Es war eine überraschende Bilanz, die Frauenrechtler ein Jahr nach der Ausweitung des Abtreibungsverbots durch Polens Verfassungsgericht im Oktober 2020 zogen. Zwar verursachten die verweigerten Abtreibungen viel Leid - der Tod der Polin Izabela aufgrund von Schwangerschaftskomplikationen löste massive Proteste aus. Gleichwohl trieben seit dem Urteil immer noch mindestens Zehntausende Polinnen ab.
Das Netzwerk Abtreibung ohne Grenzen (ABG) registrierte 34 000 Polinnen, die sich deswegen an Frauengruppen wandten. Die weitaus meisten - ABG zufolge knapp 33 000 Polinnen - nutzten zu Hause die von der Weltgesundheitsorganisation anerkannte "medizinische Abtreibung". Allein das Warschauer "Abtreibungs-Dream-Team" versorgte eigenen Angaben zufolge mehr als 3400 Polinnen mit den entsprechenden Medikamenten. Tausende anderer Polinnen trieben in Holland, Deutschland, Tschechien, Belgien, England oder Frankreich ab. Insgesamt entscheiden sich jedes Jahr mindestens 150 000 Polinnen für eine Abtreibung, schätzt die Vereinigung für Frauen und Familienplanung.
Abtreibungsrecht:Buschmann fordert schnelle Streichung von Paragraf 219a
Der designierte Bundesjustizminister Marco Buschmann will den umstrittenen Strafrechts-Paragrafen möglichst rasch abschaffen. Er verhindert, dass Ärztinnen und Ärzte offen über Abtreibung informieren dürfen. Das sei "untragbar", sagte Buschmann.
In Polen selbst stehen die Zeichen auf weitere Radikalisierung. Ab 1. Januar 2022 werden Schwangerschaften zentral registriert, worin Kritiker eine Handhabe zur Verfolgungen von Frauen, die abtreiben, vermuten. Das Parlament berät bereits über einen Gesetzentwurf der fundamentalistischen Gruppe "Pro - Recht auf Leben", die jede Abtreibung als Mord definieren und Strafen bis zu lebenslänglicher Haft einführen will. Außerdem berät das Parlament über die Gründung eines Polnischen Demographie- und Familieninstitutes mit inquisitorischen Vollmachten zur Einmischung in Familienangelegenheiten.