungen um einen solchen Waffenstillstand aus."

Die Milliarden aus Brüssel sollen vor allem helfen, die akute Haushaltskrise in Ägypten zu beheben, die Wirtschaft zu modernisieren und somit das Land zu stabilisieren. Hunderte Millionen Euro sind außerdem dafür vorgesehen, den ägyptischen Grenzschutz zu stärken. Der Vertrag folgt ähnlichen Migrationsabkommen mit Tunesien und Mauretanien.

Migrationsabkommen in der EU umstritten

Ursula von der Leyen wurde begleitet von der italienischen Premierministerin Giorgia Meloni, den Regierungschefs Kyriakos Mitsotakis (Griechenland), Karl Nehammer (Österreich) und Alexander De Croo (Belgien) sowie Nikos Christodoulidis, dem zyprischen Präsidenten. Meloni, Mitsotakis und Christodoulidis vertreten Mittelmeer-Anrainerstaaten, De Croo die aktuelle EU-Ratspräsidentschaft. Und Nehammer leitet eine konservativ geführte Regierung, die seit Jahren darauf drängt, die Menschen von der Flucht nach Europa abzuhalten.

Die Zusammensetzung der Delegation, ohne Sozialdemokraten, konnte man auch als parteipolitisches Signal werten. Manfred Weber, der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei (EVP), würdigte das Abkommen auch als Erfolg der EVP: "Auch Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Emmanuel Macron müssen endlich mehr Engagement gegenüber Drittstaaten zeigen, um die illegale Migration zu stoppen."

Solche Migrationsabkommen mit autoritär geführten Staaten sind in der EU allerdings sehr umstritten. Das Europaparlament missbilligte zuletzt die Zahlung der Gelder an Tunesien als "intransparent". Das Abkommen mit Ägypten sei "moralisch verwerflich und inhaltlich naiv", sagte der grüne Europaabgeordnete Erik Marquardt, ein Migrationsexperte, am Wochenende den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Menschenrechtsorganisationen: erschreckende Bilanz

Die EU würdigt Ägypten in dem Abkommen als Säule von Stabilität und Sicherheit im Nahen Osten und in Afrika, vor allem im Zusammenhang mit dem Gaza-Konflikt. Ein eigener Punkt ist den Menschenrechten gewidmet. In regelmäßigen Abstand solle ein Austausch über Ägyptens Fortschritte in Bezug auf Demokratie, Grundrechte und Geschlechtergerechtigkeit stattfinden, heißt es.

Nach Angaben der EU-Kommission zahlt die EU fünf Milliarden an Darlehen als Finanzhilfe. Eine Milliarde, so war zu hören, könnte sofort ausbezahlt werden, der Rest gekoppelt an Reformschritte unter Aufsicht des Internationalen Währungsfonds. 1,8 Milliarden kommen hinzu für Investitionen in Ernährungssicherheit, grüne Technologien, Digitalisierung. 600 Millionen sind vorgesehen an Zuschüssen, davon 200 Millionen für das "Migrationsmanagement".

Jenseits der Sorge, der Gaza-Krieg könne zu einer großen Fluchtwelle führen, ist Ägypten in Sachen Migration derzeit in doppelter Hinsicht von Bedeutung für die EU. Einerseits fliehen immer mehr Menschen vor Bürgerkrieg und Hungersnot im Sudan nach Ägypten. Andererseits suchen von Ägypten aus immer mehr Flüchtlinge den Weg nach Libyen und von dort nach Griechenland.

Einhaltung der Bedingungen ist fraglich

Ägyptische Menschenrechtsorganisationen forderten in einem offenen Brief die EU auf, im Abkommen "klare Vorgaben für Reformen aufzunehmen, um Rechtsstaatlichkeit, verantwortungsvolle Staatsführung und Stabilität zu fördern. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die finanzielle Unterstützung der EU dieselbe unhaltbare Politik der ägyptischen Regierung subventioniert, die die politischen und wirtschaftlichen Rechte untergraben hat". Das Land habe eine "erschreckende Menschenrechtsbilanz, auch in Bereichen wie Grenzkontrolle und Migrationssteuerung".

Die Verhandlungen zwischen Ägypten und der EU begannen, als sich das Land dem Staatsbankrott näherte. Die Inflation beträgt derzeit bis zu 40 Prozent, Millionen Menschen rutschen in die Armut ab, die Krise in Gaza und die Terrorangriffe der Huthi im Roten Meer ließen die Deviseneinnahmen sinken. Ägypten braucht Geld, um seine riesigen Auslandsschulden zu begleichen, allein in diesem Jahr sind mehr als 40 Milliarden Dollar fällig. Ein Großteil stammt aus Großprojekten, darunter die überfällige Erneuerung der maroden Infrastruktur, aber auch fragwürdige Prestigeprojekte. Die EU und auch der Internationale Währungsfonds, der vor wenigen Tagen seine Kredite für Ägypten auf acht Milliarden Dollar erhöhte, wollen ihre Hilfen an konkrete Reformen knüpfen, wie den Verkauf zahlreiche Betriebe, die der Armee gehören, und einer solideren Haushaltsführung.

Ob es dazu kommt, ist fraglich, da Ägypten gerade von einem wahren Geldsegen überschwemmt wird: Die Vereinigten Arabischen Emirate haben sich für 35 Milliarden Dollar das Recht erkauft, eine Region an der Mittelmeerküste touristisch zu entwickeln.

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