USA:Oberstes Gericht bereitet Ende des Rechts auf Abtreibung vor

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Vor dem Supreme Court kommt es zu Protesten, nachdem der Urteilsentwurf an die Öffentlichkeit gelangt war. (Foto: STEFANI REYNOLDS/AFP)

Die Mehrheit der Richter am Supreme Court will Abtreibungsverbote zulassen. Der Urteilsentwurf ist so umstritten, dass er an die Öffentlichkeit geleakt wurde.

Von Fabian Fellmann, Washington

Das gab es zuvor noch nie: Ein Urteilsentwurf des Supreme Court wurde am Montag an das Nachrichtenportal Politico geleakt. Demnach plant die Mehrheit der höchsten US-Richter, das seit 1973 gültige Recht auf Abtreibung zu kippen. Nach einer ersten Besprechung des Falls im Dezember hätten sich fünf konservative Richter dafür ausgesprochen, ein Grundsatzurteil des Gerichts von 1973 umzustoßen, schreibt Politico dazu. In ihrem Auftrag hat Richter Samuel Alito, ein von George W. Bush ernannter Konservativer, den Entwurf einer Mehrheitsmeinung geschrieben.

Der geleakte Text ist ein Verriss der früheren Praxis des Gerichts: Das Grundsatzurteil "Roe vs. Wade" aus dem Jahr 1973, demzufolge ein Strafgesetz des US-Bundesstaats Texas das verfassungsmäßige Recht einer Frau verletzt hatte, über den Abbruch einer Schwangerschaft selbst zu entscheiden, sei ein Irrtum gewesen und schwach begründet. Jetzt müssten die Richter diese Fehler korrigieren. Der Fehler in den Augen der Richter liegt darin, es den einzelnen Staaten zu überlassen, ob und unter welchen Bedingungen sie Abtreibungen erlauben wollen. Das war schon vor 1973 so, bevor der Supreme Court eingriff. Frauen hätten ein Recht auf eine Abtreibung bis zur Überlebensfähigkeit des Fötus entschied das Gericht damals.

Der Entwurf der Mehrheitsmeinung weist diese Argumentation rundweg zurück. Allerdings ist er noch keineswegs ein endgültiger Text. Die Richter am Supreme Court fällen ihre Entscheidung über mehrere Runden und Monate. Dabei wird nicht nur der Text überarbeitet, vielmehr können Richter sogar so weit gehen, ihre Position zu ändern. Gerade bei Urteilen von großer Tragweite ist es schon oft geschehen, dass die Mehrheit schließlich anders entschied als bei den ersten Beratungen.

Demonstranten marschieren vor dem Gericht auf

Wie hart diesmal im Gericht gerungen wird, lässt sich auch daran ablesen, dass der Entwurf überhaupt nach außen gedrungen ist: Es dürfte ein Versuch sein, öffentlichen Druck auf das Gericht aufzubauen. Das ist gelungen. Noch am Montagabend versammelten sich Demonstranten vor dem Supreme Court in der Hauptstadt Washington, um ihrem Ärger Luft zu machen.

Bis der Supreme Court seine Entscheidung bekannt gibt, dürfte es Juni oder gar Juli werden. Der Entwurf, den Politico öffentlich machte, stammt vom Februar. Welche Position die Richter inzwischen einnehmen, ist nicht bekannt. Die Publikation zitiert jedoch Insider, wonach sich die Mehrheitsverhältnisse bisher nicht verschoben hätten.

Beim Abtreibungsrecht deuten die Zeichen schon länger darauf hin, dass das Oberste Gericht einen Kurswechsel vornehmen will. Die nun veröffentlichte Mehrheitsmeinung wäre allerdings die radikalste Fassung davon. Richter Alito will den Bundesstaaten weitgehend freie Hand lassen, Abtreibungen zu regeln. Das Gericht könnte sich auch damit begnügen, den Staaten nur einzelne Einschränkungen zuzugestehen.

Die harte Maximalvariante

Sollte die nun geleakte Maximalvariante obsiegen, tritt als erste Konsequenz das Abtreibungsgesetz von Mississippi in Kraft, um das es im konkreten Fall geht. Der konservative Südstaat will Schwangerschaftsabbrüche nach der 15. Woche untersagen. In seinem Schlepptau haben andere Staaten viel weitergehende Regelungen beschlossen, die dann ebenfalls in Kraft treten könnten.

In Texas und Oklahoma sind Schwangerschaftsabbrüche nach der sechsten Woche untersagt; das entspricht für die meisten Frauen einem faktischen Abtreibungsverbot, da viele zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht wissen, dass sie schwanger sind. In insgesamt 23 von 50 Staaten sind solche Gesetze bereits verabschiedet oder anhängig. Die extremsten verbieten ihren Einwohnern sogar, jemand für eine Abtreibung in einem anderen Staat zu unterstützen.

Sollte die konservative Mehrheit am Obersten Gericht das Abtreibungsrecht wirklich beschneiden, würde das einen wichtigen politischen Sieg für die Republikaner darstellen.

Zwischensieg im Kulturkampf?

Das Abtreibungsrecht gehört zu den Kulturkampfthemen, um die Republikaner und Demokraten die härtesten Konflikte austragen. Vor allem der evangelikale Flügel der Republikaner kämpft seit Jahren gegen Schwangerschaftsabbrüche und für Verbote auf Ebene der Staaten. Eine deutliche Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner unterstützt zwar laut Umfragen das geltende Abtreibungsrecht. Doch gibt es keine Anzeichen dafür, dass es den Demokraten gelingen könnte, dieses in ein Gesetz auf nationaler Ebene zu gießen.

Seit Donald Trump kurz vor Ende seiner Amtsdauer noch Richterin Amy Coney Barrett an Stelle der verstorbenen Liberalen Ruth Bader Ginsburg nominiert hatte, besitzen die Konservativen an dem Gericht eine erdrückende Mehrheit von sechs zu drei Stimmen. Das wirkt sich deutlich auf den Kurs der obersten Justizinstanz in dem Lande aus. Umso banger schauen die Demokraten den kommenden Monaten entgegen, in denen das Gericht eine ganze Reihe heißer Eisen anfassen wird: Die anstehenden Fälle reichen vom Abtreibungsrecht über Waffengesetze bis zur Minderheitenförderung an Universitäten.

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